Bilanzskandal |
17.12.2020 17:54:00
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Guttenberg: Wirecard-Betrug war "einfach nicht vorstellbar" - Südafrika-Tochter durch Insolvenzverwalter verkauft - Aktie legt zu
Guttenberg sieht sich, wie so viele andere, im Fall Wirecard vor allem als Opfer. "Einen derartigen Betrug konnte man als Geschäftspartner - trotz gewisser Mutmaßungen in der britischen "Financial Times" - nicht erahnen", betonte er. "Hätten wir gewusst, dass das Geschäftsmodell von Wirecard offenbar auf Betrug basiert, hätten wir dieses DAX-Unternehmen niemals beraten." Die Vorwürfe gegen ihn und sein Team entbehrten jeder Grundlage. "Schließlich trage ich Verantwortung für ein Beratungsunternehmen und nicht für die Bafin oder eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft."
Der 49-Jährige hat sich verändert seit seiner Zeit als Wirtschafts- und dann Verteidigungsminister. Statt der früher oft glatt nach hinten gegelten Haare trägt er einen Drei-Tage-Bart, der ihn etwas abgewetzt aussehen lässt. Doch den Politik-Profi merkt man ihm nach wie vor an: Guttenberg tritt extrem sicher auf, ist gut vorbereitet, wirkt höchstens aufgebracht, weil er sich und seine Firma in der Öffentlichkeit falsch dargestellt sieht.
Tatsächlich war Guttenberg mit seiner Beratungs- und Beteiligungsfirma Spitzberg Partners vor der Insolvenz für Wirecard tätig. Sie unterstützten den Markteintritt des Fin-Techs in den USA und Kanada, vermittelten Partnerschaften in der Industrie. Als Wirecard seine Fühler nach China ausstrecken wollte, wies Guttenberg im September 2019 Kanzlerin Angela Merkel auf das Unternehmen hin.
Der Eintritt in den chinesischen Markt gelinge selten ohne politische Begleitung, sagte Guttenberg. Hätte er Wirecard nicht voll vertraut, hätte er das Unternehmen bei dem Treffen aber nie angesprochen. Sein Verhältnis zur Kanzlerin würde er "niemals für einen Klienten aufs Spiel setzen". Merkel habe nicht sofort ihre Unterstützung für Wirecard zugesagt, sondern auf Fachleute verwiesen. Als sie wenige Tage später nach China reiste, machte sich die Kanzlerin dann für das deutsche Fin-Tech stark.
Das sei jedoch alles ganz normale Praxis gewesen, betonte Guttenberg im Ausschuss. Tatsächlich nimmt Merkel immer wieder sogar Wirtschaftsdelegationen auf ihre Reisen mit. Nach dem damaligen Kenntnisstand sei die Unterstützung der Kanzlerin richtig gewesen, sagte der Ex-Minister.
Im Herbst 2019 hatten manche allerdings längst Zweifel an der Integrität des Skandalunternehmens, ausgedrückt etwa durch Medienberichte. In Sommer 2020 wurde klar: Der inzwischen insolvente frühere DAX-Konzern hat möglicherweise über Jahre Scheingewinne ausgewiesen. Wirecard räumte Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro ein. Laut Staatsanwaltschaft könnte es insgesamt sogar um rund drei Milliarden gehen. Die Firma saß als Dienstleister für bargeldlose Zahlungen an der Schnittstelle zwischen Händlern und Kreditkartenfirmen und machte nach aktuellem Ermittlungsstand jahrelang Verluste.
Guttenberg versicherte, weder seine Firma noch er selbst hätten zu irgendeinem Zeitpunkt von Diskrepanzen in der Bilanzierung, von Geldwäsche oder anderen Straftaten gewusst. Stattdessen habe man sich auf die offiziellen Bewertungen des Unternehmens und die staatlichen Prüfstellen verlassen. Natürlich habe man Wirecard mit den Vorwürfen aus den Medien konfrontiert, diese seien aber stets plausibel zurückgewiesen worden. "Wirecards gründlich wirkende Art und Weise" habe Spitzberg Partners nicht an der Glaubwürdigkeit des Unternehmens zweifeln lassen. Im Nachhinein klinge Vieles wie bittere Ironie.
Guttenberg traf sich auch mit Wirecard-Chef Markus Braun, der inzwischen in Untersuchungshaft sitzt. Die vier Zusammentreffen seien recht bizarr gewesen, das erste ein "entrücktes Gespräch", berichtete Guttenberg. Aus dem Nichts habe Braun ihm das Du angeboten. "Was für ein seltsames, nicht unsympathisches, aber ungewöhnliches Gespräch", erinnerte sich der frühere Minister.
Zum letzten Mal sah Guttenberg den Wirecard-Chef Anfang Juni dieses Jahres, als das Unternehmen bereits schwer unter Druck stand. Er sei auf einen "komplett gut gelaunten CEO" getroffen, berichtete er. Braun habe einen "unerschütterlichen Optimismus" ausgestrahlt. "Ich habe mir oft die Frage gestellt: Waren wir zu gutgläubig? Nein, wir wurden arglistig getäuscht."/tam/DP/mis
Parlamentarier üben Kritik nach Guttenbergs Wirecard-Aussage
Mitglieder des Wirecard-Untersuchungsausschusses haben nach der Vernehmung von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zum Teil scharfe Kritik an dessen Aussagen und an der Rolle der Regierung in dem Skandal um den mittlerweile insolventen Finanzdienstleister geübt. "Der ehemalige CSU-Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich heute im Untersuchungsausschuss als Opfer des Wirecard-Märchens präsentiert", sagte der Obmann der SPD-Fraktion in dem Ausschuss, Jens Zimmermann. Auch er habe auf die uneingeschränkten Testate der Wirtschaftsprüfer vertraut.
"Seine Darstellung des Kontakts zur Kanzlerin mutete geradezu bizarr an", meinte Zimmermann. Derartige Aktivitäten seien ausdrücklich nicht Bestandteil seines Beratungsvertrags gewesen. Gleichwohl sei dieser Lobbyismus für den Eintritt in den chinesischen Markt unerlässlich gewesen. "Für diesen finanziell sehr lukrativen Lobbyismus hat Herr zu Guttenberg jedenfalls seine offenbar immer noch exzellenten Kontakte zur Bundeskanzlerin genutzt", kritisierte er.
Auf die Frage, warum er ausgerechnet im Frühjahr 2020 einen Namensartikel zum Thema Leerverkäufe veröffentlicht habe, während er gleichzeitig in die Beratung zur Öffentlichkeitsarbeit Wirecards eingebunden war, sei Guttenberg eine überzeugende Antwort schuldig geblieben. "Wer sich mit diesem Skandal gründlich befasst, glaubt eher nicht mehr an Zufälle", meinte Grünen-Obmann Danyal Bayaz dazu.
Es passe zum "Feldzug" des Wirecard-Vorstandes und leider auch der Finanzaufsicht Bafin gegen Leerverkäufer, dass Guttenberg wenige Wochen vor der geplanten Veröffentlichung der KPMG-Sonderuntersuchung bei Wirecard ein Plädoyer für ein generelles Leerverkaufsverbot veröffentlicht habe. Guttenberg habe "als ehemaliger Minister mit exklusiven Kontakten subtilen und effektiven Lobbyismus für Wirecard betrieben".
Selbst kritische Stimmen ignoriert
Die gesamten Umstände werfen nach seiner Überzeugung "kein gutes Licht auf die Regierungspraxis" und die Verlässlichkeit ihrer Urteile. "Offenbar war man derart eingenommen von der angeblichen Erfolgsgeschichte eines DAX-Konzerns, dass man selbst kritische Stimmen im Kanzleramt ignoriert hat." Der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk (AfD) forderte über den Kurznachrichtendienst Twitter: "Das Kanzleramt braucht eine Protokollpflicht."
Guttenberg hatte bei seiner rund fünfeinhalbstündigen Vernehmung in dem Ausschuss bestritten, mit seiner Beratungsfirma Spitzberg Partners frühzeitig Kenntnis von den Betrugsvorgängen gehabt zu haben, und sich als Opfer einer Irreführung dargestellt. "Wirecard hat uns alle getäuscht", betonte er. "Hätten wir gewusst, dass das Geschäftsmodell von Wirecard offenbar auf Betrug basierte, hätten wir dieses DAX-Unternehmen niemals beraten." Er habe "zu keinem Zeitpunkt und in keiner Weise Zugang zu Indizien" für Bilanzbetrug oder Geldwäsche gehabt und sei von den Vorgängen "vollkommen überrascht" worden. "Das war einfach nicht vorstellbar", sagte Guttenberg.
In dem Ausschuss rückt verstärkt die Rolle der Politik in dem Skandal um den Zahlungsdienstleister ins Zentrum, bei dem im Juni Luftbuchungen von fast 2 Milliarden Euro öffentlich geworden waren. Dabei geht es besonders um die Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen des Engagements für Wirecard bei einer China-Reise im Herbst 2019. Guttenberg hatte zuvor als Berater mit seiner Firma vor Merkels Reise im Kanzleramt zugunsten von Wirecard antichambriert.
Bei der Ausschussanhörung charakterisierte der frühere Minister sein Treffen mit Merkel am 3. September 2019 als "sehr persönlichen" Austausch unter vier Augen über verschiedene Themen. Nachdem Merkel China erwähnt habe, habe er betont, dass ein Hinweis Merkels zu dem geplanten Markteintritt "für den Genehmigungsprozess sicherlich hilfreich sein" würde. Die Frage, gegenüber welchem Gesprächspartner Merkel Wirecard letztlich bei ihrer China-Reise erwähnt habe, konnte Guttenberg nicht beantworten.
Insolvenzverwalter verkauft südafrikanische Wirecard-Tochter
Die Zerschlagung des Skandalkonzerns Wirecard schreitet voran: Insolvenzverwalter Michael Jaffé meldete am Donnerstag den Verkauf der südafrikanischen Tochtergesellschaft Wirecard Solutions South Africa an den dortigen Zahlungsdienstleister Adumo. Den Kaufpreis nannte Jaffé nicht, der Anwalt sprach lediglich von einem "sehr guten Ergebnis für die Gläubiger".
An Wirecard South Africa gab es laut Insolvenzverwalter Interesse auch internationaler Investoren, weil die Gesellschaft ihre eigene technische Plattform für die Abwicklung elektronischer Bezahlvorgänge hat. Adumo ist ein in 13 afrikanischen Ländern tätiges Unternehmen, das nach eigenen Angaben jährlich Zahlungen in Höhe von umgerechnet etwa 36 Milliarden Euro abwickelt.
Zuvor hatte Jaffé mit dem Verkauf von Wirecard-Tochtergesellschaften und Know-how etwa eine halbe Milliarde Euro erlöst. Damit hatte der Insolvenzverwalter die Erwartungen mancher Gläubigeranwälte schon vor dem Südafrika-Deal übertroffen.
Der Schuldenberg, den der in Untersuchungshaft sitzende frühere Vorstandschef Markus Braun und seine mutmaßlichen Komplizen hinterlassen haben, ist jedoch weitaus höher. Nach Berechnungen der Münchner Staatsanwaltschaft haben Banken und Investoren mutmaßlich mehr als drei Milliarden Euro verloren. Mittlerweile haben Gläubiger und Aktionäre im Insolvenzverfahren Forderungen in zweistelliger Milliardenhöhe angemeldet.
Abgesehen davon will Jaffé auch die mutmaßlich betrügerischen Wirecard-Bilanzen gerichtlich annullieren lassen. Das sagte ein Sprecher Jaffés, zuvor hatte das "Handelsblatt" berichtet. Die Korrektur falscher Bilanzen ist bei Insolvenzen nach Betrugsfällen das übliches Vorgehen.
Wirecard-Papiere notierten am Donnerstag auf der Handelsplattform XETRA letztlich 5,14 Prozent höher bei 0,4419 Euro.
/tam/DP/eas
BERLIN (dpa-AFX / Dow Jones)
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