Turbulenzen 13.03.2020 14:37:41

Boeing-Aktie: Ein Jahr Flugverbot - jetzt geht die Krise erst richtig los

Boeing-Aktie: Ein Jahr Flugverbot - jetzt geht die Krise erst richtig los

Das seit einem Jahr geltende Flugverbot leert die Kassen des Konzerns, und jetzt trifft die Ausbreitung des Coronavirus mit schwerwiegenden Folgen für den Luftverkehr den Hersteller zur Unzeit. Was bei Boeing los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI BOEING:

Lange galt Boeing aus den USA als Erfolgsmodell. Selbst Manager des europäischen Rivalen Airbus staunten, wie viel Geld Boeing mit jedem Flugzeugverkauf in der Kasse behielt. Auf der technischen Seite konnte Airbus den Rivalen zwar immer wieder vor sich hertreiben. Doch bei den Finanzen schienen die Amerikaner den Europäern weit voraus.

Davon ist derzeit nicht mehr viel übrig. Zwei Flugzeugabstürze haben den Luftfahrt-Riesen in eine schwere Krise gebracht. An diesem Freitag jährt sich das weltweite Flugverbot für den Unglücksflieger vom Typ 737 Max zum ersten Mal. Ob und wann die Maschinen wieder abheben dürfen, bleibt ungewiss. Das Vertrauen in Boeing ist erschüttert, der Ruf ramponiert.

Drei lange Tage dauerte es, bis sich die USA dem Druck beugten. Am Mittwoch, dem 13. März 2019, kündigte Präsident Donald Trump das Flugverbot für Boeings 737 Max an. Am Sonntag zuvor war in Äthiopien eine Maschine des Typs abgestürzt, knapp fünf Monate vorher ein baugleiches Modell in Indonesien. Insgesamt starben dabei 346 Menschen. Nach dem zweiten Absturz sperrten China, die EU und andere Staaten rasch ihre Lufträume für die 737 Max. Die USA kamen nicht mehr umhin, nachzuziehen.

Den Untersuchungsberichten zufolge erfolgten die Abstürze nach einem ähnlichen Muster: Eine fehlerhafte Steuerungsautomatik lenkte die Flugzeuge Richtung Boden - bis zum Aufprall. Boeing wollte dieses Problem eigentlich bereits nach dem ersten Unglück per Software-Update beheben, doch die Lösung zieht sich bis heute hin. In der Zwischenzeit kamen immer neue Details heraus, die den Konzern in Erklärungsnot brachten. Der Vorwurf: Boeing habe die 737 Max aus Profitgier überstürzt auf den Markt gebracht und die Sicherheit vernachlässigt.

Ob bei der 737-Max-Zertifizierung alles mit rechten Dingen zuging, ist in den Gegenstand verschiedener Ermittlungen. Es gibt sogar den Verdacht, dass Boeing die US-Flugaufsicht FAA getäuscht und wichtige Informationen unterschlagen haben könnte. Heikle Interna und forsche Ansagen zur 737-Max-Wiederzulassung belasteten das Verhältnis zur Behörde so stark, dass die Spannungen als ein Grund für den Rauswurf von Konzernchef Dennis Muilenburg im Dezember galten.

Muilenburgs Nachfolger Dave Calhoun versucht nun, das Vertrauen in Boeing wiederherzustellen. Dabei hat der Manager alle Hände voll zu tun. Das 737-Max-Debakel hat dem Konzern 2019 den ersten Jahresverlust seit 1997 eingebrockt. Die Sonderkosten wegen der Flugverbote beliefen sich zuletzt auf 18 Milliarden Dollar - und die Schadensbilanz dürfte noch deutlich steigen.

Boeing geht davon aus, dass die 737 Max "Mitte 2020" wieder zugelassen wird, doch die Entscheidung liegt bei den Behörden. Geschäftlich betrachtet ist das größte Problem des Herstellers, dass er seinen bis zu den Abstürzen bestverkauften Flugzeugtyp nicht mehr an Kunden ausliefern kann. Zudem hat er rund 400 Maschinen auf Halde produziert, ohne dafür nennenswert Geld zu bekommen. Erst im Januar setzte Boeing die Fertigung aus.

Auslöser für die Entwicklung des Jets war ausgerechnet ein Coup des Rivalen Airbus. Dieser hatte seinem Mittelstreckenjet A320 mittels modernerer Triebwerke eine spritsparende Neuauflage mit dem Namen A320neo spendiert. Mitte 2011 hatte Airbus schon mehr als 1000 Bestellungen eingesammelt und Boeing erste Stammkunden abspenstig gemacht. Wenig später kündigte der US-Konzern an, auch der betagten Boeing 737 eine Modernisierung zu spendieren. Eine komplette Neuentwicklung hätte zu viel Zeit gekostet.

Seit dem Flugverbot warten nun Fluggesellschaften in aller Welt darauf, dass der US-Konzern die Probleme löst und die Behörden den Flieger wieder in die Luft lassen. Zuletzt wurden indes neue bekannt: Erst ging es um eingebaute Sensoren, denen die Zulassung fehlte, dann um Mängel bei der Verkabelung.

Fluglinien wie Ryanair mussten ihre Wachstumspläne wegen des Startverbots bereits eindampfen. Die hohen Kosten für Ersatzflugzeuge zehren beim Reisekonzern TUI am Gewinn. Die Unternehmen nehmen den US-Konzern dafür in Regress. Trotzdem hat bisher kaum eine Airline ihre Bestellungen storniert. Denn die Produktion des Konkurrenzmodells Airbus A320neo ist bis ins Jahr 2025 ausgebucht. Andere Anbieter gibt es faktisch nicht.

Jetzt schüttelt auch noch die Corona-Krise die Luftfahrtbranche durch - und das hat auch Folgen für Boeing. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Bloomberg ruft das Unternehmen eine knapp 14 Milliarden US-Dollar schwere Kreditlinie bei Banken vollständig ab, um sich für die Belastungen infolge des Virus zu rüsten. Boeing hatte die Kreditlinie im vergangenen Monat von einem Bankenkonsortium erhalten - allerdings mit Blick auf die teuren Folgen des Flugverbots für die "Max".

Jetzt droht vielen Airlines auch das Geld für den Kauf neuer Flugzeuge ausgehen. Der Einbruch im Flugverkehr könnte die Branche in diesem Jahr weltweit bis zu 113 Milliarden US-Dollar an Umsatz kosten, schätzte der Weltluftfahrtverband IATA vergangene Woche. Schon im vergangenen Jahr hatte Boeing mehr Stornierungen als Neubestellungen kassiert, im Januar und Februar setzte sich der Trend bereits fort.

Ausgaben für die Entwicklung eines neuen mittelgroßen Passagierjets hat der neue Boeing-Chef bereits kurz nach seinem Antritt an der Konzernspitze gestoppt. Statt das seit Jahren diskutierte "New Midsize Airplane" (NMA) zu bauen, will er noch einmal "mit einem weißen Blatt Papier" beginnen. Nach Schätzungen aus Branchenkreisen hätte die NMA-Entwicklung zwischen 10 und 15 Milliarden Dollar gekostet. Das 737-Max-Desaster kommt den Konzern nun wohl noch viel teurer zu stehen.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Für Anleger war die Boeing-Aktie lange ein solides und langweiliges, dann ein äußerst lukratives Investment. Von Anfang 2013 versechsfachte sich der Wert der Boeing-Aktie nahezu von rund 75 Dollar bis auf den Rekordkurs von 446,01 Dollar am 1. März 2019. Wenige Tage später folgte der tödliche Absturz der Boeing 737 Max von Ethiopian Airlines - und dann das weltweite Start- und Auslieferungsverbot für den Flugzeugtyp.

Was weltweit über Monate in aller Welt für Aufsehen und Entsetzen sorgte, ließ die Anleger an der Börse vergleichsweise kalt. Trotz einiger Kursturbulenzen und kräftiger Abschläge im Vergleich zum Rekordhoch ging die Boeing-Aktie Ende 2019 mit knapp 326 Dollar ein Prozent teurer aus dem Handel, als sie in das Jahr hineingegangen war.

Richtig herb getroffen wurde die Aktie erst von der Corona-Krise mit ihren herben Folgen für die Luftfahrt. Nachdem durchgesickert war, dass Boeing seine milliardenschwere Kreditlinie voll in Anspruch nimmt, sackte der Aktienkurs am Mittwoch und Donnerstag jeweils um zweistellige Prozentsätze in den Keller. Zuletzt wurde das Papier noch zu einem Preis von rund 155 Dollar gehandelt.

Seit dem Absturz der zweiten 737 Max hat die Boeing-Aktie fast zwei Drittel an Wert verloren. Der Börsenwert des Konzerns schrumpfte von zeitweise über 250 Milliarden auf nur noch gut 90 Milliarden Dollar.

WAS ANALYSTEN SAGEN:

Angesichts des Kursdesasters sind Branchenexperten der Boeing-Aktie trotz der vielen Probleme des Konzerns weiterhin vergleichsweise zugetan. Von den 29 Analysten, die die Nachrichtenagentur Bloomberg erfasst hat, raten 10 zum Kauf des Papiers, drei zum Verkauf und 16 nehmen eine neutrale Position ein. Im Schnitt schreiben sie der Aktie ein Kursziel von 330 Dollar zu. Allerdings reichen ihre Einschätzungen von rund 200 bis über 400 Dollar.

So stufte die US-Bank JPMorgan die Boeing-Aktie am Donnerstag von "Overweight" auf "Neutral" ab und strich ihr Kursziel von 370 auf 210 Dollar zusammen. Analyst Seth Seifman erwartet, dass Fluggesellschaften wegen der Krise Flugzeugbestellungen entweder stornieren oder verschieben werden. Boeing könnte zudem die Dividende kürzen. Nach dem Flugverbot hatte der Konzern bereits den Rückkauf eigener Aktien gestoppt, um sein Geld zusammenzuhalten.

Bernstein-Analyst Douglas Harned hingegen bestätigte hingegen gerade seine Kaufempfehlung für die Boeing-Aktie. Er sieht das Papier auf dem Weg zu 384 Dollar. Dafür müsste sich der Kurs aus jetziger Sicht verdoppeln.

/stw/eas/zb

CHICAGO/SEATTLE (dpa-AFX)

Weitere Links:


Bildquelle: Boeing,Maxene Huiyu / Shutterstock.com,Jordan Tan / Shutterstock.com

Analysen zu Airbus SE (ex EADS)mehr Analysen

26.11.24 Airbus Overweight Barclays Capital
21.11.24 Airbus Hold Deutsche Bank AG
12.11.24 Airbus Kaufen DZ BANK
07.11.24 Airbus Outperform RBC Capital Markets
07.11.24 Airbus Buy Jefferies & Company Inc.
Eintrag hinzufügen
Hinweis: Sie möchten dieses Wertpapier günstig handeln? Sparen Sie sich unnötige Gebühren! Bei finanzen.net Brokerage handeln Sie Ihre Wertpapiere für nur 5 Euro Orderprovision* pro Trade? Hier informieren!
Es ist ein Fehler aufgetreten!

Aktien in diesem Artikel

Airbus SE (ex EADS) 147,08 1,28% Airbus SE (ex EADS)
Boeing Co. 147,58 1,21% Boeing Co.