Zu Unrecht? 09.03.2021 16:49:00

Lenzing-Aktie schwächer - Masseverwalterin: Leihfirma von Hygiene Austria bezog Kurzarbeitsgeld

Lenzing-Aktie schwächer - Masseverwalterin: Leihfirma von Hygiene Austria bezog Kurzarbeitsgeld

"Interessanterweise hat die Firma mehrfach Kurzarbeitsgeld bezogen für ihre Dienstnehmer und bei meinen Erhebungen hat sich hier mir schon massiv der Eindruck aufgedrängt, dass eben hier Kurzarbeitsgeld möglicherweise zu Unrecht bezogen wurde", sagte die Anwältin Ulla Reisch, die den Konkurs der AD Job Assist GmbH abwickelt, am Dienstag im ORF-Radio.

Die AD Job Assist GmbH ist seit Ende 2020 pleite. Laut "Wirtschaftscompass" wurde der Konkurs Mitte Dezember eröffnet. Wie es in dem Firmenregister weiter heißt, handelt es sich bei der AD Job Assist GmbH laut einer Mitteilung der Finanzbehörde vom 21. Jänner 2021 um ein Scheinunternehmen gemäß Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz.

Auch ein weiterer Partner von Hygiene Austria, Steady Global Partners GmbH, wurde laut "Wirtschaftscompass" vom Finanzministerium als Scheinfirma gemäß Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz ?8 identifiziert. Laut "Standard" gibt es insgesamt vier Personaldienstleister, die für das Gemeinschaftsunternehmen von Lenzing und Palmers gearbeitet haben, teilweise mit schlechter Bonität und zum Teil ohne Gewerbeberechtigung für die Arbeitskräfteüberlassung.

Die Arbeiterkammer hat mit Beginn der Medienberichte über den Maskenproduzenten begonnen, Recherchen anzustellen. Inzwischen habe man ein paar Mitarbeiter gefunden, die bei der Hygiene Austria als Leiharbeitskräfte tätig gewesen seien, erklärte AK-Direktor Christoph Klein am Dienstag am Rande einer Pressekonferenz. Diese Leiharbeitskräfte haben am morgigen Mittwoch einen Termin mit der AK, sie wirkten "verängstigt", meinte Klein. Man stehe auch in Kontakt mit der Gewerkschaft, die ebenfalls recherchiere. Einen Betriebsrat gebe es trotz der Betriebsgröße nicht, kritisierte Klein. Nach den Recherchen sei man hoffentlich in ein paar Tagen in der Lage, "Tacheles zu reden".

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt gegen Hygiene Austria, die einen Teil der Corona-Schutzmasken in China fertigen ließ. Neben des Verdachts des schweren gewerbsmäßigen Betrugs geht die Staatsanwaltschaft dem Verdacht der organisierten Schwarzarbeit nach. Vor einer Woche gab es bei Palmers in Wien sowie am Produktionsstandort in Wiener Neudorf Hausdurchsuchungen. Die Händler nahmen die Masken daraufhin aus dem Verkauf.

Gestern, Montag zog Lenzing seinen Geschäftsführer und seine Mitarbeiter ab und warf dem Partner Palmers vor, Aufklärung zu verhindern. Ein ehest bald von Lenzing zu bestimmender Wirtschaftstreuhänder werde mit der Verwaltung der Lenzing-Anteile an Hygiene Austria betraut, teilte der börsenotierte Faserkonzern mit.

Der verbliebene Geschäftsführer, der Palmers-Vorstand Tino Wieser, wiederum sagt, bei Lenzing hebe niemand mehr ab. Wieser weist die Vorwürfe zurück, auch dass die Hygiene Austria nicht angemeldete Leiharbeiter beschäftigt habe. Man habe sich dreier Personalbereitstellungsfirmen bedient und sich jeden Monat Auszüge der Sozialversicherung und des Finanzamts vorlegen lassen um zu überprüfen, ob alle Mitarbeiter korrekt angemeldet sind.

Lenzing will Sache nicht weiter kommentieren

Beim börsennotierten Faserhersteller Lenzing will man die Vorgänge rund um Hygiene Austria nicht weiter kommentieren, wie Pressesprecher Johannes Vetter am Dienstag am Telefon zur APA sagte. Palmers-Vorstand Tino Wieser warf dem Geschäftspartner zuvor vor, es würde bei Lenzing niemand mehr abheben. Lenzing will das Kapitel Hygiene Austria möglichst rasch abhaken und kündigte an, einen Wirtschaftstreuhänder mit der Verwaltung der Anteile zu betrauen.

Lenzing hat eigentlich vergangene Woche mitten im Trubel formal die alleinige Kontrolle über die Hygiene Austria LP GmbH übernommen und vollkonsolidiert, nachdem die Bundeswettbewerbsbehörde BWB keine Einwände dagegen hatte. Der Faserkonzern kündigte nach der Razzia an, selbst mit einem Forensik-Team für Aufklärung zu sorgen, scheiterte aber, wie Lenzing am Montag einräumte, am Partner Palmers. Die zur Aufarbeitung der Vorgänge notwendigen Unterlagen befänden sich großteils in den Räumen von Palmers, zu denen Lenzing "weder Zutritt noch Zugriff" bekommen habe, hieß es.

Palmers ging daraufhin in die Gegenoffensive. Wieser gab mehreren Medien Interviews. Er erklärte seine Sicht der Dinge und wies die Vorwürfe zurück. Am Dienstag kündigte er in einer Presseaussendung eine Transparenzinitiative an. Kunden können sich demnach für Fragen an die Adresse service@hygiene-austria.at wenden. Wieser betonte in der Aussendung, die Qualität der vom chinesischen Lohnfertiger produzierten Masken sei "absolut gleichwertig und übererfüllt alle europäischen und österreichischen Schutzanforderungen". Sie seien sogar teurer gewesen. "Wir wollten für Sicherheit sorgen und uns nicht bereichern", so Wieser.

Wieser verwies darauf, dass die Hygiene Austria bei der Bundesbeschaffungsgesellschaft (BBG) zum damaligen Zeitpunkt als einziger österreichischer Produzent gelistet war. "Das Projekt Hygiene Austria wurde aus der Überzeugung heraus gegründet, mit österreichischer Qualität, Arbeitsplatzschaffung für 200 Menschen und österreichischer Wertschöpfung einen wertvollen Beitrag zum Wohle und zum Schutz der Bevölkerung in der größten Pandemie der letzten hundert Jahre zu leisten", so Wieser. Mit der Produktion in China habe man Lieferzusagen einhalten wollen. Man bedauere, dass auf Seiten der Abnehmer der Eindruck entstanden sei, dass es sich um ausschließlich in Österreich hergestellte Produkte handle.

Die Hygiene Austria hat sowohl auf der Homepage als auch beim Verkauf die Masken mit "Made in Austria" beworben.

Zum Vorwurf der Schwarzarbeit verwies Wieser darauf, dass "für die Bezahlung der LeiharbeiterInnen ausschließlich die beauftragten Leiharbeitsunternehmen verantwortlich sind". Die Hygiene Austria sei "marktübliche und transparente Verträge eingegangen". Wie der Hygiene-Austria-Geschäftsführer überdies betonte, waren keine Mitarbeiter der Hygiene Austria in Kurzarbeit.

Zu den Arbeitsbedingungen gab es gestern, Montag, eine Prüfung durch das Arbeitsinspektorat. Das Ergebnis laut Wieser: Die Arbeitsbedingungen entsprechen hinsichtlich Sicherheit wie auch Ausstattung allen Anforderungen und modernen Standards.

Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) meinte am Dienstag am Rande einer Pressekonferenz, dass Hygiene Austria mehrfach von den Arbeitsinspektoraten kontrolliert wurde, aber keine Unregelmäßigkeiten entdeckt wurden. Es liege hier möglicherweise ein kriminelles Handeln vor, das die Aufdeckung von Missständen erschwere.

In Wien verliert die Lenzing-Aktie derzeit 1,20 Prozent auf 115,20 Euro.

APA

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Bildquelle: Markus Kirchgatterer / Lenzing AG,Lenzing Markus Renner/Electric Arts

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