29.06.2015 15:56:42

Deutsche Wirtschaft dämpft Sorgen vor einem Euro-Austritt Griechenlands

FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Eskalation der Griechenland-Krise hat die Finanzmärkte einmal mehr in Unruhe versetzt. Die Ankündigung einer Volksabstimmung durch den griechischen Premier Alexis Tsipras und der Abbruch von Verhandlungen in Brüssel sorgten für trübe Stimmung an der Börse. In den Unternehmen wird die Eskalation ebenfalls mit Sorge beobachtet. Allerdings zeichnen viele Verbände für sich ein weniger angespanntes Bild der Lage - die Auswirkungen eines möglichen Austritts Griechenlands aus dem Euro seien zu schultern. Die wichtigsten Branchen im Überblick:

- BANKEN: Die direkten Gefahren einer griechischen Staatspleite für deutsche Banken sind vergleichsweise gering. Ende 2014 hatten die Institute Berechnungen der Bundesbank zufolge in dem Euro-Land noch 2,4 Milliarden Euro verliehen. Staatsanleihen halten sie seit dem Schuldenschnitt vom Frühjahr 2012 kaum noch. Damals mussten sie rund die Hälfte ihrer Forderungen abschreiben und verbuchten deshalb hohe Verluste. "Ein Zahlungsausfall Griechenlands könnte die Finanzmärkte zwar kurzfristig belasten, die zu Beginn der Staatsschuldenkrise möglichen Ansteckungseffekte auf andere Euro-Staaten sind heute aber nicht mehr zu befürchten", hatte der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes BdB, Michael Kemmer, bereits am Sonntag gesagt.

Das Geld der Banken steckt vor allem in griechischen Unternehmen, so dass diese Forderungen erst bei der nach einer möglichen Staatsinsolvenz erwarteten privaten Pleitewelle ausfallen dürften. Nach Einschätzung der Bank of America haben vor allem griechische Reeder einen Großteil der Kredite aus dem Ausland bekommen. Diese Gelder sind in der Regel besichert, als Pfand dienen etwa die Schiffe. Laut Bank of America hatten europäische Banken zuletzt insgesamt rund 45 Milliarden US-Dollar in Griechenland im Feuer. Die Deutsche Bank hatte ihr Brutto-Risiko Ende März auf 2,7 Milliarden Euro beziffert. Nach Abzug aller Sicherheiten blieben noch 528 Millionen als Netto-Risiko. Die Commerzbank bezifferte ihr Nettorisiko zuletzt auf 300 Millionen Euro.

- REISEBRANCHE: Die Reisebranche fürchtet kaum Nachteile für die Urlauber - und auch nicht für ihr Geschäft. Bislang gebe es keine vermehrten Stornierungen oder Umbuchungen, sagten Sprecher mehrerer Reiseveranstalter. "Wir spüren dieses Phänomen nicht", sagte der Vertriebschef von Tui Deutschland, Ralf Horter. Bislang lassen sich die Deutschen das Land als Urlaubsziel nicht verleiden. Laut Deutschem Reiseverband DRV reisten 2014 rund 2,5 Millionen Menschen von hier nach Griechenland in den Urlaub - so viele wie nie zuvor. Die Deutschlandtochter des weltgrößten Reisekonzerns Tui hatte für diesen Sommer ein leichtes Buchungsplus im Vergleich zum Rekordjahr vermeldet.

Auch der Reiseveranstalter Thomas Cook mit Marken wie "Neckermann Reisen" erwartet nicht, dass ein "Grexit" viele Urlauber von Griechenland fernhält. "Möglicherweise kommt es zu einer kurzfristigen Dämpfung der Nachfrage", sagte ein Sprecher. Ein Austritt des Landes aus dem Euro könnte den Griechenland-Tourismus nach seiner Ansicht sogar beleben. "Die Drachme könnte dafür sorgen, dass die Nebenkosten für die Urlauber sinken würden." Laut der zum Rewe-Konzern gehörenden DER Touristik in Köln hätten sich nur einzelne Urlauber über Zahlungsmöglichkeiten in ihrer Ferienregion erkundigt.

- CHEMIE & PHARMA: Die Eskalation wird wohl auch die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie nicht aus der Bahn werfen. Griechenland spiele als Auslandsmarkt für die deutsche Chemie wirtschaftlich "eine untergeordnete Rolle", sagte ein Sprecher des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI). Auch in den Konzernzentralen sorgen die jüngsten Nachrichten nicht für hektische Betriebsamkeit. Für die meisten Unternehmen gehört das in einer tiefen Krise steckende Land nicht zu den wichtigen Exportmärkten. Von den deutschen Pharmaherstellern ist nur Boehringer Ingelheim auch mit einem eigenen Werk in Griechenland vertreten. "Wir haben die in solchen Situationen üblichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Aber es ist nichts, was mich in dem Maße besorgt, in dem es - womöglich - die Finanzmärkte zur Zeit beunruhigt", sagte Merck KGaA (Merck)-Chef Karl-Ludwig Kley dem Fernsehsender Bloomberg-TV. Im vergangenen Jahr gingen laut VCI chemisch-pharmazeutische Erzeugnisse im Wert von gut 1,3 Milliarden Euro aus Deutschland nach Griechenland und damit etwa so viel wie in den beiden Vorjahren. Das entspreche 0,8 Prozent der Gesamtausfuhren der Branche.

- AUTOINDUSTRIE: Die deutsche Autoindustrie sieht in einem möglichen "Grexit" nicht nur negative Effekte. "Ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone kann kein Tabu mehr sein", sagte der Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann. "Er könnte - bei einer klugen Zukunftsstrategie der Euro-Staaten - sogar zu einer Stabilisierung der Eurozone beitragen." Den möglichen Wegfall von Verkäufen nach einem Austritt des Landes aus der Gemeinschaftswährung fürchtet die Branche offenbar weniger. Mutige Reformen hätten sich in anderen angeschlagenen EU-Ländern gelohnt. "Das zeigen auch die Automobilmärkte: In Spanien stieg der Neuwagenmarkt in den ersten fünf Monaten um 22 Prozent, in Portugal um 33 Prozent, in Irland um 26 Prozent", sagte Wissmann. In Griechenland waren die Neuwagenverkäufe von Personenfahrzeugen in den ersten fünf Monaten nach Angaben des europäischen Herstellerverbands Acea um knapp 16 Prozent auf gut 34 100 Stück gestiegen, zuvor war der Markt in der Schuldenkrise aber regelrecht eingebrochen.

- MASCHINENBAUER: Für die deutschen Maschinenbauer wäre ein griechischer Austritt aus dem Euro verkraftbar. Aus reiner Marktsicht seien die Effekte überschaubar, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Thilo Brodtmann. Laut VDMA lag Griechenland 2014 mit einem Exportvolumen von 360 Millionen Euro lediglich auf Rang 54 der wichtigsten Exportmärkte der Branche. Zuletzt hatten die Ausfuhren im ersten Quartal im Jahresvergleich um 8,5 Prozent zugelegt. Kritisch sieht der Verband die Lage der Schiffsbauindustrie und ihrer Zulieferer, da griechische Reedereien trotz der jahrelangen Krise noch immer zu den weltweit größten Auftraggebern zählten. Allerdings lägen die Konten der Reeder überwiegend im Ausland, weswegen sich ein "Grexit" kaum auf sie auswirke. Vergleichsweise große Abhängigkeit von deutschen Zulieferungen habe die griechische Wirtschaft in den Bereichen Landtechnik, Nahrungs- und Verpackungsmaschinen sowie Hütten- und Walzwerkeinrichrichtungen.

- TELEKOM: Die Deutsche Telekom sieht ihre griechische Tochter OTE finanziell gut aufgestellt. Zu möglichen Auswirkungen einer Staatspleite oder eines Austritts des Landes aus der Währungsunion auf die Geschäfte des DAX-Konzerns (DAX) wollte sich ein Sprecher am Montag nicht äußern. "OTE ist in hervorragender Verfassung", sagte er. Die finanzielle Lage des Unternehmens sei nicht mit dem griechischen Staat vergleichbar. Die Telekom hält derzeit 40 Prozent am griechischen Telekom-Konzern OTE. Ende März betrieb das Unternehmen in Griechenland knapp 2,6 Millionen Festnetzanschlüsse und zählte bei der Mobilfunktochter Cosmote gut 7,3 Millionen Kunden. Der Umsatz im Land war 2014 um 4 Prozent auf 2,9 Milliarden Euro gefallen.

- VERSICHERER: Die großen deutschen Versicherungskonzerne sehen sich von einer Staatspleite Griechenlands kaum direkt bedroht - ihre Kapitalanlagen in dem Land sind überschaubar. "Wir haben keine griechischen Staatsanleihen mehr, andere Anlagen sind zu vernachlässigen", sagte am Montag eine Sprecherin des weltgrößten Rückversicherers Munich Re (Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft), zu dem auch der Erstversicherer Ergo gehört. Europas größter Versicherer Allianz hat rund 10 Millionen Euro in griechische Anleihen und Aktien investiert, wie eine Sprecherin sagte. Dem standen bei der Allianz Ende März Kapitalanlagen von insgesamt 662 Milliarden Euro gegenüber. Hohe Abschreibungen hatte das Unternehmen bereits früher vorgenommen.

Der weltweit drittgrößte Rückversicherer Hannover Rück (Hannover Rueck) besitzt überhaupt keine Unternehmens- und Staatsanleihen aus Griechenland, wie eine Sprecherin sagte. Der Versicherungskonzern Talanx mit Marken wie HDI, der auch die Mehrheit an der Hannover Rück hält, ist einer Sprecherin zufolge mit 9 Millionen Euro in Griechenland engagiert.

- KONSUM & HANDEL & LOGISTIK: Vom Sportartikelhersteller adidas heißt es, Griechenland sei für die Gruppe ein eher kleiner Markt. Allerdings ist der Konzern nach Angaben eines Sprechers vorbereitet, notfalls wieder in lokaler Währung abzurechnen. Auch der Logistikkonzern Deutsche Post DHL hat Vorkehrungen getroffen, um betriebliche Risiken im Zusammenhang mit der Situation in Griechenland zu managen. Ein direktes finanzielles Risiko sieht der Konzern nicht.

Europas größter Elektronikhändler Media-Saturn aus dem Metro-Konzern sieht sich für eine Eskalation der Krise in Griechenland gerüstet. "Wir beobachten die Situation genau und sind vorbereitet", sagte eine Unternehmenssprecherin. Alle zehn griechischen Media Märkte blieben geöffnet. Zur Geschäftslage wollte sich die Sprecherin nicht äußern. In Griechenland ist der Elektronikhändler mit Media Markt seit 2005 vertreten und beschäftigt dort rund 700 Mitarbeiter. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete die Kette dort 186 Millionen Euro Umsatz.

- BAU: Die deutsche Bauindustrie macht sich kaum Sorgen. Schon vor der Krise in Griechenland waren deutsche Unternehmen nur selten in dem Land engagiert. "Die Firmen haben sich schon früh darauf eingestellt, dass es in Griechenland schwierig ist und schwierig bleibt", sagte ein Sprecher des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie. 2014 habe der Auftragseingang aus Griechenland gerade einmal vier Millionen Euro betragen, insgesamt lag er in der Branche bei 23,6 Milliarden Euro./men/jha/he

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