24.08.2022 19:41:38
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Lektion für Deutschland, Kommentar zu Atomkraftwerken von Martin Fritz
Frankfurt (ots) - Als erster Regierungschef Japans seit der Atomkatastrophe von
Fukuhisma hat Fumio Kishida den Neubau von Atommeilern angekündigt und auf den
Neustart betriebsbereiter Reaktoren gedrungen. Seine Kurskorrektur begründete er
mit der "grünen Transformation" der Wirtschaft und den hohen Energiekosten durch
den Ukraine-Krieg. Mit seinem Vorstoß erteilt Kishida der Berliner
Ampel-Koalition eine Lektion in pragmatischer Energiepolitik ohne ideologische
Scheuklappen.
Japan hätte allen Grund, auf Atomenergie völlig zu verzichten. Im März 2011
entging der weltgrößte Ballungsraum Tokio nach den AKW-Explosionen in Fukushima
nur mit viel Glück einer Verstrahlung, weil der Wind die meisten radioaktiven
Partikel aufs Meer blies und die Brennstäbe in den Abklingbecken von
Fukushima-Reaktor 4 nicht in Brand gerieten. Dennoch stieg Japan nicht aus der
Atomkraft aus - es wäre ökonomisch töricht gewesen, die verbliebenen 50
Reaktoren für immer abzuschalten. Stattdessen legten die Stromversorger 17
Anlagen still und rüsteten 33 Reaktoren sicherheitstechnisch auf.
Japans Rückkehr zur Atomkraft wurde zwingend notwendig, weil die Wirtschaft ab
2050 kohlenstoffneutral laufen soll. Zu sehr hängt Japan von Gas und Kohle ab,
als dass es ganz ohne Kernspaltung ginge, meint die einflussreiche
Ministerialbürokratie. Aber bisher blockieren lokale und regionale Politiker in
vielen Fällen den Neustart von nachgerüsteten Reaktoren mit neuer
Betriebserlaubnis, weil die Anwohner dem Betreiber misstrauen und um ihre
Sicherheit fürchten. Nun haben der Klimawandel und die Brennstoffpreise einen
Stimmungswechsel verursacht. In Umfragen spricht sich erstmals seit 2011 eine
Mehrheit für die weitere Nutzung der Atomkraft aus - so wie auch Deutsche
positiver über Atomkraft denken. Als Realpolitiker nutzt Kishida den Umschwung
der Volksmeinung, während Olaf Scholz und Robert Habeck davor die Augen
verschließen.
Das deutsche Ziel einer "grünen" Stromversorgung hielten die meisten Japaner
schon immer für eine Utopie - seit der Ölkrise von 1973 strebt die Inselnation
eine breit diversifizierte Energieversorgung an, da man sämtliche fossilen
Brennstoffe importiert. Der deutsche Atomausstieg 2011 ohne jede Not löste daher
in Japan eher Befremden und Erstaunen aus, ebenso wie nun das Festhalten am
Abschalten der letzten Meiler. Aus Verantwortung für die Zukunft der Nation
würde keine japanische Regierung solche wirtschaftlichen Experimente wagen.
(Börsen-Zeitung, 25.08.2022)
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