27.09.2022 20:40:38
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Verwundbar, Kommentar zu Gasversorgung und Konjunktur von Detlef
Fechtner
Frankfurt (ots) - Die Nachricht über Beschädigungen der Ostsee-Pipelines hat
Umweltpolitiker und Naturschützer beunruhigt - zumal angesichts der Bilder von
ungewöhnlichen Blasenbildungen im Meer. Unter dem Aspekt der Energieversorgung,
also aus wirtschaftlicher Perspektive, könnte man derweil eigentlich meinen,
dass die Lecks keine besondere Aufmerksamkeit verdient haben. Schließlich
bezieht der Westen gegenwärtig ja sowieso kein russisches Gas über diese
Leitungen. Wie gesagt: eigentlich. Könnte man meinen.
Aber natürlich ist eine solche Sichtweise einäugig. Denn selbstverständlich
haben die Lecks Weiterungen für die Versorgung. Erstens nämlich zerstören sie
jede Aussicht darauf, dass nach einem Ende des Ukraine-Kriegs rasch wieder
russisches Gas nach Europa fließen könnte. Und zweitens dokumentieren sie
augenscheinlich die generelle Fragilität der Versorgungsinfrastruktur.
Solange keine belastbaren Hinweise vorliegen, verbieten sich Spekulationen
darüber, wer für die Lecks verantwortlich ist. Gleichwohl handelt es sich mit
hoher Wahrscheinlichkeit nicht um Zufall oder Unfall, sondern Sabotage, von wem
auch immer. Das führt vor Augen, wie real in Zeiten des Kriegs die Gefahr einer
jähen Unterbrechung von Gaslieferungen und wie groß damit die latente Bedrohung
der Wirtschaftskraft ist.
Am Dienstag meldeten sich denn auch rasch diejenigen zu Wort, die Deutschland
und Europa nicht nur einige Quartale schrumpfende Wirtschaftsleistung
prognostizieren, sondern eine sehr schwere Rezession, wenn nicht gar Depression.
Die Konjunkturoptimisten verweisen demgegenüber auf gefüllte Gasspeicher und die
Tatsache, dass Unternehmen und ihre finanzierenden Banken sich bislang noch in
einer Position der Stärke befinden - also in robuster Verfassung auf die
absehbar kritische Situation im Winter zusteuern.
Das ist zwar richtig. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass die wirtschaftliche
Abwärtsbewegung doch schmerzhafter ausfallen wird, als es bislang noch die
einschlägigen Prognosen voraussagen, wächst stetig - auch durch immer wieder
neue Risikofaktoren wie nun die mutmaßlichen Sabotageakte.
Deutschlands Wirtschaft steht in den nächsten Monaten ein ungewöhnlich harter
Stresstest bevor. Pandemie, Ukraine-Krieg und Klimawandel - gekoppelt mit den
wirtschaftlichen Herausforderungen durch Lieferprobleme, Fachkräftemangel,
hoher Inflation und Zinswende - bedeuten schon genug Risiken. Zusätzlich ist
das Maß an Verunsicherung so hoch wie selten zuvor - und Ungewissheit bremst
bekanntermaßen Investitionen und Konjunktur.
Die Finanzmärkte taten sich am Dienstag erkennbar schwer, die Nachrichtenlage zu
bewerten. Nachdem der Gaspreis zunächst nur überschaubar anzog und sich der Dax
lange Zeit im positiven Terrain hielt, schossen die Gasnotierungen am späten
Nachmittag in die Höhe und lagen mehr als 20 Prozent über Vortag, während der
Deutsche Aktienindex ins Minus rutschte. Das zeigt erneut, wie schwierig es
derzeit am Aktienmarkt ist, die Risiken zu taxieren - zumal viele von ihnen, wie
etwa die Sabotageakte, ohne Präzedenz sind. Wie im Vorfeld der Finanzkrise taugt
der Finanzmarkt auch aktuell nicht als verlässlicher Krisen-Seismograf.
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