16.06.2015 17:05:48
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UPDATE/Grexit für Berlin kein Tabu mehr
--Führende Politiker reden Klartext
--Unmut wird größer
--Merkel setzt auf Eurogruppe am Donnerstag
(NEU: Kauder, mehr Analyse und Hintergrund)
Von Stefan Lange
BERLIN (Dow Jones)--Die Regierungsparteien in Berlin gehen offenbar immer stärker von einem Scheitern der Schulden-Verhandlungen mit Griechenland aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte am Dienstag zwar, die Wogen zu glätten. Sie setzte den Fokus auf eine mögliche Einigung beim Treffen der Euro-Finanzminister am Donnerstag in Luxemburg. Spitzenpolitiker der SPD und erstmals auch der CDU sprachen jedoch offen von einem Grexit. Auch im Kanzleramt wird nach Informationen von Dow Jones Newswires an einem solchen Szenario gearbeitet.
Oberstes Ziel der Regierung und der Fraktionen ist weiterhin, Griechenland zu helfen und im Euro zu halten. Doch die Tonlage im politischen Berlin änderte sich am Dienstag merklich. Hieß es bislang stets, man wolle Griechenland "mit allen Mitteln" im Euro halten, schloss unter anderem Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer ein Ausscheiden der Hellenen aus dem Euro nicht mehr aus. Wenn Athen nicht die notwendigen Reformpakete liefere und es mit den drei Institutionen nicht zu einer Einigung komme, "dann ist notfalls ein Grexit hinzunehmen", sagte der CDU-Politiker.
Merkel mauert
Alle Augen und Ohren richteten sich danach auf eine Pressekonferenz Merkels mit dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Xavier Bettel, der Dienstagmittag im Kanzleramt zu Gast war. Zu diesem Zeitpunkt kursierten schon längst Gerüchte über ein Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs zur Griechenland-Krise. Angeheizt wurden diese durch ein Interview des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, der ankündigte, zum Treffen am Donnerstag keine neuen Reformvorschläge mitzubringen. Das Treffen der Eurogruppe sei aus seiner Sicht Makulatur.
Merkel setzte sich über entsprechende Nachfragen demonstrativ hinweg. "Ich konzentriere meine ganze Kraft darauf, mitzuhelfen, dass die drei Institutionen mit Griechenland eine Lösung finden, auf dessen Grundlage dann die Verhandlungen in der Eurogruppe stattfinden können", sagte sie. Gleichzeitig bekräftigte sie das Ziel, ein Euro-Aus Athens unbedingt zu vermeiden. "Ich möchte alles dafür tun was möglich ist, um Griechenland in der Eurozone zu halten", betonte die Kanzlerin.
Thema in den Fraktionen
Ziemlich genau eine Stunde später drehte Unions-Fraktionschef Volker Kauder die Kompassnadel für den weiteren Verlauf der Griechenlandgespräche wieder in eine andere Richtung. Es werde ja Gespräche der Finanzminister geben, "danach den Euro-Gipfel", sagte Kauder in einem Statement. Der CDU-Politiker ließ damit zwar offen, ob er das Treffen der Eurogruppe ähnlich wie Varoufakis auch für obsolet hält - Nachfragen waren nicht möglich -, aber der Satz zeigte, wie groß die Ungeduld mit Griechenland mittlerweile ist.
Und auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann machte klar: "Es kann niemand mehr ausschließen, dass das scheitert". Chancen für einen Einigung am Donnerstag sah Oppermann nicht. "So, wie das Spiel der Griechen angelegt ist, wird es da noch keine Lösung geben," sagte er und ergänzte: "Die wird es dann erst in der nächsten Woche beim Gipfel geben."
Die Süddeutsche Zeitung berichtete in diesem Zusammenhang über einen Notfallplan der Euro-Partner für Griechenland, der vorsehe, ab dem Wochenende Kapitalverkehrskontrollen vorzubereiten. Demnach soll am Freitagabend ein Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs einberufen werden, falls die Verhandlungen der Eurogruppe kein Ergebnis bringen.
Zeitlich wäre auch noch eine Entscheidung bei dem regulären EU-Gipfel am Donnerstag kommender Woche machbar. Dann könnte der Bundestag einer dort gefundenen Einigung immer noch zu Beginn der übernächsten Woche und damit noch vor Ende Juni zustimmen.
Scheitert der Euro&.
Mit der Zeit ist allerdings in den Regierungsparteien die Unsicherheit über das eigene weitere Vorgehen gewachsen. Der Druck aus der eigenen Wählerschaft, aus den Kreisverbänden und anderen parteipolitischen Organisationen wird immer stärker, die Basis versteht kaum noch, warum sich Deutschland so von Griechenland treiben lässt. Der angestaute Frust entlud sich unter anderem in der CDU-Präsidiumssitzung am Montag, das Gemurre setzte sich in diversen Fraktionsgremien am Dienstag fort, wie jeweils aus Teilnehmerkreisen verlautete.
Noch stehen alle Abgeordneten hinter Kanzlerin Merkel und stützen ihren Kurs. Nachdem Merkel am Dienstagnachmittag der CDU/CSU-Fraktion über den Verhandlungsstand berichtet hatte - "Ich kann ihnen nichts Neues in der Sache mitteilen" -, gab es nach Teilnehmerangaben nicht eine einzige Wortmeldung seitens der Abgeordneten. Scheitern die Verhandlungen mit Griechenland jedoch, dann scheitert nicht nur der Euro. Dann wäre auch Merkel erheblich beschädigt.
(Mitarbeit: Christian Grimm und Andreas Kißler)
Kontakt zum Autor: stefan.lange@wsj.com
DJG/stl/kla
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June 16, 2015 10:34 ET (14:34 GMT)
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