10.06.2022 20:30:49
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OTS: Börsen-Zeitung / Menetekel Ölpreis, Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn
Menetekel Ölpreis, Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn
Frankfurt (ots) - Der Preis der Ölsorte Brent Crude hält sich hartnäckig über
120 Dollar je Barrel. Eine wachsende Zahl an Branchenkennern geht derzeit davon
aus, dass der Ölpreis noch deutlich weiter steigen könnte. Während die
Rohstoffanalysten von Goldman Sachs im weiteren Jahresverlauf 140 Dollar für
wahrscheinlich halten, hat Jeremy Weir, Chef des Rohstoffhändlers Trafigura,
bereits das Menetekel von 150 Dollar an die Wand gemalt. Damit würde der Ölpreis
sein Niveau vom Beginn des Ukraine-Kriegs noch in den Schatten stellen. Andere
Analysten bleiben mit ihren Prognosen zwar noch deutlich unter diesem Niveau,
passen diese aber in Riesenschritten an die Realität an.
Die westlichen Sanktionen im Energiebereich entfalten also deutliche Wirkung.
Die Frage ist nur, wer eigentlich sanktioniert wird. Russland eher nicht: Das
Land muss sich zwar neue Kunden wie Indien und China suchen und dabei Abschläge
gegenüber dem (stark gestiegenen) Marktpreis in Kauf nehmen. Die Einnahmen
Russlands aus den Verkäufen von Energieträgern sind aber seit dem Beginn des
Ukraine-Kriegs auf Rekordniveau geklettert. Die Sanktionen treffen in erster
Linie die westlichen Länder selbst und letztlich die gesamte Weltwirtschaft, die
unter der äußerst ungünstigen Kombination von Rezession und hoher Inflation in
die Knie gezwungen wird. Daher verwundert es nicht, wenn in Presseberichten von
erheblicher Unruhe im Weißen Haus die Rede ist, während der türkische
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan süffisant anmerkt, in den Regierungen der
EU-Länder herrsche "Panikstimmung" vor.
Die Sanktionen treffen die Energiemärkte zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.
Die ungenutzten und aktivierbaren Produktionskapazitäten des Kartells Opec plus
befinden sich auf einem Rekordtief. Mit weniger als 1 Mill. Barrel pro Tag (bpd)
machen sie weniger als 1 Prozent des weltweiten Verbrauchs von 102 Mill. bpd
aus. Sie leiden darunter, dass die Investitionen in die weltweite Erdölbranche
mit Blick auf die angestrebte grüne Energiewende zurückgefahren worden sind.
Dies trifft auch die US-Schieferölindustrie, die trotz des hohen Ölpreises noch
weit unter dem bleibt, was sie bereits gefördert hat. Auf der Nachfrageseite
befindet sich der Ölmarkt in einer Phase der Erholung, weil die
Lockdown-Maßnahmen in den meisten Ländern zu Ende gegangen sind. Nur in China
gibt es sie noch, wobei sie der größte Ölverbraucher der Welt unter dem Druck
der eigenen Wirtschaft nun ebenfalls auslaufen lässt.
In diesem schwierigen Umfeld würden die EU-Sanktionen dem Ölmarkt - würden sie
vollständig wirken - rund 3 bis 4 Mill. bpd entziehen. Für diesen
(theoretischen) Fall hatte J.P. Morgan bereits die Schreckensvision eines
Ölpreises von 185 Dollar genannt. Nun ist es aber keineswegs so, dass die EU
wirklich auf das gesamte russische Öl verzichtet. Jetzt ist die Stunde der
Zwischenhändler wie beispielsweise Indien gekommen, die die Herkunft des
russischen Öls verschleiern und dafür zusätzlich die Hand aufhalten - ein
weiterer preistreibender Effekt. Zudem kommt es zu einer Entflechtung und einem
Neuaufbau der Lieferbeziehungen. Russland blickt immer stärker nach Osten,
während sich die EU zunehmend in den Vereinigten Arabischen Emiraten und
Westafrika bedient. Eine solche beispiellose Neuorientierung wichtiger
Marktteilnehmer in kurzer Zeit zeigt ebenfalls einen preistreibenden Effekt.
Die Folgen des Ukraine-Kriegs wirken sich auch auf andere Rohstoffmärkte aus -
insbesondere wenn die militärischen Erfolge Russlands den Druck auf die
EU-Regierungen erhöhen, die Sanktionen doch noch auf russisches Erdgas
auszuweiten. Bereits jetzt muss die Welt wegen der US-Finanzsanktionen
weitgehend auf russische und weißrussische Düngemittel verzichten. Und am
Mittwoch hat in Großbritannien eine der größten Düngemittelfabriken wegen der
hohen Energiekosten den Betrieb einstellen müssen, was als schwerer Schlag für
die britische Landwirtschaft gilt. Die durch die Decke gehenden Weizenpreise
sind zwar auch auf den Ausfall der ukrainischen Lieferungen zurückzuführen, vor
allem aber auf die hohen Energie- und Düngemittelpreise, schlechte Ernten in
anderen Teilen der Welt sowie sanktionsbedingte Schwierigkeiten vieler
Nachfrager, Getreide vom weltgrößten Exporteur Russland zu beziehen.
Die Krise der Rohstoffmärkte und der Weltwirtschaft zieht immer weitere Kreise.
Abhilfe würden nur eine friedliche Beilegung des Ukraine-Konflikts und eine
Aufgabe der Sanktionen schaffen.
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