Dieselskandal 17.07.2023 17:52:00

VW-Aktie leichter: Erstes Urteil zu VW-Sammelklagen in Österreich - VKI beruft gegen zu geringen Schadenersatz

VW-Aktie leichter: Erstes Urteil zu VW-Sammelklagen in Österreich - VKI beruft gegen zu geringen Schadenersatz

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) signalisierte 2022 zudem, dass das von VW verwendete Thermofenster unzulässig ist. Jetzt gibt es ein erstes Urteil zu einer Sammelklage in Österreich. Das Gericht bejaht die VW-Haftung, so der VKI, der aber gegen den aus seiner Sicht zu geringen Schadenersatz beruft.

Der vom Landesgericht St. Pölten durchschnittlich vorgesehene Schadenersatz von 4 Prozent des Kaufpreises liegt aus Sicht des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) nämlich "deutlich unter der Messlatte", hieß es in einer Aussendung am Montag. Das Landesgericht St. Pölten weiche massiv von zahlreichen weitaus höheren Zusprüchen anderer österreichischer Gerichte in Einzelverfahren ab.

Für einige Betroffene mit bestimmten Fahrzeugmodellen sei außerdem gar kein Schadenersatz vorgesehen. "Damit wird auch die aktuelle Rechtsprechung des deutschen BGH zum Schadenersatz bei Thermofenstern vom Landesgericht St. Pölten nicht berücksichtigt", schreibt der VKI und begründet damit seine Berufung gegen das Urteil.

"Ein so geringer Schadenersatz ist in vielerlei Hinsicht nicht nachvollziehbar", kommentiert VKI-Chefjurist Thomas Hirmke das Urteil. Das dem Urteil zugrunde liegende Sachverständigen-Gutachten weise einige Mängel auf. Das habe man schon im Verfahren versucht, klarzumachen. "Wesentliche Punkte rund um die Datenbasis aus der sogenannten Eurotax-Liste wurden nicht berücksichtigt. Nicht umsonst kommen Sachverständige in zumindest 100 österreichischen Einzelverfahren zu Schadenersatz zwischen 10 und 30 Prozent des bezahlten Kaufpreises." Das sei im Durchschnitt das Fünffache des vom Landesgericht St. Pölten zugesprochenen Betrages, so Hirmke.

Allerdings spricht das St. Pöltener Gericht auf Basis eines Sachverständigengutachtens - abweichend von zahlreichen Einzelverfahren - im Durchschnitt nur 4 Prozent des Kaufpreises als Schadenersatz zu. Besitzerinnen mancher Skoda- und Seat-Modelle sollen zudem keinen oder nur einen sehr geringen Schadenersatz bekommen. Der Ersatz geht nach dem Sachverständigengutachten in vielen Fällen oft nicht über 200 Euro hinaus.

Im Verfahren in St. Pölten vertritt der VKI 700 Betroffene, für die ein Schaden von rund 4 Millionen Euro geltend gemacht wird. Eingeklagt wurden wie in allen Sammelklagen des VKI 20 Prozent des bezahlten Kaufpreises. Es handelt sich um eine von 16 Sammelklagen, die vom VKI im Auftrag von Sozialministerium und Arbeitskammer (AK) und mit dem Prozessfinanzierer Omni Bridgeway bei den jeweiligen Landesgerichten Österreichs eingebracht wurden.

Insgesamt beträgt der Streitwert dieser Sammelklageaktion 60 Millionen Euro. Rund 10.000 Geschädigte werden dabei vom VKI vor Gericht vertreten.

Das Landesgericht St. Pölten weist laut VKI in seinem aktuellen Urteil alle Einwendungen von VW zur angeblich nicht bestehenden Haftung zurück und bestätigt, dass es sich bei der ursprünglichen "Umschaltlogik" um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, ebenso beim Thermofenster. Der Schaden ist dem Gericht zufolge zum Ankaufszeitpunkt zu bestimmen und eine allfällige Vorteilsanrechnung findet nicht statt.

Auch das vor kurzem erfolgte Urteil des deutschen BGH bleibe in der aktuellen Entscheidung des Landesgerichts St. Pölten unberücksichtigt. Demnach würde Betroffenen bereits bei fahrlässigem Einbau eines Thermofensters - auch wegen des gebotenen Abschreckungseffekts - 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises zustehen. "Wenn schon bei fahrlässiger Schädigung durch das Thermofenster 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises als Schadenersatz zustehen, dann muss der Schadenersatz bei vorsätzlicher Schädigung im Zusammenhang mit der ursprünglichen Manipulation der Software insgesamt zwingendermaßen höher sein", folgert Hirmke. "Man müsste daher von einem Schaden von zumindest 15 Prozent des Kaufpreises ausgehen können."

Schlussendlich sei der zugestandene Schadenersatz auch nicht mit dem von VW in Deutschland geschlossenen Massenvergleich mit 260.000 Fahrzeugbesitzern in Einklang zu bringen. Denn dort wurden im Durchschnitt rund 15 Prozent des Schadens von VW bezahlt. Offensichtlich ein Betrag, den auch VW selbst als angemessen erachtet, glaubt der VKI.

"Wir werden daher weiter um eine angemessene Entschädigung für die Betroffenen kämpfen", sagt Hirmke. "Es ist auch überhaupt kein Grund ersichtlich, warum von VW geschädigte Kundinnen und Kunden in Österreich schlechter gestellt werden sollten als in Deutschland".

Von der FPÖ kam Lob für die Arbeit des VKI. Man würde sich aber wünschen, dass die Regierung die Rolle des Vereins stärken würde. Hingegen drohe ein Kaputtsparen, so der freiheitliche Konsumentenschutzsprecher Peter Wurm in einer Aussendung. Der VKI sei vom Gutdünken der Regierungsparteien ÖVP und Grüne abhängig, weil das VKI-Finanzierungsgesetz aus dem aktuellen Budget gestrichen und der Verein nur "mit unverbindlichen Finanzierungszusagen abgespeist" worden sei.

Laut Angaben von Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) im Konsumentenschutzausschuss des Parlaments vom Mai sei die Finanzierung aber bis 2025 gesichert. Wurm warnt jedenfalls vor einer stückweisen Zerschlagung des VKI und forderte Neuwahlen.

Beim VW-Dieselskandal handelt es sich praktisch schon um eine unendliche Geschichte. Es beschäftigt Verbraucher, deren Schützer, VW, Anwälte und Gerichte seit vielen Jahren. Mittlerweile gibt es in Europa laut VKI eine deutliche Anzahl an unterinstanzlichen und auch höchstgerichtlichen Entscheidungen, zuletzt mehrfach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Zusammenhang mit dem sogenannten Thermofenster. Der EuGH hatte etwa in seinem Urteil vom heurigen 21. März nochmals bestätigt, dass ein in den Fahrzeugen enthaltenes Thermofenster nur unter unwahrscheinlichen Rahmenbedingungen zulässig sein könnte - mit der Konsequenz, dass den Betroffenen ein angemessener Schadenersatz zusteht.

Seit Februar 2023 liegt auch die erste Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) zu einem österreichischen Fall vor. Demnach muss VW das betroffene Fahrzeug auf Wunsch zurücknehmen und den Kaufpreis zurückzahlen.

Die VW-Aktie notierte im XETRA-Handel am Montag schlussendlich 0,89 Prozent tiefer bei 122,06 Euro.

phs/bel

APA

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