Turbulenzen bei Rohöl |
07.12.2014 15:00:02
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Ölpreis: Globaler Schmierstoff im Sturzflug
Als der Ölpreis unter die Marke von 80 Dollar je Barrel rutschte, wurde Wladimir Putin nervös. Der russische Präsident, der sich in der Ukraine-Krise stets unbeeindruckt von den Sanktionen des Westens gibt, wittert eine Öl-Verschwörung gegen Moskau: "Es wächst der Eindruck, dass die Politik bei der Preisgestaltung für Energieressourcen die führende Rolle spielt."
Der Grund für Putins Frust: Seit Juni ist der Preis für Brent-Öl um gut ein Drittel von 115 auf unter 73 Dollar je Barrel (159 Liter) eingebrochen. Russland, das ohnehin unter den Sanktionen ächzt, entgehen so nach eigenen Angaben über 100 Milliarden Dollar. Und der Preisverfall nimmt immer größere Ausmaße an.
Historischer Einbruch
"Das letzte Mal, als der Ölpreis derart fiel, war nach der Asien-Krise 1998", sagt Luca Paolini, Chefstratege bei der Schweizer Bank Pictet. Doch im Gegensatz zu damals wachse die Weltwirtschaft heute. "Ein fallender Ölpreis ist selten, wenn die Konjunktur anzieht."
Was sind die Gründe für den außergewöhnlichen Einbruch? Viel geht auf die Fracking-Technologie zurück, die den USA einen Rohstoffboom beschert. Mithilfe des Verfahrens will der einstige Rohstoffimporteur bis 2019 zum weltgrößten Ölexporteur aufsteigen. Schon in den vergangenen sieben Jahren haben die USA ihren Ausstoß um 70 Prozent gesteigert. Saudi-Arabien liefert daher vergünstigt Öl an die USA, um keine Marktanteile an die neue Konkurrenz zu verlieren.
Zugleich wächst die Weltwirtschaft schwächer als vorhergesagt: Europa und Japan kämpfen gegen eine Stagnation, große Schwellenländer wie Brasilien schwächeln, und selbst Chinas Wirtschaft wächst langsamer. Das bremst den globalen Ölbedarf. Das Ergebnis ist ein steigendes Angebot bei fallender Nachfrage - der "perfekte Sturm", wie es Léon Cornelissen, Chefvolkswirt beim Fondsanbieter Robeco, ausdrückt. Heute übersteigt die tägliche Produktionsmenge der Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) von täglich 30,6 Millionen Barrel die Nachfrage deutlich.
Um den Überschuss zu kappen und die Preise nach oben zu treiben, müsste die OPEC ihre Fördermenge beschränken. Doch bei einem Treffen in Wien am Donnerstag konnte sie sich darauf nicht einigen. Prompt fiel der Ölpreis noch weiter. Zwar profitieren die zwölf Mitgliedsländer allesamt von einem hohen Ölpreis, doch jeder Staat verfolgt seine eigenen Interessen - und hat obendrein die seiner Gegner im Blick.
Während Saudi-Arabien und Kuwait wohlhabend genug sind, um einen niedrigen Ölpreis eine Weile auszuhalten, brauchen Venezuela, Bahrain, Jemen und Iran jeden Öl-Dollar. Venezuela plädierte für eine Kürzung der Fördermenge. Doch die schwachen OPEC-Länder wollen selbst möglichst wenig beitragen.
70 Dollar sind das Minimum
Saudi-Arabien hat zudem kurzfristig nur ein eingeschränktes Interesse an teurem Öl. Steigt der Preis, stärkt das die amerikanische Konkurrenz, weil sich Fracking dann mehr rechnet. Umgekehrt könnte ein weiter fallender Ölpreis einige Fracking-Firmen an die Grenze der Rentabilität bringen und zumindest zeitweise die Produktion in den USA drücken. Einige amerikanische Firmen gaben an, dass sie einen Ölpreis von 70 Dollar für profitables Fracking brauchen. Am Ende gab die Weigerung Saudi-Arabiens, die Fördermenge zu senken, beim OPEC-Treffen den Ausschlag.
Manche Beobachter glauben ähnlich wie Putin an politische Absprachen. Sie vermuten, dass sich die verbündeten Staaten USA und Saudi-Arabien auf einen niedrigen Ölpreis geeinigt haben, um ihre jeweiligen Gegner - Russland und Iran - zu schwächen. Das sei der Grund, warum der weltgrößte Ölexporteur Saudi-Arabien dem Preisverfall tatenlos zusehe. US-Außenminister John Kerry heizte die Gerüchte mit einem süffisanten Kommentar an.
Doch selbst wenn sich die OPEC einigte, wäre ein Ölpreis auf dem Niveau der Vorjahre unwahrscheinlich. Kürzte sie die Fördermenge, würden andere Länder, die nicht der Organisation angehören, ihre Chance wittern und mehr Öl fördern. "Russland, Mexiko und Brasilien brauchen dringend Öleinnahmen", sagt Experte Cornelissen.
Zudem dürfte die globale Ölnachfrage weiter sinken. Wegen der schwächelnden Weltwirtschaft hat die Internationale Energiebehörde ihre Prognose für dieses Jahr um 250.000 Barrel pro Tag gekürzt, 2015 sollen es 90.000 Barrel weniger sein. Experten rechnen daher nur mit einer leichten Erholung des Ölpreises. Die Deutsche Bank etwa sieht Brent Ende 2015 bei 89 Dollar.
Der Verfall trifft neben Russland vor allem die Staaten im Nahen Osten und in Nordafrika. Sie haben seit 2009 ihre Ausfuhren von Öl und Gas beinahe verdoppelt und sind teils stark abhängig von hohen Preisen. In Libyen, Algerien, Kuwait und Katar tragen Rohstoffe über 80 Prozent zu den Exporten bei. Nicht alle haben genug Währungsreserven und Auslandsvermögen aufgebaut, um niedrige Ölpreise auszuhalten. Und das wirtschaftlich angeschlagene Venezuela, das 96 Prozent seiner Exporterlöse mit Öl erzielt, könnte nun in den Staatsbankrott schlittern.
Konjunkturstütze für den Westen
Auf der Gewinnerseite stehen die Importeure. China, einer der weltgrößten Rohstoffverbraucher, nutzt die günstigen Preise, um seine strategischen Ölreserven aufzustocken. Auch einigen Schwellenländern wie der Türkei und Indien kommt der niedrige Ölpreis zugute.
Vor allem aber profitieren die USA, Japan und die meisten Länder Europas. Schon jetzt zahlen Verbraucher weniger für Heizöl und Benzin. Gerade in den Vereinigten Staaten, wo der private Konsum 70 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht und der Energieverbrauch hoch ist, stützt das die Konjunktur.
Deutschland spart dank des Preisrückgangs jährlich rund 18 Milliarden Euro, rechnet Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, vor. Er erwartet in den kommenden Quartalen einen starken Binnenkonsum. Auf die Exporte der Firmen wirke sich das billige Öl weniger aus. Denn zumindest langfristig seien Preisänderungen in der Weltwirtschaft ein Nullsummenspiel: Während die Ölimporteure profitierten, verlören die Exporteure in gleichem Maße. "Das billige Öl wird die Konjunkturbelebung in Deutschland stützen, allein aber keine Wende herbeiführen", sagt Krämer.
Chancen an der Börse
Anleger, die vom niedrigen Ölpreis profitieren wollen, sollten daher vor allem auf US-Aktien setzen. An Europas Börsen dürfte sich der Verfall indirekt auswirken: Das billige Öl drückt auf die ohnehin schwache Inflation und setzt so die Europäische Zentralbank (EZB) unter Druck. "Fallende Ölpreise könnten der EZB mehr Spielraum geben, um aggressive Maßnahmen gegen eine drohende Deflation zu ergreifen", sagt Pictet-Chefstratege Paolini.
Unter den einzelnen Branchen dürften gerade Fluggesellschaften profitieren. Bei ihnen machen Ausgaben für Kerosin einen großen Teil der Kosten aus. Nach dem OPEC-Treffen legten ihre Kurse zu. Darüber hinaus sollte den Konsumaktien eine gute Stimmung bei den Verbrauchern zugutekommen. Aktien von Ölkonzernen dürften sich dagegen schlechter als der Gesamtmarkt entwickeln, weil sie nun weniger verdienen. Einige zahlen aber hohe Dividenden und machen gutes Geld mit nachgelagerten Geschäften abseits der Ölförderung. Profiteure des Preisverfalls finden Sie rechts in der Investor-Info.
Investor-Info
Ölpreis
Tiefer Einbruch
Brent-Öl, das als Maßstab für die Ölmärkte gilt, ist auf ein Vierjahrestief gefallen: Das Barrel (159 Liter) notiert weit unter 80 Dollar. Das Niveau der Vorjahre zwischen 100 und 120 Dollar rückt in weite Ferne.
Total
Üppige Dividende
Zwar ist das Kurspotenzial des Ölkonzerns vorerst begrenzt. Doch da die Aktie seit Juni korrigiert hat, ist sie recht günstig bewertet. Auch die Ausschüttungspolitik spricht für sie: Binnen zehn Jahren wurde die Dividende acht Mal erhöht und nie gesenkt. Die Dividendenrendite liegt über fünf Prozent.
Fidelity Consumer Industries
Spendablere Verbraucher
Verbraucher zählen zu den größten Profiteuren des Ölpreisverfalls. Das dürfte auch Konsumgüterfirmen zugutekommen. Mit dem Fonds, der vor allem auf amerikanische und britische Aktien baut, können Anleger auf die weltweite Konsumgüterbranche setzen. Das größte Gewicht haben Nestlé, Procter & Gamble und der US-Einzelhändler CVS Caremark.
NYSE Arca Airline Zertifikat
Geringere Kosten
Mit dem Zertifikat können Anleger auf einen Aufschwung bei Aktien von Fluggesellschaften setzen, die dank des billigen Öls nun kräftig Kosten sparen. Das Papier, das eine endlose Laufzeit hat, bildet rund 20 Airlines weltweit ab, deren Einzelgewichte und Heimatländer automatisch begrenzt werden.
Weitere Links:
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