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Christoph Kanzler-Kolumne 22.05.2013 10:50:00

Tierisch guter Riecher

Kolumne

Jetzt haben sie Konkurrenz bekommen – von Katzen! Die englische Zeitschrift „The Observer“ startete kürzlich einen Wettbewerb, in dem eine Gruppe von Aktienspezialisten und eine Studentengruppe gegen einen rötlich-braunen Kater namens Orlando antraten, um festzustellen, wer beim stock picking den größeren Erfolg haben würde. Als Zeitraum wurde das gesamte Börsenjahr 2012 festgelegt. Jedes Team investierte am Jahresanfang einen fiktiven Betrag von 5.000 Pfund in fünf Gesellschaften aus dem britischen Aktienindex FTSE All-Share. Nach jeweils drei Monaten konnte man die ausgewählten Aktien gegen beliebige andere aus diesem Index tauschen.

Die Spezialisten ließen all ihre Erfahrung, ihre Erkenntnisse und ihr Marktwissen in die Aktienauswahl einfließen. Orlandos Methode war einfacher. Der Kater warf einfach eine Spielzeugmaus auf ein Zahlenfeld, das die Aktien im Index darstellen sollte. Dort, wo die Spielzeugmaus landete, wurde der entsprechende Aktienwert ins Portfolio gekauft.

Die Zeitschrift berichtet, dass der Kater Ende des September-Quartals zwar noch hinter den Profis lag, dann in den letzten Monaten aber seine „Katzen-Intuition“ und den „tierisch guten Riecher“ spielen ließ und sein Portfolio zum Jahresende auf einen stattlichen Gesamtwert von 5.542 Pfund hochschaukeln konnte. Das entspricht umgerechnet auf das Jahr einer Rendite von elf Prozent, was deutlich besser als das Index-Wachstum von 8,2 Prozent ist und das Portfolio der Profis mit nur sieben Prozent Ertrag deutlich in den Schatten stellt.

Man kann dieses Experiment zwar nicht unbedingt wissenschaftlich nennen, es zeigt aber wieder einmal, wie schwierig es ist, nachhaltig überdurchschnittliche Gewinne durch gezielte Aktienauswahl zu erzielen oder entsprechende Vorhersagen zu machen. Diese Tatsache muss man im Auge behalten, wenn man sich mit Marktprognosen für das Jahr 2013 befasst.

Das vergangene Jahr zeigt dies nur allzu deutlich. Den Beweis lieferte die Nachrichtenagentur Bloomberg, die am Jahresanfang alljährlich die gesamte Gilde der Finanzexperten nach ihren Prognosen befragt. So auch 2012. Doch obwohl in der Bloomberg-Umfrage viele Trendforscher, Aktienstrategen und andere Experten zu Jahresbeginn 2012 wegen der Euro-Krise, des geringeren Marktwachstums in China und des politischen Stillstands in den USA zu Aktienverkäufen rieten, entwickelte sich der Markt unerwartet sehr positiv: Der globale Aktienmarktwert stieg um 6,5 Billionen US-Dollar an. Die simple Erklärung dafür lieferte einer der von Bloomberg befragten Analysten selbst. Er argumentierte, dass viele Experten zu sehr in die „Befürchtung des Tages“ verwickelt waren und so den Blick für das Große Ganze verloren hätten.

Ein anderes Beispiel kommt aus Australien. Dort erklärte ein sehr bekannter TV-Finanzkommentator am Jahresende 2011 live und in Farbe: „Es sieht alles nach Panik-Verkäufen aus. Es ist zwar noch nicht sicher (…), aber bei diesem Risiko sollten Sie nicht untätig bleiben. Ich werde mein schon jetzt verringertes Engagement in Aktien auf Null zurückfahren.“

Herzliches Beileid all denen, die seinem Rat gefolgt sind, denn der australische Aktienmarkt lieferte 2012 einen Gesamtgewinn von 20 Prozent in lokaler Währung. Und in Deutschland oder Österreich waren die Gewinne sogar noch höher – obwohl es auch hier viele Experten gab, die sehr pessimistisch waren und öffentlich für den sofortigen Ausstieg aus dem Aktienmarkt plädierten. Der DAX gewann im Jahresverlauf mehr als 25 Prozent hinzu, der ATX schaffte sogar ein Plus von annähernd 30 Prozent.

Und die Moral von der Geschicht‘? Es sollte mittlerweile jedem klar sein, dass eine Aktienstrategie, die auf irgendwelchen Prognosen aufbaut, ein sehr riskanter Weg zum Vermögensaufbau ist. Egal wie sorgfältig und fachkundig Ihr Trendforscher ist – unerwartete Ereignisse werfen einfach immer wieder die Prognosen über den Haufen.

Diejenigen, die felsenfest daran glauben, dass Prognosen eine nachhaltige Investmentstrategie ermöglichen, unterschätzen die Fähigkeit des Kapitalmarkts, alle Erwartungen einfach einzupreisen. Wenn Sie glauben, dass der Markt dieses Jahr richtig loslegen wird, glaubt das auch jemand anders und macht diese Vermutung zu Geld.

Aber Sie brauchen ja gar keine Kristall-Kugel, um Vermögen aufzubauen. Sie brauchen nur ein regelmäßig ausbalanciertes diversifiziertes Aktienportfolio, das auf Ihre Bedürfnisse und Ihre Risikofreudigkeit zugeschnitten ist. Natürlich sollten Sie auch ein Auge auf Kosten und Steuerbelastungen haben. Hauptsächlich sollten Sie aber Ruhe bewahren und sich in Geduld üben – wie eine Katze!

Christoph R. Kanzler ist Leiter der Niederlassung Deutschland, Österreich und Schweiz von Dimensional Fund Advisors. Die Fondspalette von Dimensional umfasst mehr als 100 Aktien- und Anleihenportfolios weltweit. Das Unternehmen ist global aktiv und hat aktuell 265 Milliarden US-Dollar Assets under Management.
Vor seiner Tätigkeit bei Dimensional war Kanzler Leiter Business Development bei der quirin Bank, zuvor besetzte er verschiedene Positionen bei der Citigroup, Credit Suisse und DAB Bank.

Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.

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