"Made in Austria" 08.03.2021 20:46:00

Lenzing-Aktie schließt im Minus: Lenzing zieht Manager bei Hygiene Austria ab - Vorwürfe gegen Palmers - Mikl-Leitner verlangt "lückenlose Aufklärung"

Lenzing-Aktie schließt im Minus: Lenzing zieht Manager bei Hygiene Austria ab - Vorwürfe gegen Palmers - Mikl-Leitner verlangt "lückenlose Aufklärung"

Der börsennotierte Faserhersteller Lenzing hat heute bekanntgegeben, seine beiden Geschäftsführer zurückzuziehen bzw. abzuberufen. Als Grund wird genannt, dass man keinen vollständigen Zugang zu wichtigen Unterlagen erhalten habe. Palmers zeigt sich von dem Schritt des Partners überrascht.

"Zu keiner Zeit hat Palmers die Aufklärung der Untersuchung behindert oder Unterlagen zurückgehalten", hießt es in einem Palmers-Statement vom Montag. Die Unterlagen seien im Rahmen der Hausdurchsuchung am 2. März den Behörden übergeben worden. Darüber hinaus seien alle Unterlagen immer auch den von Lenzing gestellten Geschäftsführern vorgelegen, "da immer nur beide Geschäftsführer wirksam für Hygiene Austria LP GmbH zeichnen konnten".

Allerdings hätten Lenzing und Palmers vergangenes Wochenende über eine Übernahme der Lenzing-Anteile an der Hygiene Austria durch Palmers verhandelt. Die Verhandlungen seien derzeit noch nicht abgeschlossen, heißt es vom Unternehmen. Dem verbleibenden Hygiene Austria-Chef Tino Wieser sei es ein Anliegen "sämtliche Vorwürfe hinsichtlich der behaupteten Mängel" aufzuklären.

Lenzing hatte am Nachmittag per Aussendung erklärt, dass mit sofortiger Wirkung die Nominierung von Stephan Sielaff als Geschäftsführer der Hygiene Austria zurückgezogen und Stephan Trubrich als Geschäftsführer abberufen werde. Ein ehest bald von Lenzing zu bestimmender Wirtschaftstreuhänder werde mit der Verwaltung der Lenzing-Anteile an Hygiene Austria betraut. Im Vorstand der Lenzing AG werde künftig ausschließlich Sielaff für alle Agenden betreffend der Beteiligung an der Hygiene Austria zuständig sein.

Damit bleibt in der Geschäftsführung der Hygiene Austria nur noch Tino Wieser, der auch dem Vorstand des Hygiene-Austria-Minderheitseigentümers Palmers Textil AG angehört. Sein Verwandtschaftsverhältnis zur Büroleiterin von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), die mit seinem Bruder Palmers-Vorstand Luca Wieser verheiratet ist, ist in den letzten Tagen im Zuge der innenpolitischen Turbulenzen rund um den Maskenskandal thematisiert worden. Die zur Aufarbeitung der Vorgänge notwendigen Unterlagen befänden sich großteils in den Räumen von Palmers, zu denen Lenzing "weder Zutritt noch Zugriff" bekommen habe, kritisiert Lenzing in der Aussendung. Daher sei man außerstande, die operative Geschäftsführung auszuüben.

"Trotz intensivstem Ressourceneinsatz seitens Lenzing war die dringend erforderliche rasche Aufklärung mit belastbaren Resultaten ebenso wenig möglich, wie die tatsächliche Ausübung der Geschäftsführung. Lenzing sieht daher die Aufarbeitung der aktuellen Vorwürfe bei den zuständigen Behörden. Dabei wird Lenzing nach besten Kräften unterstützen", heißt es in der Lenzing-Aussendung von Montagnachmittag.

Das Projekt Hygiene Austria sei von Lenzing mitgegründet worden, um mit österreichischer Qualität einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Bevölkerung in der größten Pandemie der letzten hundert Jahre leisten zu können, heißt es weiter in der Lenzing-Aussendung. "Das Versprechen "Made in Austria" wurde offensichtlich nicht durchgehend gewährleistet. Eine umfassende und schonungslose Aufklärung ist daher unabdingbar."

SPÖ-Vizeklubvorsitzender Jörg Leichtfried äußerte Kritik: Die Causa scheine sich "zu einem der größten Kriminal- und Korruptionsfälle der jüngeren Wirtschaftsgeschichte zu entwickeln und das im Umfeld von Sebastian Kurz." Ein österreichischer Weltkonzern, die Lenzing AG, ziehe sich von einem Tag auf den anderen zurück, weil sie offenbar befürchte, dass "politisch gewollt Aufklärung verhindert werden soll", so Leichtfried in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Der Schaden für den Standort Österreich sei bereits entstanden. "Angesichts der persönlichen Verbindungen zwischen Kanzlerbüro und Hygiene Austria werden die Aussagen des Kanzlers, er wusste von nichts, von Tag zu Tag unglaubwürdiger. Dass die Regierung offenbar einem solchen Unternehmen auch am Vergabegesetz vorbei einen Millionenauftrag zuschanzen wollte, ist ein Skandal und muss restlos aufgeklärt werden!"

An der im Frühjahr 2020 zur Maskenproduktion gegründeten Hygiene Austria hält die Lenzing AG 50,1 Prozent, die Palmers Textil AG 49,9 Prozent. Das in Wiener Neudorf (Bezirk Mödling) ansässige Unternehmen hatte eingeräumt, dass ein Teil der als "Made in Austria" vermarkteten Masken in China zugekauft wurde.

Hygiene Austria-Chef Wieser: Bei Lenzing hebt keiner ab

Nachdem der Faserhersteller Lenzing als Mehrheitseigentümer des Maskenproduzenten Hygiene Austria am Montag überraschend seine beiden Geschäftsführer zurückgezogen hat, muss sich der verbliebene Geschäftsführer Tino Wieser vom Minderheitsgesellschafter Palmers alleine um Schadensbegrenzung im Maskenskandal kümmern. Eigentlich habe er das Unternehmen ganz übernehmen wollen, aber Lenzing habe den Kontakt abgebrochen, sagte Wieser am Montagabend zur APA.

Lenzing hatte am Nachmittag per Aussendung erklärt, dass mit sofortiger Wirkung die Nominierung von Stephan Sielaff als Geschäftsführer der Hygiene Austria zurückgezogen und Stephan Trubrich als Geschäftsführer abberufen werde. Als Grund wurde genannt, dass man keinen vollständigen Zugang zu wichtigen Unterlagen erhalten habe.

"Letzte Woche haben wir zusammen mit der Lenzing an der Aufklärung der ganzen Sache gearbeitet, auch das ganze Wochenende bis auf gestern um acht Uhr, wo ich dann auf einmal allein da gesessen bin", sagte Wieser zur APA. "Heute kam das Statement zu Mittag, während alle Mitarbeiter zu einem Team Lunch eingeladen wurden, dass alle Mitarbeiter der Lenzing abgezogen werden."

Lenzing sei bis dahin mit 15 bis 20 Leuten vor Ort gewesen. "Von der Aufgabenaufteilung her war von Anfang an klar, dass die Lenzing die Produktion und die Materialbeschaffung plus Qualitätssicherung und Zertifikate macht", so Wieser. Die Aufgaben von Palmers seien Verkauf, Marketing, Logistik und Buchhaltung gewesen. "Ich finde es einfach nicht in Ordnung, wenn sich ein Partner in dieser Zeit, salopp gesagt, ein bissl davonstiehlt."

Die Begründung von Lenzing, dass man keinen Zugang zu wichtigen Unterlagen erhalten habe, lässt Wieser nicht gelten. "Wissen Sie, was bei einer Hausdurchsuchung passiert? Die beschlagnahmen alles. Wir sind bis Samstagabend hier gesessen, haben alles zusammen ausgearbeitet. Gestern noch sind Daten ausgetauscht worden, heute in der Früh sind die letzten Daten ausgetauscht worden." Aber es sei eben keine Einsicht in Unterlagen möglich, die bei der Staatsanwaltschaft seien.

Er habe weiterhin vor, die Hygiene Austria ganz zu übernehmen. "Ich habe ein Übernahmeangebot gelegt, wir waren schon in Vertragsausarbeitung, es war für 14 Uhr heute der Notar bestellt", sagte Wieser. Stattdessen habe es aber die überraschende Presseaussendung der Lenzing gegeben. Er sei nach wie vor an der Übernahme interessiert, aber "da muss man mit mir reden. Wenn der Mehrheitsgesellschafter nicht mehr mit dir redet, dann wird's ein bissl schwierig. Ich habe alle angerufen, es hebt keiner ab."

Am Wochenende sei die Maskenproduktion unterbrochen gewesen, inzwischen habe man sie aber wieder aufgenommen, berichtete Wieser. Man produziere jetzt eben vorerst auf Lager. "Die letzte Woche war jetzt nicht die umsatzstärkste, das muss man ganz klar sagen." Zum Skandal rund um die FFP2-Schutzmasken "Made in Austria" kam es, als bekannt wurde, dass ein Teil der Masken nicht am Standort in Wiener Neudorf produziert, sondern von einem chinesischen Lohnfertiger zugekauft wurde.

"Ich verstehe die Verunsicherung der Menschen", so Wieser, aber "unsere Masken sind alle höchste Qualität. Wir haben auch die beim Lohnfertiger gefertigten Masken über das Wochenende noch einmal überprüfen lassen." Es müsse sich niemand Sorgen machen, "die Masken sind besser als alle anderen, die man am Markt kaufen kann." 98 Prozent ihres Umsatzes habe die Hygiene Austria in Österreich gemacht. "Wir sind ein österreichisches Unternehmen, und alles, was ich ausliefere, ist in Ordnung." Bisher habe man mehr als 100 Millionen Masken produziert, nur ein geringer Teil davon sei wegen der hohen Nachfrage bei einem Lohnfertiger zugekauft worden. "Ich bin der Meinung, dass ich nichts verbrochen habe", sagte Wieser. "Ich war der Meinung, dass ein gewisser Anteil am Produkt ausreicht, um 'Made in Austria' draufzuschreiben." Es handle sich um das gleiche Baumuster und das gleiche Material, "sie sind doppelt so teuer wie wenn man sie selber herstellt".

Kritisiert wurde auch, dass die Zertifizierung der FFP2-Schutzmasken nicht in Österreich durchgeführt wurde. Auch die Überprüfung am vergangenen Wochenende sei wieder in Ungarn erfolgt, sagte Wieser. "Das ist Europa, das ist nicht die Pampa. Wir haben damals im Zuge der Zertifizierung in ganz Europa überall angerufen: 'Wer kann uns schnell ein Zertifikat ausstellen?' Österreich hat erst, ich glaube seit Dezember letzten Jahres, eine Zertifizierungsstelle." Bei anderen Zertifizierungsstellen hätte es Wartezeiten von sechs bis acht Monaten gegeben.

Wieser wies auch den Vorwurf zurück, die Hygiene Austria habe nicht angemeldete Leiharbeiter beschäftigt. Man habe sich dreier Personalbereitstellungsfirmen bedient und sich jeden Monat Auszüge der Sozialversicherung und des Finanzamts vorlegen lassen um zu überprüfen, ob alle Mitarbeiter korrekt angemeldet sind. "Im Zuge der letztwöchigen Ermittlungen haben wir von allen Mitarbeitern alle Anmeldungen gehabt. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer." Aktuell habe man 220 Beschäftigte und habe vorgehabt, Mitte des Monats auf 300 aufzustocken.

Eine politische Dimension erhält der Skandal durch Wiesers Verwandtschaftsverhältnis zur Büroleiterin von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), die mit seinem Bruder, Palmers-Vorstand Luca Wieser, verheiratet ist. Die Hygiene Austria könnte von diesem Naheverhältnis profitiert haben, so der Verdacht. Wieser weist auch diesen Vorwurf zurück. "Wir haben von all dem, was wir über den gesamten Zeitraum produziert haben, in Summe gerade einmal ein Prozent an öffentliche Stellen, Regierungen und die BBG (Bundesbeschaffungsgesellschaft, Anm.) verkauft", so der Hygiene-Austria-Geschäftsführer. "Ich habe mit dem Kurz nie telefoniert. Ich war bei seiner Wahlveranstaltung - was weiß ich, wann das war, 2015? - um ihm zu gratulieren, das war's."

Mikl-Leitner verlangt "lückenlose Aufklärung"

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat in der Causa um die FFP2-Maskenproduktion von Hygiene Austria "lückenlose Aufklärung" verlangt. "Wenn sich herausstellt, dass hier betrogen wurde, dann ist das eine Frechheit der Sonderklasse und wird von uns rechtlich verfolgt werden", hielt sie am Sonntag in einer Aussendung fest. Bisherige öffentliche Erklärungen des Unternehmens seien "nicht zufriedenstellend".

Das in Wiener Neudorf (Bezirk Mödling) produzierende Unternehmen, ein Joint Venture von Lenzing und Palmers, hatte eingeräumt, dass ein Teil der als "Made in Austria" vermarkteten Masken in China zugekauft wurde. "Es wurde mit Schutzmasken aus heimischer Produktion geworben und wir Konsumenten haben unter anderem genau deswegen zu diesen Masken gegriffen", kritisierte Mikl-Leitner. "Wenn wir dabei bewusst hinters Licht geführt wurden, dann müssen die Verantwortlichen mit der vollen Härte des Gesetzes verfolgt werden", resümierte sie.

An der Wiener Börse schloss die Lenzing-Aktie 1,35 Prozent tiefer bei 116,60 Euro.

(Schluss) mja/ivn

APA

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Bildquelle: Markus Kirchgatterer / Lenzing AG,Lenzing Mitarbeiter

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