Tiefrote Zahlen |
13.08.2020 17:52:04
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thyssen-Aktie bricht zweistellig ein: Corona-Pandemie sorgt für hohe Verluste bei thyssenkrupp
Die Aktie des seit längerer Zeit kriselnden Unternehmens brach am Donnerstag zeitweise um rund 18 Prozent auf 6,10 Euro ein. Zum Handelsende betrug das Minus noch immer 16,31 Prozent bei 6,21 Euro. Damit wurden die Papiere jäh von ihrem Hoch seit Anfang Juni zurückgeholt, das sie sich zuletzt mit der Rückkehr über 7,50 Euro mühsam erarbeitet hatten. thyssenkrupp habe ein weiteres "fürchterliches" Quartal vorgelegt, hieß es von einem Händler. Negativer Höhepunkt sei der Ausblick, insbesondere der erwartete Mittelabfluss in Milliardenhöhe. Experte Luke Nelson von JPMorgan sprach denn auch von einer "sehr schwachen Prognose".
Ohne das inzwischen verkaufte Aufzuggeschäft verzeichnete thyssenkrupp in den Monaten April bis Juni einen Nettoverlust von 819 Millionen Euro, teilte das Unternehmen in Essen mit. Im Vorjahr lag das Minus bei 229 Millionen Euro. Der bereinigte operative Verlust (Ebit) betrug im fortgeführten Geschäft 679 Millionen Euro und verschlechterte sich im Vergleich zu den minus 13 Millionen Euro im Vorjahresquartal deutlich. Finanzchef Klaus Keysberg hatte zuvor einen Verlust von bis zu einer Milliarde Euro nicht ausgeschlossen.
"Wir haben hart gearbeitet, um die Kosten kontrolliert zu halten und die Liquidität zu sichern. Damit sind wir im dritten Quartal insgesamt etwas besser durch die Krise gekommen als anfangs befürchtet", kommentierte Konzernchefin Martina Merz die Zahlen.
Wegen des coronabedingten Einbruchs der Wirtschaft mussten jedoch alle Bereiche von thyssenkrupp erheblich Federn lassen. Insbesondere galt das für das Automobilzulieferer-Geschäft sowie die Stahlsparte und den Handel, die hohe Verluste verbuchten. Der Umsatz im fortgeführten Geschäft von thyssenkrupp sackte daher um gut ein Drittel auf knapp 5,8 Milliarden Euro ab. Der Auftragseingang brach noch stärker um 42 Prozent auf rund 4,8 Milliarden Euro ein.
Für das vierte Quartal sieht thyssenkrupp in nahezu allen Bereichen eine stabile Entwicklung oder eine leichte Verbesserung im Vergleich zum Vorquartal, nachdem die Kunden die Produktion wiederaufnehmen. Eine Ausnahme machte das Management jedoch beim Stahlgeschäft, das nicht erst seit der Corona-Krise unter strukturellen Problemen wie Überkapazitäten und Preisdruck leidet. Die Auslastung der Stahlwerke sei zuletzt wieder gestiegen und liege derzeit bei mehr als 60 Prozent, sagte Keysberg in einer Telefonkonferenz. Tausende Mitarbeiter befänden sich weiter in Kurzarbeit.
Das Management rechnet daher im Schlussquartal mit einem bereinigten Ebit-Verlust der fortgeführten Aktivitäten im mittleren bis höheren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich. Für das Gesamtjahr sei daher ein bereinigter operativer Fehlbetrag zwischen 1,7 und 1,9 Milliarden Euro wahrscheinlich. Dabei erwartet thyssenkrupp allein für den Stahlbereich einen Verlust von bis zu gut einer Milliarde Euro.
Durch den vor kurzem abgeschlossenen Verkauf des Aufzuggeschäfts für gut 17 Milliarden Euro sollen Jahresüberschuss und der freie Mittelzufluss "signifikant positiv" ausfallen. Der freie Cashflow im fortgeführten Geschäft dürfte jedoch nochmals erheblich belastet werden. Denn thyssenkrupp will mit den Erlösen aus dem Verkauf unter anderem auch die Schwankungen des Umlaufvermögens reduzieren, sprich die Verkäufe von Forderungen zum Jahresende reduzieren und Finanzverbindlichkeiten bei Fälligkeit zurückzahlen. Das werde den Cashflow mit 2,5 Milliarden Euro belasten, erläuterte Keysberg. thyssenkrupp erwartet daher im fortgeführten Geschäft im Gesamtjahr einen Mittelabfluss von 5 bis 6 Milliarden Euro.
Mit dem Verkauf des Aufzuggeschäfts will der chronisch klamme Konzern nicht nur die Bilanz entlasten. Neben der Senkung der Verbindlichkeiten will thyssenkrupp auch selektiv in seine Geschäfte investieren sowie die laufende Restrukturierung finanzieren. Das Unternehmen befindet sich in einem groß angelegten Umbau. So erwägt thyssenkrupp einen zweiten Anlauf für eine Fusion seines Stahlgeschäfts. Aber auch die Hereinnahme eines Partners, eine eigene Übernahme oder auch die Fortführung auf der jetzigen Basis sind Optionen, über die gerade diskutiert wird. Ergebnisse gibt es noch nicht. Man befinde sich in Gesprächen, weiter seien alle Optionen offen, so Keysberg.
Auch in den Industriegeschäften soll kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Hier hinkt thyssenkrupp der Konkurrenz hinterher, die meisten Sparten haben nicht die kritische Größe, um wettbewerbsfähig zu sein. Die geplante Neuausrichtung würde den Konzern, der im vergangenen Geschäftsjahr auf einen Umsatz von rund 42 Milliarden Euro kam, noch weiter schrumpfen lassen. So will sich thyssenkrupp von Bereichen mit einem Umsatz von insgesamt 6 Milliarden Euro trennen. Auch für den Marineschiffbau sucht das Unternehmen nach einer Lösung und hält eine Fusion mit einem Konkurrenten für denkbar.
Zum Kern der neuen thyssenkrupp sollen weiterhin der Werkstoffhandel und die Industriekomponenten gehören. Das Automobilzuliefergeschäft soll zumindest teilweise in der Gruppe weitergeführt werden. Hier jedoch hält der Konzern ebenfalls Allianzen und Entwicklungspartnerschaften für notwendig.
Keysberg: Bei Multi-Track-Geschäften nicht unter Zeitdruck
thyssenkrupp steht trotz der aktuell hohen Mittelabflüsse nicht unter Druck, schnellstmöglich Geschäfte zu verkaufen, für die der Konzern keine nachhaltigen Zukunftsperspektiven unter seinem Dach mehr sieht. Firesales aus dem neuen Segment Multi-Tracks werde es nicht geben, sagte Finanzchef Klaus Keysberg in einer Telefonpressekonferenz. Das sei nach dem Verkauf des Aufzugsgeschäftes auch nicht erforderlich. thyssenkrupp habe jetzt ein "komfortables Finanzpolster".
Keysberg wollte nicht spekulieren, wieviel Zeit der Konzern nun hat, um die aktuellen massiven Mittelabflüsse einzelner Geschäfte zu stoppen. Es werde allerdings sehr stark daran gearbeitet, die Refinanzierbarkeit durch ein vernünftiges Rating zu verbessern, sagte er. Das müsse auch schnell geschehen. Positive Cashflows seien in diesem Zusammenhang auch wichtiger als starke Gewinnkennziffern.
Auf bis zu 1,4 Milliarden Euro könnten sich die Mittelabflüsse im Stahlgeschäft in diesem Jahr summieren, mit 1 Milliarde Euro sei bei Multi-Tracks zu rechnen, sagte Keysberg. Unter dieser Bezeichnung werden unter anderem der Anlagenbau, Powertrain Solutions oder das Geschäft mit Federn und Stabilisatoren geführt. Auch im nächsten Jahr werde dieses Segment negativen Cashflow zeigen, allerdings nicht in der bisherigen Größenordnung, so der Finanzchef. Verhandlungen mit möglichen Partnern oder Käufern für diese Geschäfte haben sich pandemiebedingt verzögert.
Keysberg wollte sich nicht dazu äußern, ob im Stahlgeschäft über die vereinbarten 3.000 Stellen hinaus weiterer Personalabbau nötig wird, um Kosten zu senken. Mit dem Abbau werde im nächsten Geschäftsjahr begonnen, die Effekte sollten sich dann nach und nach einstellen. Die Personalkosten mit 2 Milliarden Euro jährlich sind ein großer Kostenblock.
Operativ habe sich die Situation im Stahl schon verbessert: Gegenwärtig liege die Auslastung zwischen 60 und 70 Prozent, sagte Keysberg. Die Autohersteller arbeiteten wieder in zwei Schichten. Im dritten Quartal war der Umsatz um 38 Prozent eingebrochen. Dennoch fahre man angesichts der Unsicherheiten - Keysberg nannte hier das Infektionsgeschehen und die Frage von Anreizen für Neuwagenkäufe - im Geschäft mit der Autobranche auf Sicht. Es gebe Anzeichen einer Besserung, doch sei unklar, wie nachhaltig diese ausfallen werde.
Langfristig habe das Autogeschäft aber Wachstumspotenzial. Deshalb investiere der Konzern hier auch, um neue Stahlgüten produzieren zu können, die in der Zukunft verlangt werden. Die mit den Arbeitnehmern im Gegenzug für den Stellenabbau vereinbarten Zukunftsinvestitionen im Zuge der Stahlstrategie 20-30 hält Keysberg für sinnvoll. Ob die Zusagen auch bei einem Eigentümerwechsel Bestand haben werden, "dazu kann ich jetzt nichts sagen", meinte der Finanzchef.
Investiert hat der Konzern zuletzt auch in China: Für einen mittleren zweistelliger Millionen-Betrag wurde in die Erweiterung einer Anlage für Großwälzlager investiert, die in großen Offshore-Windkraftanlagen verbaut werden. Dieses Geschäft entwickle sich "völlig losgelöst" von der Corona-Krise, sagte Keysberg.
dpa-AFX und Dow Jones Newswires
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