29.07.2021 20:30:38

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Haarsträubend normal, Kommentar zur Crédit Suisse von Jan Schrader

Frankfurt (ots) - Vier Worte drängen sich nach einem Skandal leicht auf: Wie

kann man nur! Unverständnis macht sich breit, wenn das Vorspiel der Pleite des

Hedgefonds Archegos von den Prüfern am Beispiel der Credit Suisse aufgedröselt

wird. Ihr Befund ist deutlich: Lethargie in der Risikodisziplin, ein Mangel an

Verantwortlichkeit, ein systematisches Ignorieren von Warnsignalen, eine

fehlende Streitkultur und Scheu vor einer Eskalation. Am Ende sind 5 Mrd. sfr

verdampft.

Doch der Eindruck, dass ein Bankvorstand Skandale leicht verhindern kann, indem

er mit gutem Willen und gesundem Menschenverstand einfach nur hinsieht, könnte

ein Trugschluss sein. Skandale passieren viel zu häufig. Wie bereitwillig etwa

haben viele hiesige Banken und Fonds Wirecard Geld anvertraut, wie häufig haben

diverse Adressen Geldsummen für windige Kunden transferiert und Bußgelder

kassiert, wie teuer kommt die Greensill-Havarie - noch so eine spektakuläre

Pleite - nicht nur Fondsanleger der Credit Suisse, sondern über Umwege auch die

deutsche Kreditwirtschaft zu stehen! So haarsträubend jeder Fall auch ist, so

regelmäßig treten gravierende Fehltritte auf, dass sie fast schon normal

erscheinen - nur das sollten sie nicht sein.

Es ist paradox: Zur Skandal-Prophylaxe ist Verständnis für die haarsträubenden

Fehltritte wichtig. Die Beziehung der Credit Suisse zu Archegos war lange

gewachsen, das Unternehmen über Jahre erstaunlich er­folg­reich, auch andere

Banken be­dienten den Hedgefonds be­reitwillig. In dieser Gemengelage war es

schwierig, ein profitables und augenscheinlich be­herrschbares Engagement in

Frage zu stellen. Unternehmen sind komplexe Gebilde, Führungskräfte mitunter

blind, Gruppen ähnlich denkender Menschen anfällig für Fehleinschätzungen. Es

ist haarsträubend, welche Risiken Archegos, finanziert von Banken, aufbauen

konnte. Gerade deshalb sollte ein Skandal nicht als Gier der Dummen und Dreisten

abgetan werden.

Haarsträubend ist aber auch, was Credit-Suisse-Chef Thomas Gottstein zu

Protokoll gibt: Von Archegos habe er bis zur Berichterstattung noch nie etwas

ge­hört! Der Manager kann froh sein, dass der Prüfbericht das Versagen in der

ersten und zweiten Reihe sieht, weniger in der obersten Etage. Und er hat Glück,

dass der Abgang seines Vorgängers Tidjane Thiam, der nach einem Abhörskandal

nicht mehr haltbar war, wenig mehr als ein Jahr her ist und die Credit Suisse

nicht direkt wieder einen CEO austauschen mag. Noch ein Skandal aber, und

Gottstein muss gehen. Auch das wäre im Bankgeschäft normal.

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