Startup vs. EV-Riese 06.12.2021 23:42:00

Rivian als Tesla-Herausforderer: Kann der Börsenneuling dem Marktführer das Wasser reichen?

Rivian als Tesla-Herausforderer: Kann der Börsenneuling dem Marktführer das Wasser reichen?

• Rivian als Tesla-Herausforderer gefeiert
• Bessere Voraussetzungen als Tesla in der Frühphase
• Noch große Herausforderungen zu meistern


Vom Nischensegment zum Billionenmarkt: Das Geschäft mit strombetriebenen Fahrzeugen wächst stetig, Fahrzeuge mit traditionellen Antrieben dürften schon in wenigen Jahren zu Auslaufmodellen zählen. Das bekommt auch Tesla zu spüren, denn der Branchenpionier ist längst nicht mehr das einzige EV-Unternehmen am Markt. Starke Konkurrenz kommt insbesondere aus China, wo Unternehmen wie NIO, BYD und Xpeng immer mehr Fahrzeuge unters Volk bringen und ihre Expansion in traditionell von Tesla dominierte Märkte planen. Und auch Traditionskonzerne wie Ford, Volkswagen und General Motors haben umfangreiche Initiativen im EV-Segment gestartet und wollen ihre Erfahrung im Fahrzeugbau nutzen, um Tesla ein- und im besten Fall zu überholen.

Darüber hinaus bringen sich auch kleinere Unternehmen gegen den Marktführer in Stellung: Neben dem US-Konzern Lucid fällt in diesem Zusammenhang immer wieder der Name Rivian. Zuletzt hatte das Startup ein äußerst erfolgreiches Börsendebüt hingelegt und in Anlegern Hoffnungen geweckt, die Erfolgsgeschichte des Musk-Konzerns könne sich wiederholen. Doch wieviel Tesla steckt wirklich in Rivian?

Tesla und Rivian als Anlegerlieblinge

Die Tesla-Aktie hat sich in den letzten zwölf Monaten mehr als verdoppelt. Obwohl der Anteilsschein infolge von Aktienverkäufen durch Konzernchef Elon Musk zwischenzeitlich zuletzt Federn lassen musste, ist die Performance für Anleger durchaus ansehnlich. Und sie ist keine Ausnahme: Vor zehn Jahren war eine Tesla-Aktie noch für rund 5 US-Dollar zu haben, Ende 2021 wird sie für 1.086 US-Dollar gehandelt. In diesem Zeitraum hat sich die Aktie zwar teils deutlich volatil gezeigt, die Kursentwicklung hat aber so manchen Anteilseigner vermögend gemacht.

Eine Hoffnung, die Investoren auch in Rivian setzen, denn der Anteilsschein des US-Konzerns ist deutlich günstiger zu haben, als der des Musk-Konzerns. Rund 110 US-Dollar kostet eine Rivian-Aktie aktuell. Dabei waren die Rivian-Anteile erst vor rund 3 Wochen zum Ausgabepreis von 78 US-Dollar unters Anlegervolk gebracht wurden, gleich der Erstkurs lag mit 106,75 US-Dollar aber deutlich darüber. Die Hoffnung auf eine Wiederholung der Tesla-Story ist seitdem intakt, zwar schwankte auch die Rivian-Aktie zwischenzeitlich, dennoch performte der Anteilsschein besser als der breite Markt.

Rivian und Tesla mit ähnlichen Zielen

Dass Anleger auf eine Wiederholung der Tesla-Story hoffen, kommt nicht von ungefähr, denn Rivian und Tesla sind nicht nur im gleichen Geschäftsfeld aktiv, sondern verfolgen auch ähnliche Ziele. So will auch der Börsenneuling künftig nicht nur Elektrofahrzeuge entwickeln und unters Volk bringen sondern plant ebenfalls den Aufbau einer eigenen Batterieproduktion, um sich von Zulieferern unabhängiger zu machen. Und auch Teslas Supercharger-Netzwerk dient Rivian wohl als Vorbild für den Aufbau eines eigenen Ladenetzes.

Zum Vorbild hat sich Rivian den großen Konkurrenten wohl auch mit Blick auf das Vertriebsmodell genommen. Beide Unternehmen setzen auf den Direktvertrieb ohne Mittelsmänner. Eine Methode, die sich bei Tesla bereits bewährt hat und die inzwischen zahlreiche Nachahmer gefunden hat.

Tesla als Wegbereiter für die Konkurrenz

Dass Tesla Erfolge feiert und inzwischen zum Marktführer im Elektroautosegment aufgestiegen ist, dürfte Rivians geschäftliche Ambitionen erleichtern. Denn der Börsenneuling findet dank Tesla deutlich bessere Voraussetzungen vor als Elon Musk zu den Anfangszeiten seines EV-Konzerns seinerzeit.

Die Stimmung am Markt hat sich gedreht - während Fahrzeuge mit Elektroantrieb vor einigen Jahren noch zu Nischenprodukten gehören, haben inzwischen nahezu alle Autobauer Modelle mit Alternativantrieben im Portfolio. Und auch die Nachfrage von Kundenseite steigt stetig: Allein in Deutschland wurden im bisherigen Jahresverlauf schon mehr Elektrofahrzeuge zugelassen, als solche mit Dieselantrieb. Noch liegen Benziner an der Spitze der Statistik, doch die Tendenz ist eindeutig: Elektrofahrzeuge werden in absehbarer Zeit die beliebtesten Modelle unter den Neufahrzeugen sein. Davon profitiert auch Teslas Konkurrenz, denn der Elektroautobauer ist nicht in der Lage, die steigende Nachfrage durch eigene Fahrzeuge zu bedienen.

Auch der frühe Börsenerfolg von Rivian ist wohl teilweise auf die vorher erzielten Erfolge von Tesla zurückzuführen: Der Musk-Konzern hat am Finanzmarkt eine derart starke Performance hingelegt, dass Anleger händeringend nach Alternativinvestments suchen, um vom EV-Hype zu profitieren. Unternehmen wie NIO, Xpeng und Rivian rücken so verstärkt in den Anlegerfokus.

Namhafte Investoren für Rivian

Zudem hat Rivian einen Vorteil, auf den Tesla in den Anfangstagen nicht zurückgreifen konnte: Das Unternehmen verfügt über namhafte und solvente Investoren.

Tief finanziell verwoben bei Rivian ist der US-Techriese Amazon. In insgesamt vier Finanzierungsrunden sicherte sich der Internetriese Anteile an dem EV-Hersteller, 1,35 Milliarden US-Dollar und 490 Millionen US-Dollar für Wandelschuldverschreibungen investierte Amazon bereits vor dem geplanten Börsengang. Im Rahmen des IPO kaufte das US-Unternehmen dann 2,56 Millionen Aktien im Wert von 200 Millionen US-Dollar. 18,5 Prozent der Firmenanteile und 16,9 Prozent der Stimmrechte liegen in der Hand von Amazon.

Und auch ein Konkurrent hat sich eingekauft und umfangreiche Investments in Rivian getätigt: Der US-Traditionskonzern Ford besitzt rund zwölf Prozent der Rivian-Aktien und verfügt über 10,5 Prozent der Stimmrechte. Der Wert der Anteile liegt inzwischen im zweistelligen Milliarden-Dollar-Bereich.

Derart finanziell ausgestattet verfügt Rivian über deutlich mehr Sicherheiten als Tesla dies früher tat. Denn die tief verwurzelten Investoren dürften kaum aus einer Laune heraus Rivian-Anteile verkaufen. Auch wenn eine geplante Zusammenarbeit zwischen Ford und Rivian jüngst abgeblasen wurde - ursprünglich hatte der US-Traditionskonzern geplant, Fahrzeuge mit Rivian-Technik auf den Markt zu bringen - bleibt Ford dem Unternehmen als Anteilseigner erhalten, das teilte das Management des Autobauers erst kürzlich mit. In einem Interview mit Automotive News betonte der Ford-CEO Jim Farley kürzlich, dass eine Absage der Pläne nicht unbedingt negativ interpretiert werden müsse. Gegenüber dem Wall Street Journal erklärte ein Ford-Sprecher zuletzt: "Sowohl ihre EV-Entwicklung als auch unsere haben sich seit Abschluss des ursprünglichen Vertrags in erheblichem Maße weiterentwickelt, was jedem Unternehmen mehr Selbstvertrauen gibt, unabhängig voranzukommen".

Amazons Pläne gehen unterdessen weit über eine rein finanzielle Beteiligung hinaus. Der Internetkonzern ist nicht nur Anteilseigner sondern auch Großkunde von Rivian und hat 100.000 Elektrotransporter bei dem Elektroautobauer in Auftrag gegeben. Die ersten Fahrzeuge sollen bereits 2022 ausgeliefert werden. Dem Vernehmen nach arbeitet Rivian daran, den Großauftrag von Amazon priorisiert abzuarbeiten.

Zahlen sprechen für Tesla

Auch abseits der Großbestellung von Amazon sind die Auftragsbücher von Rivian gut gefüllt. In einer SEC-Mitteilung vor dem Börsengang bezifferte das Unternehmen die Zahl der Vorbestellungen für den Pickup R1T auf 48.390. Inzwischen dürfte diese Zahl noch deutlicher angestiegen sein. Ausgeliefert hatte das Unternehmen - anders als Tesla bei seinem IPO - zum Zeitpunkt des Börsengangs allerdings nicht ein Fahrzeug. Ein Umstand, den Tesla-Chef Elon Musk, insbesondere mit Blick auf die Milliardenbewertung von Rivian zum Börsengang, auf Twitter nicht unkommentiert ließ: "Ich will ja nicht unverschämt sein, aber vielleicht sollten sie *vor* dem Börsengang ein Fahrzeug pro Milliarde Dollar Bewertung ausliefern?".

"Ich dachte, 1999 wäre der Höhepunkt des Wahnsinns, aber 2021 ist 1000% wahnsinniger", fügt der Tesla-CEO hinzu.

Tatsächlich will Rivian bis zum Jahresende 1.000 R1Ts unters Volk bringen, dann soll auch ein zweites Fahrzeugmodell in Produktion gehen: Der Siebensitzer R1S.

Noch verdient das Unternehmen - anders als Tesla - mit seinem Kerngeschäft aber kein Geld. Auch die Umsätze werden in diesem Jahr mehr als überschaubar bleiben. Zwar könnte der Großauftrag von Amazon Erlöse von 12,5 Milliarden US-Dollar in die Startup-Kassen spülen, noch sind die Fahrzeuge aber weder produziert noch ausgeliefert. Auch eine mögliche Bestellung von 1.000 Rivian Trucks durch Freizeitfahrzeugvermieter Outdoorsy Inc., über die Bloomberg zuletzt berichtet hatte, würde zwar den Auftragsbestand in die Höhe treiben und Umsätze garantieren, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass Rivian die Bestellungen auch bedienen kann.

Warum Tesla derzeit in besserer Position ist

Genau dies ist die Herausforderung, die Rivian aktuell überwinden muss: Trotz aller Vorschusslorbeeren im Zusammenhang mit milliardenschweren Aufträgen und starker finanzieller Verflechtung von Großinvestoren muss Rivian zunächst die größte Hürde überspringen, die ein EV-Startup in dieser Phase wohl zu nehmen hat: Das Hochfahren der Produktion und den Start der Massenproduktion.

Wie schwierig dieser Schritt sein kann, musste auch Tesla erfahren: Elon Musk sprach in diesem Zusammenhang von der "Produktionshölle", später räumte der Automanager sogar ein, Tesla habe am Rand der Pleite gestanden. Ob Rivian ein Fahrzeug vom Planungsprozess in die Massenproduktion überführen und im Fahrzeugbereich profitabel sein kann, muss das Startup zunächst beweisen. Erst dann wird sich wohl feststellen lassen, ob die derzeit hohe Bewertung von rund 100 Milliarden US-Dollar, gerechtfertigt ist.

Und auch in anderer Hinsicht hat Rivian gegenüber Tesla einen schwierigen Stand: Während Tesla die Konkurrenz auf Abstand halten muss, muss Rivian sich gegen zahlreiche Mitkonkurrenten auf ähnlicher Ebene durchsetzen. Tesla hat mit seiner starken Fanbase, der hauseigenen Batterieproduktion und dem bereits etablierten Supercharger-Netzwerk aktuell dafür die besseren Karten, zumal die Massenproduktion bereits auf Hochtouren läuft und der Konzern auf verschiedene Fazilitäten zurückgreifen kann. Rivian muss unterdessen einen Weg finden, Alleinstellungsmerkmale gegenüber der Konkurrenz zu entwickeln und Kunden vom Umstieg auf ein Rivian-Fahrzeug zu überzeugen. Der Erfolg steht und fällt auch mit der Bedienung der Vorbestellungen und laufenden Aufträge.

Rivian - das bessere Tesla?

Zum aktuellen Zeitpunkt lässt sich ein Vergleich zwischen Rivian und Tesla nur schwer ziehen. Zwar sind beide im gleichen Geschäftssegment tätig, die Voraussetzungen für Tesla damals und Rivian heute sind aber grundsätzlich andere.

Für Investoren, die einen günstigeren Weg suchen, um am boomenden EV-Markt teilzuhaben, ohne teure Tesla-Aktien kaufen zu müssen, könnte Rivian eine Option sein. Allerdings bleibt das Investment stark risikobehaftet, bis das Geschäft ins Laufen gekommen und die Fundamentaldaten sich verbessert haben.

Ob Rivian den Abstand auf Tesla verkleinern und mittel- bis langfristig möglicherweise sogar zum Überholvorgang ansetzen kann, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt Zukunftsmusik.

Redaktion finanzen.at

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Bildquelle: David Becker/Getty Images,Michael Vi / Shutterstock.com

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