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Bilanzskandal 18.12.2020 13:42:00

Ex-Wirecard-Chef Braun zieht Haftbeschwerde zurück - Aktie im Minus

Ex-Wirecard-Chef Braun zieht Haftbeschwerde zurück - Aktie im Minus

"Die beim Landgericht München I anhängige Haftbeschwerde wurde im Hinblick auf die laufenden und noch nicht abgeschlossenen Vernehmungen von Herrn Dr. Braun vorerst zurückgenommen, zumal Ende Januar 2021 auch die gesetzliche Haftprüfung durch das Oberlandesgericht München stattfindet", erklärten am Freitag die Anwälte des seit fünf Monaten in Untersuchungshaft sitzenden Managers. "Die Staatsanwaltschaft München I haben wir vorab über die Rücknahme informiert."

Es war bereits Brauns zweite Haftbeschwerde im mutmaßlich größten Fall von Bilanzbetrug in Deutschland seit 1945: Nach einer vorübergehenden ersten Festnahme Ende Juni war Braun Ende Juli in Untersuchungshaft genommen worden. Im September hatte die Münchner Staatsanwaltschaft die erste Haftbeschwerde der Anwälte unterlaufen, indem sie einen neuen, erweiterten Haftbefehl präsentierte. Auf dessen Grundlage sitzt Braun seither hinter Gittern.

Kurz danach hatten seine Anwälte die zweite Haftbeschwerde eingereicht, die nun zurückgenommen wurde. Ende Januar wird dann die gesetzliche Sechs-Monats-Frist für die Untersuchungshaft erreicht sein, auf die sich Brauns Anwälte beziehen.

Die Staatsanwaltschaft sieht in Braun einen Hauptverantwortlichen für "gewerbsmäßigen Bandenbetrug", bei dem die Wirecard-Chefetage über Jahre Scheingeschäfte in Milliardenhöhe verbucht haben soll, um das Unternehmen über Wasser zu halten und Kredite zu erschwindeln.

Auf diese Weise sollen Braun und Komplizen kreditgebende Banken und Investoren um bis zu 3,2 Milliarden Euro geprellt haben, die nun höchstwahrscheinlich verloren sind. Im Insolvenzverfahren geht es um noch viel mehr Geld: Banken, Investoren, Wirecard-Geschäftspartner und Lieferanten haben mittlerweile Forderungen in zweistelliger Milliardenhöhe angemeldet.

Unter anderem die Wirtschaftsprüfer von EY und die Finanzaufsicht Bafin stehen in der Kritik, weil der Betrug nicht früher aufflog. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags will auch herausfinden, ob man im Kanzleramt ahnte, dass es bei Wirecard nicht mit rechten Dingen zuging.

Neben Braun sitzen noch zwei weitere ehemalige Wirecard-Manager in Untersuchungshaft. Die umfangreichen Vernehmungen des früheren Vorstandschefs haben Anfang vergangener Woche begonnen. Zum Inhalt der Vernehmungen äußerte sich Anwalt Alfred Dierlamm auf Nachfrage nicht, auch die Münchner Staatsanwaltschaft sagt zu laufenden Ermittlungen nichts.

Der mutmaßliche Bilanzschwindel hatte Wirecard 2018 zum Aufstieg in den Dax (DAX 30) verholfen. Braun wurde zwischenzeitlich Milliardär, bevor der Absturz der Wirecard-Aktie nach der Aufdeckung des Skandals auch sein Vermögen dahinschmelzen ließ. Zumindest soweit bekannt, hat der frühere Konzernchef im Gegensatz zum flüchtigen Ex-Vertriebsvorstand Jan Marsalek weder versucht, sein Vermögen auf die Seite zu bringen, noch sich abzusetzen.

Finanzstaatssekretär Schmidt rechtfertigt Unterstützung für Wirecard

Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt hat im Wirecard-Untersuchungsausschuss die Unterstützung des Finanzministeriums für den Zahlungsdienstleister zum Erwerb eines chinesischen Unternehmens in den Jahren 2018 und 2019 ausdrücklich gerechtfertigt. Hochrangige Kontaktanbahnung sei für den Geschäftserfolg in China unvermeidlich, und es gehöre daher zur Aufgabe des Ministeriums, Unterstützung zu leisten.

"Es gab keine Grundlage, auf der wir das Ansinnen von Wirecard zu diesem Zeitpunkt hätten verweigern können", sagte Schmidt bei seiner bis in die Nacht zum Freitag dauernden Vernehmung in dem Ausschuss nach Angaben des Bundestags-Pressedienstes. Es habe sich um ein DAX-Unternehmen gehandelt, das sich auf dem chinesischen Markt engagieren wollte. Genau für solche Fälle war der deutsch-chinesische Finanzmarktdialog gedacht, der im Januar 2019 in Peking stattgefunden hatte.

Auch vor der China-Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Herbst 2019 habe es keinen konkreten Grund für eine Warnung gegeben - der Wirtschaftsprüfer EY und das Unternehmen hätten alle offenen Fragen ausgeräumt.

Schmidt wies laut den Angaben zudem Kritik an seinem engen Verhältnis mit dem Unternehmensberater Ulf Gartzke von Karl-Theodor zu Guttenbergs Beratungsfirma Spitzberg Partners zurück, der ihm einen Entwurf für ein Schreiben an die chinesische Regierung beigefügt hatte. Schmidt betonte, er habe Gartzke gebeten, ihm bei den Formulierungen zu helfen - "zur Arbeitserleichterung", weil dieser besser in die Materie eingearbeitet sei. Er habe die Textteile nicht einfach kopiert, sondern bewusst für eine eigene E-Mail verwendet.

Guttenberg selbst hatte zuvor bei seiner Vernehmung bestritten, mit seiner Beratungsfirma frühzeitig Kenntnis von den Betrugsvorgängen gehabt zu haben, und sich als Opfer einer Irreführung dargestellt. "Wirecard hat uns alle getäuscht", betonte er.

In dem Ausschuss rückt verstärkt die Rolle der Politik in dem Skandal um den Zahlungsdienstleister ins Zentrum. Dabei geht es auch um Merkels Rolle wegen des Engagements für Wirecard bei ihrer China-Reise. Guttenberg hatte zuvor als Berater mit seiner Firma vor Merkels Reise im Kanzleramt zugunsten von Wirecard antichambriert. Ab März 2018 hatte Spitzberg Partners laut Guttenberg den Auftrag von Wirecard, Hilfe beim Markteintritt in China zu leisten, da Wirecard mit Allscore als erstes europäisches Unternehmen einen chinesischen Zahlungsdienstleister komplett übernehmen wollte.

Im Laufe des Jahres 2019 gab Spitzberg Partners hier laut den Angaben von verschiedener Seite Hilfestellung. Es gelang dabei laut Bundestag zunehmend, auch deutsche Regierungsstellen einzubinden. So habe die Wirtschaftsabteilung der Deutschen Botschaft Peking den Übernahmeversuch beispielsweise durch Kontakte zur chinesischen Zentralbank flankiert.

Im Spätsommer 2019 erwähnte Guttenberg das Unternehmen dann gegenüber Merkel bei einem Treffen am 3. September, das er als "sehr persönlichen" Austausch unter vier Augen über verschiedene Themen charakterisierte. Merkel brachte dann im September 2019 die Ambitionen von Wirecard bei hochrangigen Gesprächen in Peking zur Sprache. Zugleich stellte ein Kollege Guttenbergs bei Spitzberg Partners laut den Angaben einen Kontakt zum Bundesfinanzministerium her. Der Erwerb von Allscore wurde schließlich zwei Monate nach Merkels Besuch umgesetzt.

Bei dem damaligen DAX-Unternehmen Wirecard waren im Juni Luftbuchungen von fast 2 Milliarden Euro öffentlich geworden, es befindet sich mittlerweile in einem Insolvenzverfahren. Ex-Wirecard-Chef Markus Braun sitzt inzwischen in Haft, Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek ist flüchtig. Die in der Nacht zu Freitag abgebrochene Ausschusssitzung soll Mitte Januar fortgesetzt werden, unter anderem mit der Vernehmung von Merkels Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller und Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole von Beust.

Wirecard-Titel verlieren im XETRA-Handel zeitweise 1,56 Prozent auf 0,4350 Euro.

MÜNCHEN / BERLIN (dpa-AFX / Dow Jones)

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Bildquelle: Wirecard AG,Pavel Kapysh / Shutterstock.com

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