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20.09.2015 23:57:39

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zu Flüchtlinge/De Maizière

Regensburg (ots) - Nein, Angela Merkel muss sich nicht dafür entschuldigen, dass sie Tausende in Ungarn gestrandete Syrien-Flüchtlinge ins Land kommen ließ. Hätte sie auf die knarzigen Bedenken von Horst Seehofer gehört und nichts getan, hätten wir wahrscheinlich noch schlimmere Bilder des brutalen Umgangs mit ihnen ansehen müssen, als es ohnehin gibt. Die - etwa in der Griechenland-Krise - als herzlos abgestempelte Kanzlerin gab der Welt ein Beispiel tätiger Mitmenschlichkeit. Sie hat die Bedenkenträger von Budapest über London bis Kopenhagen und Warschau beschämt. Die wollen dem Signal der Humanität und Menschenwürde nicht folgen. Deutschland dagegen erlebt ein unerwartetes Septembermärchen der Hilfsbereitschaft. Das ist nicht nur gut gemeint, sondern auch gut getan. Und das bleibt. Ein wenig erinnern diese Tage an die Zeit nach dem Wahnsinn des Mauerfalls. Man lag sich für einen Moment freudetrunken in den Armen. Danach gab es einen Kater. Die Mühen des Zusammenwachsens von Ost und West halten bis heute an. Merkel hat dem Land mit ihrer unter dem Gesichtspunkt der Humanität alternativlosen Entscheidung zugleich eine gewaltige Herausforderung beschert. Das, was jetzt an Aufnahme, Unterbringung, Betreuung und Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen zu leisten ist, hat durchaus die Dimensionen der Wiedervereinigung. Auch seinerzeit gab es Kleingeister, die zweifelten. Allerdings auch einen Kanzler, der unvorsichtigerweise von rasch blühenden Landschaften fabulierte. Es mag sein, dass Merkel selbst von der Wucht der Probleme überrascht ist, die ihre Entscheidung nach sich zog. Die jetzige Herausforderung geht an die Grenzen der Verwaltungen, der Aufnahmefähigkeit, der Hilfsbereitschaft, der Kooperation zwischen Bund, Ländern, Landkreisen und Kommunen - weniger an die finanziellen Möglichkeiten des Landes, in dem gerade die Steuereinnahmen sprudeln. Die erwarteten Kosten sind gewiss kein Klacks, doch sie sind darstellbar. Zugleich ist die Aufgabe die größte Herausforderung für Innenminister Thomas de Maizière. Er beriet einst seinen Cousin und letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière in schwierigen rechtlichen Fragen der Einheit. Nun ist er angeschlagen. Das Bundesamt für Flüchtlinge in Nürnberg ist in der jetzigen Struktur und Personalstärke der Aufgabe nicht gewachsen, die Vernetzung zu anderen Behörden vorsintflutlich. Dass de Maizière den Chef der Bundesagentur für Arbeit letzte Woche gewissermaßen zum Multitasking-Chef beider Behörden machte, zeigt einerseits, wie sehr er die Managementqualitäten des Reserveoffiziers Frank-Jürgen Weise schätzt. Zugleich aber ist Weise de Maizières letztes Aufgebot. Zugleich muss der Bundesinnenminister noch in anderer Weise tätig werden, als nur die deutschen Grenzen kontrollieren zu lassen. Er muss die Christsozialen halbwegs befrieden, die schon lange auf das Prinzip Sach- statt Geldleistungen pochen. Obendrein will de Maizière die Leistungen für diejenigen kürzen, die keinen Anspruch auf Asyl haben. Da der Jurist de Maizière die eindeutige Rechtssprechung von Karlsruhe kennt, dürfte dies nicht viel mehr als eine Beruhigungspille für Seehofer, Herrmann und Co. sowie die Stammtische sein. Mit seiner "Vision" von festen EU-Kontingenten für die Aufnahme von Flüchtlingen dürfte der ministerielle Krisenmanager allerdings erst recht auf Granit beißen. Das schaffte auch "Mutti Barmherzig" nicht. Doch ohne eine europäische Regelung und ohne wirkliche Hilfen in den Konfliktregionen selbst sind auch in Deutschland die Grenzen des Willkomens vielleicht bald erreicht.

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