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VW-Prozess 14.02.2024 15:43:00

VW-Aktie gibt ab: Ex-Chef Martin Winterkorn sagt in Diesel-Skandal als Zeuge aus - Werk in Xinjiang auf Prüfstand

VW-Aktie gibt ab: Ex-Chef Martin Winterkorn sagt in Diesel-Skandal als Zeuge aus - Werk in Xinjiang auf Prüfstand

Langsam und gemächlich geht Martin Winterkorn aus einem Nebenzimmer in den Gerichtssaal. Mit dem rechten Bein humpelt er und beim Hinsetzen stützt er sich am Zeugentisch ab - mehrere Operationen haben ihre Spuren hinterlassen. Mit einem klaren "Guten Morgen" grüßt er in den Saal und macht direkt zu Beginn seine Botschaft klar: Hätte er was gewusst, hätte er gehandelt. "Notfalls wäre ich selbst in die USA geflogen und hätte vertraulich mit den Behörden gesprochen."

Der frühere Volkswagen-Konzernchef ist als Zeuge beim Oberlandesgericht Braunschweig geladen. Das verhandelt seit 2018 aus Platzgründen in der Stadthalle über möglichen Schadenersatz für Investoren, die nach dem Auffliegen des Skandals Kursverluste erlitten hatten. Derzeit geht es rund 4,4 Milliarden Euro. "Ich habe mich entschieden, hier als Zeuge auszusagen, um meinen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhaltes im sogenannten Diesel-Komplex zu leisten", sagt der 76-Jährige zum Einstieg in einer persönlichen Erklärung.

Winterkorn: Wurde spät und unvollständig informiert

Erst "sehr spät" und "zunächst nur unvollständig" will Winterkorn von Problemen mit den US-Behörden erfahren haben. "Wäre mir ein vollständiges Bild von den internen Vorgängen in den verantwortlichen Fachabteilungen vermittelt worden, hätte ich nicht gezögert, die Vorgänge direkt anzugehen und aufzuklären", sagt Winterkorn. In Entscheidungen zur Entwicklung und den Einsatz der Schummelsoftware, die den Konzern in die schwerste Krise seiner Geschichte stürzte, sei er nicht eingebunden gewesen.

Im September 2015 kam heraus, dass VW statt des Einsatzes teurerer Abgastechnik die Messwerte mithilfe versteckter Software-Codes fälschte. Diese sorgten dafür, dass bei Tests voll gereinigt wurde, im Straßenbetrieb jedoch ein Vielfaches der Emissionen auftrat. Die Kosten für die "Folgen der Dieselthematik" bezifferte der Autobauer auf rund 32 Milliarden Euro. "Ich habe diese Funktion weder gefordert noch gefördert oder ihren Einsatz auch nur geduldet", sagt Winterkorn nun vor Gericht.

Gericht taucht schnell in technische Tiefen

Richter Christian Jäde bittet Winterkorn, seinen Werdegang bis an die Spitze des Autogiganten nachzuzeichnen. Sofort danach taucht das Gericht in die technischen Tiefen. Jäde zeigt dem Diplom-Ingenieur Winterkorn einen Artikel aus dem Jahr 2000, den dieser mitverfasst haben soll. Der Richter legt Folien aus dem Jahr 2005 auf, die mit "Strategische Betrachtung NOx-Nachbehandlungssysteme" überschrieben sind. Später geht es um den Harnstoffverbrauch. Dem Senat gehe es gar nicht immer um die Details, erklärt der Richter, vielmehr wolle man hören, in welchem Maß Winterkorn bei Problementwicklungen im Konzern informiert war.

Teils antwortet Winterkorn: "Daran kann ich nicht erinnern." An anderer Stelle sagt er: "Das ist mir sehr präsent, weil es ja eine Grundsatzentscheidung betrifft." In seinen Ausführungen kommt aber in jedem Fall der detailversessene Technik-Freak durch, als der "Mr. Volkswagen" so häufig beschrieben wurde. Auch sein Führungsstil schimmert durch: "Wenn ein Entwicklungsprojekt über zwei, drei Jahre keine Probleme hat, sind die Ziele zu lasch formuliert", sagt Winterkorn und löst einige Lacher im Saal aus.

Winterkorn: Vorwürfe sind unzutreffend

Verantwortung für den Dieselskandal beim Autobauer weist Winterkorn in seinem ersten Auftritt vor Gericht entschieden zurück. "Ich halte diese Vorwürfe für unzutreffend", sagt der 76-Jährige mit Blick auf die beiden Strafverfahren, die ebenfalls in Braunschweig gegen ihn anhängig sind. Am Landgericht ist er unter anderem wegen gewerbsmäßigen Betrugs und uneidlicher Falschaussage im Untersuchungsausschuss des Bundestags angeklagt. In einem zweiten Verfahren geht es um Verstöße gegen das Wertpapierhandelsgesetz, bei denen ihm vorgeworfen wird, trotz Kenntnis den Kapitalmarkt nicht rechtzeitig informiert zu haben.

Ab wann diese Verfahren mit Winterkorn als Angeklagtem verhandelt werden, ist noch unklar. Nach Angaben des Landgerichts Braunschweig gibt es zumindest ein neues medizinisches Gutachten, nach dem auch die Verhandlungsfähigkeit des 76-Jährigen ab September 2024 wieder gegeben sein dürfte. Mit Blick auf diese Verfahren will sich Winterkorn im Zivilprozess nicht zu Ereignissen zwischen dem 27. Juli 2015 und seinem Rücktritt am 23. September äußern. "Hier mache ich insoweit von meinem Recht auf Auskunftsverweigerung Gebrauch", sagt er zum Abschluss seines Statements.

Klägerseite enttäuscht

Die Befürchtung, dass sich Erinnerungen von Professor Winterkorn doch sehr erblasst sind, habe sich leider bewahrheitet, sagt Axel Wegner in einer Pause als Anwalt für die Klägerseite. "Wir hätten dennoch erwartet, dass er sich in der Vorbereitung intensiver mit den Unterlagen befasst und etwas genauer Auskunft geben kann", lautet seine erste nüchterne Bilanz zum Winterkorn-Auftritt vor Gericht.

VW verhandelt mit China-Partner über Zukunft des Werks in Xinjiang

Nach dem Chemiekonzern BASF prüft nun auch Volkswagen eine Neuordnung seiner Aktivitäten in der chinesischen Region Xinjiang. Hintergrund sind Berichte über mögliche Menschenrechtsverletzungen. "Der Volkswagen Konzern befindet sich derzeit in Gesprächen mit dem nicht kontrollierten Joint Venture Saic-Volkswagen über die künftige Ausrichtung der Geschäftsaktivitäten in der Provinz Xinjiang", sagte ein Konzernsprecher am Mittwoch der Finanznachrichtenagentur dpa-AFX und der Deutschen Presse-Agentur. "Derzeit werden verschiedene Szenarien intensiv geprüft." Ob dabei auch ein Rückzug aus der Region zur Diskussion steht, ließ der Sprecher auf Nachfrage offen. Zum Inhalt der laufenden Gespräche äußere man sich nicht.

Der 2013 eröffnete VW-Standort Urumqi steht wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen in der von Uiguren bewohnten Provinz in der Kritik. Der Autokonzern hatte im Sommer ein Unternehmen beauftragt, die Arbeitsbedingungen in dem umstrittenen Werk in Xinjiang mit Blick auf die Vorwürfe zu untersuchen. Die Prüfer teilten im Dezember mit, man habe keine Hinweise auf oder Belege für Zwangsarbeit bei den Mitarbeitenden finden können.

VW hatte bisher darauf verwiesen, dass es sich bei dem Werk Urumqi in Xinjiang um ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem chinesischen Hersteller Saic handele, bei dem der Partner die Kontrollmehrheit habe. Der Vertrag läuft eigentlich noch bis 2029.

Neue Vorwürfe rund um Bau einer Teststrecke

Am Mittwoch berichtete das "Handelsblatt", beim Bau einer zum Standort gehörenden Teststrecke im Ort Turpan in der Region könnten Zwangsarbeiter zum Einsatz gekommen sein. Die Zeitung beruft sich dabei auf Hinweise von VW-Mitarbeitenden sowie Nachforschungen des Wissenschaftlers Adrian Zenz. Ein VW-Sprecher teilte mit, bisher hätten dem Konzern keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Testgelände vorgelegen. Bei neuen Erkenntnissen oder Hinweisen werde VW diesen nachgehen und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Die Teststrecke sei nicht Teil der Überprüfung der Geschäfte in Xinjiang durch das Beratungsunternehmen gewesen, räumte VW dabei ein. "Eine Auditierung der Teststrecke in Turpan im Rahmen des zurückliegenden ESG-Audits am Standort Urumqi war nicht möglich", hieß es von den Wolfsburgern. Die beiden Einrichtungen gehörten unterschiedlichen Betreibergesellschaften. Eine eigene Überprüfung des Testgeländes in Turpan hätte mit dem chinesischen Joint-Venture-Partner Saic sowie den zuständigen Stellen in China abgestimmt und von diesen genehmigt werden müssen. "Zunächst hatte eine Prüfung des Joint-Venture-Werkes in Urumqi Priorität", teilte VW mit. Auch zum Vorgehen im Hinblick auf das Testgelände stehe man nun mit Saic im Austausch.

BASF kündigt Rückzug aus Xinjiang an - Forderungen von Politikern

Der BASF-Konzern hatte am Freitag angekündigt, Anteile an seinen beiden Joint Ventures im chinesischen Korla im Zentrum der Region Xinjiang zu verkaufen, und dabei auch auf jüngste Berichte über mögliche Menschenrechtsverletzungen verwiesen. Mehrere Politiker hatten daraufhin Volkswagen aufgefordert, dies ebenfalls zu tun.

"Volkswagen spricht gerne von Integrität und Vorbildfunktion unabhängig von ökonomischem oder sozialem Druck", sagte am Mittwoch die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Gyde Jensen dem "Handelsblatt". "Wer sich diesem Grundsatz wirklich verpflichtet fühlt, der verabschiedet sich aus Xinjiang." Der menschenrechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Brand (CDU), forderte im "Tagesspiegel" die Schließung des VW-Werks in Xinjiang: "Eigentlich ist der Skandal bei VW noch einmal größer als bei der BASF, weil das Land Niedersachsen sich als Anteilseigner mitschuldig macht." Das von einer rot-grünen Koalition geführte Niedersachsen hält eine Beteiligung von 20 Prozent der Stimmrechte am Volkswagen-Konzern.

"Die Berichterstattung zu den Bedingungen, unter denen die Teststrecke in Turpan errichtet wurde, ist besorgniserregend", hieß es von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der auch im Aufsichtsrat des Konzerns sitzt. Die Landesregierung in Hannover nehme die Hinweise auf mögliche Zwangsarbeit sehr ernst. "In allen Geschäftsaktivitäten von Volkswagen und seinen Partnern müssen die elementaren Grund- und Menschenrechte eingehalten werden. Die Landesregierung begrüßt, dass der Konzern diesen neuen Hinweisen sehr konsequent nachgehen wird."

Weniger als 200 Mitarbeitende im VW-Werk

Der Standort Urumqi hat nach früheren VW-Angaben nur noch rund 197 Mitarbeitende, die dort ausschließlich Fahrzeuge für die Auslieferung vorbereiten. Die Autoproduktion wurde am Standort inzwischen eingestellt, die Mitarbeiterzahl von einst 650 deutlich reduziert.

Zuletzt hieß es Anfang Februar von Volkswagen, man nehme seine Verantwortung als Unternehmen im Bereich der Menschenrechte weltweit sehr ernst - auch in China. Man halte sich eng an die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.

Uiguren, Angehörige anderer Minderheiten und Menschenrechtsorganisationen berichten seit Jahren, dass Hunderttausende Menschen in Xinjiang gegen ihren Willen in Umerziehungslager gesteckt, zum Teil gefoltert und zu Zwangsarbeit gezwungen würden. Die chinesische Regierung bestreitet diese Vorwürfe.

Investoren bemängeln VW-Engagement in China

Die Geschäfte in der chinesischen Provinz sind für VW auch deshalb heikel, weil große Fondsgesellschaften für ein Investment ihrer an Nachhaltigkeit ausgerichteten sogenannten ESG-Fonds (ESG - Environment, Social, Governance) bestimmte Kriterien einfordern. Der große Anbieter MSCI etwa hatte Volkswagen daher bis zu den Ergebnissen der Prüfung im Dezember mit einem Warnvermerk ("red flag") versehen. Konzernchef Oliver Blume hatte die Überprüfung in Xinjiang im vergangenen Jahr auch deswegen in die Wege geleitet.

Am Mittwoch kündigte die Volks- und Raiffeisenbanken-Fondstochter Union Investment in Reaktion auf die Berichterstattung des "Handelsblatt" Konsequenzen an. "Damit ist Volkswagen für unsere nachhaltigen Publikumsfonds jetzt nicht mehr investierbar", schrieb der für die Ausrichtung von ESG-Fonds verantwortliche Manager Janne Werning.

Im Mittwochshandel auf XETRA verliert die Vorzugsaktie von Volkswagen zeitweise 0,40 Prozent auf 118,14 Euro.

BRAUNSCHWEIG (dpa-AFX)

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Bildquelle: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images,Gl0ck / Shutterstock.com,Sean Gallup/Getty Images

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