Überlebenskampf |
22.07.2024 17:53:00
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Varta-Aktie verliert fast 70 Prozent: Umfassende Restrukturierung geplant - Aktienkapital soll auf Null gesetzt werden
"Die neuesten Entwicklungen verschlechtern die Situation für Aktionäre nochmals deutlich", kommentierte Analyst Michael Punzet von der DZ Bank. "Die angestrebte finanzielle Neuaufstellung der Varta AG geht deutlich zulasten der bestehenden Aktionäre und Gläubiger." Der Experte senkte den fairen Wert der Aktien von 8 Euro auf 0 Euro.
Varta ist schon länger schwer angeschlagen. Das einst brummende Geschäft mit wiederaufladbaren Lithium-Ionen-Knopfzellen unter anderem für damals boomende kabellose Kopfhörer musste wegen zurückhaltender Verbraucher und Konkurrenz aus Asien schwere Dämpfer einstecken. Das Geschäft mit Wallboxen zum Speichern von Strom unter anderem für das Aufladen von Elektroautos kam zudem nicht recht in Schwung. Der Aktienkurs ist schon länger auf Talfahrt.
So wurde Varta 2017 für 17,50 Euro an die Börse gebracht und war lange Zeit gefragt. Anfang 2021 war der Kurs bis auf 181,30 Euro gestiegen. Seither geht es aber nach unten. Am Montag kosteten die Papiere zuletzt nur noch 3,65 Euro. Der Börsenwert des Unternehmens lag damit bei noch rund 155 Millionen Euro. Etwas mehr als die Hälfte der Aktien sind im Eigentum von Montana Tech Components, die wiederum dem Aufsichtsratschef Michael Tojner gehört.
Während die Mitteilung vom Sonntag die Sicherung von Arbeitsplätzen und den Schutz von Gläubigerinteressen hervorhob, enthielt sie für die bisherigen Aktionäre eine bittere Nachricht: Beide der Gesellschaft vorliegenden Restrukturierungsvorschläge sehen eine vereinfachte Herabsetzung des Grundkapitals der Gesellschaft auf null Euro verbunden mit einer anschließenden Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss und unter Ausgabe neuer Aktien vor.
Da die bestehenden Anteilseigner dem entschädigungslosen Verlust ihres gesamten Aktienpakets und dem vollständigen Herausdrängen aus dem Unternehmen nach Einschätzung von Varta kaum mit der erforderlichen Mehrheit von 75 Prozent des anwesenden Grundkapitals zustimmen dürften, soll das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) zum Tragen kommen.
Dieses sieht vor, dass einzelne Aktionäre oder Gläubiger keine Rechte mehr haben, um ein operativ lebensfähiges Unternehmen nicht im Bestand zu gefährden. Dabei soll auch ein Schuldenschnitt vorgenommen werden, dem die Gläubiger laut Mitteilung aber nur zustimmen würden, wenn das Eigenkapital auf null herabgesetzt wird.
Varta habe einen finanziellen Bedarf im hohen zweistelligen Millionen-Euro-Bereich. Zur Deckung sei auch die Beteiligung von Finanzgläubigern und Investoren vorgesehen. Hierzu liefen aktuell Verhandlungen unter anderem mit dem bisherigen Mehrheitseigentümer Michael Tojner, der auch Aufsichtratschef ist, und dem Sportwagenbauer Porsche AG, der zum Volkswagen-Konzern gehört. Dieser hatte erst zu Monatsanfang mitgeteilt, Varta das Geschäft für Elektroautobatterien abkaufen zu wollen.
Erst zu Beginn des Monats war bekanntgeworden, dass die Volkswagen-Tochter mit Varta über eine Übernahme des E-Auto-Batteriegeschäfts verhandelt. Die beiden Unternehmen arbeiten bei Hochleistungs-Batteriezellen eng zusammen.
Die Zuffenhausener bestätigte Verhandlungen: "Das Ziel unseres Engagements wäre, diese Schlüsseltechnologie am Standort Deutschland zu erhalten", hieß es. Voraussetzung dafür sei eine gesunde finanzielle Basis von Varta: "Unter bestimmten Umständen könnten wir uns daher vorstellen, uns auch an einer finanziellen Neuaufstellung der Varta AG insgesamt zu beteiligen." Die Zellen von Varta sollen in der 911er-Baureihe zum Einsatz kommen.
Restrukturierung sieht Schuldenschnitt vor
Zudem soll es einen Schuldenschnitt geben. Bei den Verbindlichkeiten, die Varta großen Kreditgebern wie Banken und Hedgefonds schuldet, geht es dem Vernehmen nach um eine Summe von knapp einer halben Milliarde Euro. Gläubigervertreter setzen daher darauf, enger in die geplanten Rettungsschritte eingebunden zu werden.
Mehrheitseigner Tojner zufolge ist das Verfahren die einzige Möglichkeit, dem Unternehmen eine gute Perspektive zu geben. "Gemeinsam mit dem Management wurden alle Alternativen abgewogen, die Entscheidung ist keinem leichtgefallen.". Wichtigstes Ziel sei gewesen, die Schuldenlast zu reduzieren. Um das laufende Geschäft zu stabilisieren, reiche das Kapital nicht. "Wir müssen diesen Schritt setzen, um Varta eine Zukunft zu geben, fast 4.000 Arbeitsplätze zu sichern und das Unternehmen als Wirtschaftsfaktor in der Region und vor allem als Technologieträger für Europa zu erhalten."
Große Gläubiger sehen den heute skizzierten Plan nach Informationen aus Finanzkreisen skeptisch, da sie von der geplanten Kapitalerhöhung ausgeschlossen würden. Die Möglichkeit, nach dem Kapitalschnitt frisches Geld zu geben und damit weiter am Unternehmen beteiligt zu sein, bliebe dem bisherigen Mehrheitsaktionär und Porsche vorbehalten. Diese widerspreche einer fairen Gleichbehandlung.
Das ist nach Einschätzung großer Gläubiger allerdings eine Voraussetzung, damit das StaRUG-Verfahren überhaupt Chancen auf Erfolg habe. Den Kreise-Informationen zufolge wurden die von den großen Gläubigern gemachten Vorschläge, die bereits seit einiger Zeit vorliegen, bisher nicht ausreichend gewürdigt. Und dies, obwohl Varta-Chef Michael Ostermann in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters am Sonntag beteuerte, beide Vorschläge zum Wohle von Varta prüfen zu wollen.
Bei den Verbindlichkeiten, die Varta großen institutionellen Kreditgebern wie Banken und Hedge-Fonds schuldet, geht es dem Vernehmen nach um einen Konsortialkredit und Schuldscheine in der Summe von knapp einer halben Milliarde Euro. Gläubigervertreter setzen daher darauf, enger in die geplanten Rettungsschritte eingebunden zu werden.
Gericht: Varta-Anzeige zu Sanierungsverfahren eingegangen
Der strauchelnde Batteriekonzern hat beim Amtsgericht Stuttgart ein sogenanntes vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren angemeldet. Eine entsprechende Anzeige sei eingegangen, bestätigte ein Gerichtssprecher auf Anfrage.
Varta brechen fast 70 Prozent ein - Kapitalschnitt droht
Ein drohender Totalverlust schockiert am Montag die Anleger von Varta angesichts des vom Batteriehersteller angekündigten Restrukturierungsvorhabens. Die Aktie sackte gleich zum Handelsstart auf ein Rekordtief von 2,102 Euro. Letztlich schlug ein Minus von 68,51 Prozent auf 3,25 Euro zu Buche.
Um eine Insolvenz abzuwenden, hatte Varta bekannt gegeben, sich entsprechend dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) neu aufzustellen, womit aber die bisherigen Aktionäre aus dem Unternehmen gedrängt werden. Die DZ Bank und Warburg Research reagierten prompt und setzten den fairen Wert beziehungsweise das Kursziel für die Aktie angesichts des drohenden Kapitalschnitts auf 0 Euro.
Zwar könnte Varta auf die angekündigte Weise womöglich die Arbeitsplätze und den Fortbestand des Unternehmens sichern, doch "die avisierte vereinfachte Herabsetzung des Grundkapitals der Gesellschaft (Kapitalschnitt) würde zu einem kompensationslosen Ausscheiden der Aktionäre aus der Gesellschaft und zu einem Erlöschen der Börsennotierung der Aktien der Varta AG führen", erklärt Michael Punzet von der DZ Bank. Die angestrebte finanzielle Neuaufstellung gehe deutlich zulasten der bestehenden Aktionäre und Gläubiger.
Mit dem geplanten Schritt "verlieren die bisherigen Aktionäre ihre Beteiligung an Varta entschädigungslos", konstatiert auch Robert-Jan van der Horst von Warburg. Er verwies darauf, dass Varta nun eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen werde, die kurzfristig angekündigt werden solle. "Gemäß dem StaRUG könnte die Umstrukturierung allerdings auch ohne Zustimmung der Aktionäre umgesetzt werden", gibt er zu bedenken.
Varta kämpfe "ums nackte Überleben", schrieb Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar von RoboMarkets. Und das zeige sich auch am Aktienkurs, der Ende Januar 2021 noch ein Rekordhoch bei über 180 Euro erreicht hatte. Zwar war der vorangegangene Kurszuwachs auch auf Marktverzerrungen zurückzuführen, denn Kursspekulationen von überwiegend in sozialen Netzwerken versammelten Kleinanlegern bei Aktien wie GameStop oder AMC aus den USA hatten hierzulande auch Varta hochgetrieben. Doch der Absturz war auch selbst verschuldet.
So erlebte Varta die erste richtig steile Talfahrt im September 2022, nachdem das traditionsreiche Unternehmen aus Ellwangen angesichts steigender Energie- und Rohstoffpreise seine erst im August gesenkten Jahresziele kassiert hatte. Zudem hatten sich große Aufträge verzögert, die Nachfrage abgeschwächt und Sorgen vor Batteriekonkurrenz in der damals neuesten Generation der AirPods Pro von Apple wachgerufen. Das Unternehmen geriet zusehends in die Krise.
Im April dieses Jahres folgte ein weiterer heftiger Kurssturz und einen knappen Monat später der Rauswurf aus dem SDAX. Im Frühjahr hatte Varta mitgeteilt, dass die Sanierungsbemühungen nicht mehr ausreichten. Das Unternehmen ersuchte daher erneut seine Geldgeber um Hilfe - nach einer Kapitalspritze von mehr als 50 Millionen Euro im Frühjahr 2023. Schließlich dann hatte ein Hackerangriff die "fristgerechte Veröffentlichung des geprüften Jahresfinanzberichts" zunichtegemacht.
Hatten die bisherigen Aktionäre nach den ersten Meldungen über einen Einstieg der Porsche bei Varta noch die Hoffnung auf den finanziellen Befreiungsschlag, wie Molnar schreibt, "ist das jetzt drohende Wortungetüm Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz der Schlag ins Gesicht". Von einer Sanierung des Unternehmens, das 2017 an die Börse gebracht wurde, profitieren in diesem Fall nur noch andere, während viele der bisherigen Anteilseigner "Varta tapfer mit in die Pleite begleitet haben".
ELLWANGEN / FRANKFURT (dpa-AFX)
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