Bilanzskandal |
23.07.2020 16:08:42
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Wirecard-Untersuchung in Philippinen hat 2 Bankangestellte im Visier
Wirecard hatte behauptet, dass rund 1,9 Milliarden Euro in bar aus seinen Büchern auf Konten bei zwei philippinischen Banken transferiert worden seien. Beide Banken - Banco de Oro und Bank of the Philippine Islands - bestreiten die Existenz der Konten, und nach Angaben von Regierungsbeamten ist das Geld nie in das Finanzsystem des Landes gelangt. Wirecard teilte später mit, das Geld habe wahrscheinlich überhaupt nie existiert.
Mel Georgie Racela, Exekutivdirektor des philippinischen Anti-Money Laundering Council (AMLC), einer Regierungsbehörde, sagte, dass sich die Ermittler auf zwei "betrügerische Bankangestellte" konzentrieren - einen von der Banco de Oro und einen von der Bank of the Philippine Islands. Er sagte, die ersten Ergebnisse des Councils deuteten darauf hin, dass sie die Dokumente gefälscht hätten, mit denen Wirecard den Wirtschaftsprüfer Ernst & Young über die Existenz und den Aufbewahrungsort der fehlenden Gelder in die Irre geführt habe.
Die beiden Bankangestellten, die nach den ersten Erkenntnissen "im Tausch gegen finanziellen Gewinn" handelten, seien entlassen worden. Racela sagte, die Strafverfolgungsbehörden würden die Ergebnisse des Councils untersuchen und Strafanzeigen in Betracht ziehen.
Racela sagte, dass die AMLC über mehr als 55 weitere Personen und Organisationen Informationen einholt.
Die Banco de Oro und die Bank of the Philippine Islands reagierten nicht auf Bitten um Stellungnahme.
Regulierungsbehörden, darunter Deutschlands oberster Finanzaufseher Bafin, werden von Investoren und Politikern heftig kritisiert, weil sie nicht früher auf Bedenken in Bezug auf Wirecards Bilanzierungspraktiken reagiert haben. Behörden in mehreren Ländern, darunter Großbritannien, Deutschland, Singapur und die Philippinen, haben Untersuchungen zu diesen Praktiken eingeleitet.
Chuchi G. Fonacier, stellvertretende Gouverneurin für den Finanzaufsichtssektor bei der philippinischen Zentralbank, sagte, der Finanzsektor des Landes trage keine Schuld. "Dies wird dem Ruf der Philippinen nicht schaden, da unsere strengen Aufsichtsprotokolle die Probleme proaktiv identifiziert und angegangen haben", sagte Fonacier. "Dieser Fall ist ein Beweis für schlechte Akteure, kein Beweis für irgendein Verschulden des philippinischen Bankensystems".
Zu den Personen, die für die philippinischen Behörden von Interesse sind, gehört der Rechtsanwalt Mark Tolentino. Tolentino wurde nach Angaben von mit dem Unternehmen vertrauten Personen auf den gefälschten Bankdokumenten als der Treuhänder von Wirecard identifiziert. Racela sagte, dass Tolentino als möglicher Gatekeeper angesehen wird, eine Bezeichnung für einen Anwalt oder einen anderen Mitarbeiter außerhalb der Bank, der als vertrauenswürdiger Vermittler fungiert.
Tolentino reagierte nicht auf Bitten um Stellungnahme. Er hatte schon früher durch eine Erklärung seines Anwalts bestritten, dass Fremdwährungskonten, die im Namen seiner Anwaltskanzlei eröffnet wurden, mit Wirecard in Verbindung stehen und behauptet, er sei Opfer eines Identitätsdiebstahls geworden.
Deutsche Ermittler haben philippinischen AMLC um Unterstützung gebeten
Die deutschen Ermittlungsbehörden haben laut Racela den AMLC um Unterstützung gebeten. "Wenn die deutschen Behörden Informationen über irgendeine Art von krimineller Aktivität weitergeben, werden wir ihnen die notwendigen Informationen zur Verfügung stellen", sagte Racela. "Wir sind für alle Optionen offen."
Der dramatische Niedergang von Wirecard begann, nachdem ein Whistleblower in Singapur 2018 die Compliance-Verantwortlichen alarmiert hatte, dass lokale Finanzangestellte Dokumente gefälscht hatten, um das Unternehmen profitabler erscheinen zu lassen. Ein Bericht der Financial Times über den Whistleblower löste eine Untersuchung durch Singapurs Behörden aus, die andauert.
Leerverkaufende Investoren behaupteten auch, dass Wirecard Third-Party-Partner eingesetzt habe, die damit beauftragt waren, Zahlungen in Ländern einzuziehen, in denen das Unternehmen keine Betriebslizenz hatte, um das Geschäft größer erscheinen zu lassen, als es tatsächlich war.
Drei solche Partner mit Sitz in Dubai, Singapur und auf den Philippinen sind laut einer KPMG-Sonderprüfung sowie Dokumenten, in die das Wall Street Journal Einsicht hatte, für einen großen Teil der Einnahmen von Wirecard verantwortlich.
Wirecard beauftragte KPMG im vergangenen Oktober mit der Sonderprüfung zu den Vorwürfen. Im April teilte KPMG mit, man könne nicht bestätigen, ob die Einnahmen auch tatsächlich existierten, nachdem Third-Party-Partner die Kooperation verweigert hatten.
Wirecards Marktwert stürzte ab, als der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young sich weigerte, die Jahresabschlüsse des Unternehmens zu testieren, denn er bezweifelte die Echtheit der Briefe von den beiden philippinischen Banken, die angeblich 1,9 Milliarden Euro in treuhänderisch verwalteten Konten hielten.
Third-Party-Akquirer im Mittelpunkt der Staatsanwaltschafts-Ermittlungen
Die Third Parties stehen nun im Mittelpunkt der Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft zu Wirecards Niedergang.
Am Mittwoch haben die Staatsanwälte den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun ein zweites Mal verhaftet, nachdem er zuvor festgenommen und gegen Kaution freigelassen worden war. Zwei weitere ehemalige Führungskräfte des Konzerns wurden ebenfalls festgenommen. Die Staatsanwaltschaft begründet die Festnahmen unter anderem mit Beweisen, die darauf hindeuten, dass die Beschuldigten ab 2015 Einkünfte aus Geschäften mit den sogenannten Third-Party-Acquirern vorgetäuscht haben, um die verlustreichen Geschäfte des Unternehmens profitabel erscheinen zu lassen. Braun hat Fehlverhalten bestritten.
Brauns rechte Hand, der ehemalige Chief Operating Officer Jan Marsalek, ist seit seiner Entlassung Ende Juni auf der Flucht. Die philippinischen Einreiseunterlagen, aus denen hervorzugehen scheint, dass Marsalek durch das Land gereist ist, könnten gefälscht worden sein, haben Regierungsbeamte bereits zuvor gesagt. Jüngste Berichte der Investigativ-Plattform Bellingcat und des Spiegel zufolge könnte er sich in Belarus oder Russland aufhalten. Die Behörden in beiden Ländern reagierten nicht auf Bitten um Stellungnahme.
Die Wirecard-Aktie verliert via XETRA zwischenzeitlich 6,51 Prozent auf 1,69 Euro.
DJG/DJN/uxd/jhe
MANILA (Dow Jones)
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