28.09.2018 20:37:42
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Mittelbayerische Zeitung: Schwieriger Gast/Der Deutschland-Besuch Erdogans kann das schwer belastete Verhältnis zwischen beiden Staaten verbessern. Differenzen über Demokratie und Menschenrechte bleib
Regensburg (ots) - Ein Fisch kommt erst zur Vernunft, wenn er im
Netz gefangen ist. So lautet ein türkisches Sprichwort. Vielleicht
kann der jetzige Deutschland-Besuch des türkischen Präsidenten Recep
Tayyip Erdogan so etwas wie ein Schritt zu einer vernünftigeren,
weniger von Allmachtsstreben geleiteten Politik sein. Die Hoffnung
darauf jedenfalls ist mit der Deutschland-Visite etwas größer
geworden. Doch das schwierige, arg belastete und widersprüchliche
Verhältnis zwischen beiden Staaten ist damit noch lange nicht gut.
Nicht vergessen sind jedenfalls Erdogans Attacken gegen Deutschland,
dem er im Wahlkampf sogar Nazi-Methoden vorwarf, weil Auftritte
türkischer Politiker in mehreren deutschen Städten untersagt worden
waren. Die Inhaftierungen deutscher Staatsbürger und Journalisten
unter der fadenscheinigen Begründung, sie hätten Terrorpropaganda
betrieben, standen für einen weiteren Tiefpunkt in den
deutsch-türkischen Beziehungen. Und immer wieder betrieb Ankara über
diverse Organisationen, wie die umstrittene Moscheevereinigung Ditib,
eine Art Alleinvertretungspolitik für die in Deutschland lebendenden
Türken. Das gipfelte sogar darin, dass Deutsch-Türken zur
Denunziation von Erdogan-Gegner in der Bundesrepublik aufgerufen
wurden. All das schürte verständlicherweise das Misstrauen und die
schroffe Ablehnung des jetzigen Besuchs des starken Mannes vom
Bosporus in Berlin und Köln. Das Protokoll rollte dem türkischen
Präsidenten zwar den roten Teppich aus, doch Erdogan ist und bleibt
ein äußerst schwieriger Gast. Die tiefgehenden Differenzen über
Demokratie und Menschenrechte zwischen Berlin und Ankara bleiben
jedenfalls auch nach dem Staatsbesuch erhalten. Und wie dünn das Eis
ist, zeigt der Fall des regimekritischen Journalisten Can Dündar, der
in Deutschland im Exil lebt. In der Türkei drohen ihm mehrere Jahre
Haft, weil er heimliche Waffenlieferungen nach Syrien aufdeckte.
Allerdings hat sich seit den vorgezogenen Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen in der Türkei im vorigen Jahr einiges
verändert. Zwar hat Erdogan de facto eine Präsidialdiktatur
installieren können, doch das hat die inneren und äußeren Probleme
nicht kleiner werden lassen. Im Gegenteil. Die türkische Wirtschaft
und ihre Währung befinden sich auf Talfahrt. Die Inkompetenz von
Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak als Finanzminister mag dazu
beigetragen haben. Außerdem haben sich die Beziehungen zu den USA
seit dem Amtsantritt von Donald Trump empfindlich abgekühlt. Die
US-Sanktionen gegen die Türkei haben das Land nur noch tiefer in die
Wirtschaftskrise gestürzt. Außerdem ist das Land heftig in den
Syrien-Krieg verstrickt. Sollte es zum Sturm auf die syrische Region
Idlib durch die Assad-Armee kommen, droht der Türkei eine neue
Flüchtlingswelle von Hunderttausenden. Vor diesem Hintergrund kam nun
auch kein machtstrotzender Präsident nach Deutschland, sondern eher
ein angeschlagener. Erdogan ist sozusagen in einem Netz riesiger
Probleme gefangen. Er braucht Berlin und Brüssel, um die gravierende
wirtschafts- und außenpolitische Krise seines Landes wieder
einigermaßen in den Griff zu bekommen. Aber natürlich tritt der "Boss
vom Bosporus" deshalb nun nicht als Bittsteller auf, sondern kehrt
den Partner Deutschlands und der übrigen Europäer heraus. Dies
allerdings auch, weil ihm Moskau die kalte Schulter zeigt. Die
Hoffnungen auf Hilfen von Wladimir Putin jedenfalls haben sich, trotz
einer Wiederannäherung an den Kreml, zerschlagen. Berlin bleibt
gegenüber Erdogan in Demokratie- und Menschenrechtsfragen allerdings
richtigerweise prinzipienfest. Zugleich aber bietet sie dem
Nato-Partner und Verbündeten in der Flüchtlingsfrage den Ausbau
wirtschaftlicher Beziehungen an. Man kann das eine tun, ohne das
andere zu lassen.
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