EURO STOXX 50
16.12.2022 18:40:38
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Ende der Illusionen / Kommentar zur Stimmung an den Aktienmärkten von
Dieter Kuckelkorn.
Frankfurt (ots) - Das Schlimmste schien vorüber zu sein. So lässt sich die
Stimmung an den Aktienmärkten beschreiben, wie sie vor den Notenbanksitzungen
der zu Ende gehenden Handelswoche praktisch allerorten zu finden war. Der Dax
war bereits wieder zeitweise bis über 14 500 Punkte geklettert. Zumindest bei
der US-Notenbank Federal Reserve schien das Ende der Leitzinsanhebungen bereits
sichtbar zu werden, zumindest aber eine deutliche Verlangsamung des Tempos, mit
dem die Fed vorgeht. Damit schien auch klar zu sein, dass die Rezession in den
USA und möglicherweise auch in Europa nicht so schlimm ausfällt wie einige
Monate vorher noch befürchtet. Lichtblicke auch in Asien: China gibt die
bislang strikte Bekämpfung der Covid-19-Pandemie auf, was die Konjunktur
antreiben sollte. Eine gewisse Entspannung für Unternehmen und Verbraucher
zeichnete sich auch an den Energiemärkten ab. Die Gasspeicher in Europa waren
randvoll, die Witterung milde. Und mit der Verhängung und dem Inkrafttreten der
Preisobergrenze für russisches Öl durch G7 und EU kam es nicht zu dem
befürchteten Preissprung, ganz im Gegenteil: Der Brent-Ölpreis sank kürzlich
sogar auf ein Jahrestief.
Am Donnerstag ist nun vielen Marktteilnehmern klar geworden, dass dieses
Szenario, das man vielleicht als "Goldilocks innerhalb der Krise" umschreiben
könnte, eine Illusion war. Dax und Euro Stoxx 50 brachen um mehr als 3% ein.
Dazu bedurfte es zum einen der Hinweise, die Fed-Chairman Jerome Powell tags
zuvor gegeben hatte, sowie zum anderen für die europäischen Märkte vor allem der
Europäischen Zentralbank, die sich am Donnerstag deutlich aggressiver
positionierte als von den Marktteilnehmern erwartet. Wenngleich Fed und EZB nur
jeweils um 50 Basispunkte anhoben, haben sie doch deutlich gemacht, dass die
Phase der Zinserhöhungen länger dauern wird als von den Märkten antizipiert.
Damit ist auch klar, dass durch die verschärften Bremsmanöver der Notenbanken
die Rezession schwerer wird als angenommen und dass sowohl Fed als auch EZB
gewillt sind, das zu akzeptieren.
Die Notenbanken wollten konzertiert ein Zeichen setzen. Wie George Saravelos vom
FX-Research der Deutschen Bank schreibt, wollen die Zentralbanker die
Finanzmärkte davon abhalten, die Politik steigender Zinsen zu unterminieren. Der
massenweise Kauf von Risiko-Assets bewirkt eine Lockerung der Konditionen an den
Finanzmärkten, die sich damit de facto dem antiinflationären Ansatz der
Notenbanken entgegenstellen. Saravelos glaubt, dass nach den Verbraucherpreisen
nun die Lage an den Arbeitsmärkten die Hauptaufmerksamkeit der Zentralbanken
beansprucht. Dem ist zuzustimmen, denn erst wenn dort die Rezession greift und
der Auftrieb der Löhne und Gehälter verhindert oder umgekehrt wird, können die
Notenbanken für sich beanspruchen, die Inflation im Griff zu haben.
Dies läuft auf zusätzliche Belastungen für die von der Krise bereits hart
getroffenen Verbraucher hinaus. Die Folgen für die Aktienmärkte sind ebenfalls
klar. Zwar waren sinkende Inflationsraten zumeist positiv für Aktien, schreibt
Aktienstratege Uwe Streich von der LBBW, weiter steigende Leitzinsen jedoch
nicht: "Die Gemengelage lässt deutlich sinkende Margen und Rentabilitätszahlen
der Unternehmen befürchten."
Aber es trübt sich auch das Umfeld für die Aktienmärkte wieder ein. Der
Gasverbrauch in Europa hat deutlich zugenommen, so dass Engpässe im Spätwinter
nicht auszuschließen sind. Die Preisobergrenze für russisches Öl dürfte wegen
des Auslaufens von zeitweiligen Erleichterungen doch noch eine preistreibende
Wirkung auf dem Ölmarkt entfalten, und zwar allerspätestens mit der Zündung der
zweiten Stufe der Sanktionen ab dem 5. Februar. Auf dem Gebiet der
Energieversorgung steht der EU die eigentliche Prüfung also noch bevor. Und
angesichts der immer weitergehenden Eskalation ist es auch keineswegs
auszuschließen, dass es doch noch zu einem direkten militärischen Konflikt
zwischen Nato und Russland um die Ukraine kommt.
Auf der Habenseite ist allerdings zu verbuchen, dass die Bewertungen an den
Aktienmärkten schon deutlich nachgelassen haben, das Kurs-Gewinn-Verhältnis des
Dax auf Basis der Erwartungen für 2022 liegt bei lediglich 11,4. Damit ist
zumindest nicht zu erwarten, dass es zu einem Kurssturz am europäischen
Aktienmarkt kommt - zumindest dann nicht, wenn sich der Ukraine-Krieg nicht
stark ausweitet. Allerdings ist davon auszugehen, dass die allerorten positiven
Erwartungen für den europäischen Aktienmarkt im neuen Jahr deutlich nach unten
korrigiert werden müssen.
(Börsen-Zeitung, 17.12.2022)
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