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31.07.2022 14:36:39

Ex-Ministerin als Behördenchefin: Nahles wagt den Ringschluss

NÜRNBERG (dpa-AFX) - Es ist eine der größeren politischen Personalien des Jahres: Andrea Nahles, frühere SPD-Hoffnungsträgerin, Generalsekretärin und als Parteichefin schließlich zur Trümmerfrau der schlingernden deutschen Sozialdemokratie ernannt, wird Vorstandschefin der Bundesagentur für Arbeit. Zunächst gegen den Widerstand der Arbeitgeber im Verwaltungsrat der Agentur, aber mit aller Entschlossenheit der Arbeitnehmer durchgesetzt. Am Montag nimmt sie offiziell ihre Arbeit auf - und wird Dinge umsetzen müssen, die sie einst als Politikerin selbst auf den Weg gebracht hat.

Für Nahles schließt sich also an diesem Montag bereits ein Kreis, obwohl ihr Job als Vorstandschefin der Bundesagentur für Arbeit überhaupt erst anfängt. Jahrzehntelang war sie Sozialpolitikerin, hat sich im Bundestag und im Ministerium mit drängenden Fragen wie Hartz IV oder Mindestlohn beschäftigt. Als Behördenleiterin wird die frühere Arbeitsministerin nun ihren Praxistest bestehen müssen.

Besonders das neue Bürgergeld ist für sie ein Ringschluss. Es ist der Ersatz für die von Nahles häufig als Sozialabbau kritisierte und innerhalb ihrer Partei höchst umstrittene Grundsicherung - bekannt unter der gängigeren Bezeichnung Hartz IV. "Gesetze zu machen, ist eine eigene Kunst", sagt sie im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Jetzt gehe es um die Umsetzung. "Ich habe den Zirkelschlag der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland begleitet - das sehe ich als Privileg an, dass ich das machen darf", sagt die Rheinländerin, die sich seit Mai in Nürnberg einarbeitet.

Nahles hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Sie will das einst verstaubte und teils berüchtigte "Arbeitsamt" zur Vorzeigebehörde machen - modern und digital, aber auch noch stärker kundenorientiert. Die Kundschaft solle sich willkommen fühlen - nicht als Bittsteller. Viel habe sich am Erscheinungsbild bereits unter ihrem Vorgänger Detlef Scheele geändert - ebenfalls ein SPD-Weggefährte. Der Weg müsse weitergegangen werden - auch bei der Automatisierung und beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz. "Aus meiner Sicht brauchen wir eine Dekade der Automatisierung", sagt Nahles. Die Bemühungen müssten aber auch von der Bundesregierung flankiert werden - etwa bei der Bereitstellung geeigneter technischer Lösungen wie der Cloud-Technologie.

Nahles übernimmt die Arbeitsverwaltung mit über 100 000 Mitarbeitern und einem Jahresetat von um die 40 Milliarden Euro zu einer Zeit, in der Umbrüche anstehen. Die Transformation der deutschen Industrie, etwa von der herkömmlichen Stahlerzeugung zum "Green Steel", sieht sie als eine der größten Herausforderungen. "Auch die Qualifikationen der gut ausgebildeten Mitarbeiter stimmen nicht mehr zwangsläufig mit dem überein, was morgen von ihnen verlangt wird", sagt Nahles. Diese Transformation müsse von der Bundesagentur künftig eng begleitet werden.

Bei der Sicherung von Fachkräften sieht Nahles mehrere Möglichkeiten, die Problematik des chronischen Personalmangels abzufedern. Einerseits müssten mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland kommen - und dazu müssten Hindernisse beseitigt werden. "Ohne Zuwanderung aus Drittstaaten wird es nicht gelingen, diese Lücke auch nur annäherungsweise kleiner zu machen", sagte die neue BA-Chefin. Die Anerkennung der Berufsqualifikationen gleiche zu häufig einem "Hindernislauf".

"Es muss noch weiter ausgeholt werden, es müssen noch mehr Länder in die Kooperation geholt werden", sagt sie. Zudem müssten Hürden fallen. Die Verpflichtung zu Deutschkursen im Herkunftsland sei eine, die Anerkennung von Abschlüssen eine andere. "In den Prozessen stellen wir uns oft selbst ein Bein." Sie hoffe auf eine Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes noch in diesem Herbst. Es müsse eine Willkommenskultur geben, etwa für Pflegekräfte aus Ländern wie den Philippinen.

Zusätzlich müsse es Ziel sein, Frauen länger in Arbeit zu bekommen. Derzeit arbeiteten 50 Prozent aller Frauen in Teilzeit, im Durchschnitt etwa 20 Stunden pro Woche. Diese Zahl auf 30 Stunden hochzutreiben, würde eine spürbare Entlastung bringen.

Nahles warnte davor, bei der Förderung der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen zu sparen. "Wir würden das, was wir gut begonnen haben, auch gerne weitermachen", erklärte Nahles. Sie spielte damit vor allem auf die Förderung auf Grundlage der Paragrafen 16e und 16i des Sozialgesetzbuches II an - dort besteht die Möglichkeit, dass Unternehmen bei der Einstellung von Langzeitarbeitslosen unter bestimmten Voraussetzungen bis zu 100 Prozent des Lohnes erstattet bekommen - ein teures, aber besonders für eine Klientel, die dem Arbeitsmarkt sehr fern steht, effizientes Instrument.

Insgesamt sieht es allerdings um die Finanzen der Bundesagentur derzeit nicht rosig aus. Die Corona-Pandemie hat die angesparte Rücklage von fast 27 Milliarden Euro mehr als aufgefressen - wobei vor allem die immensen Kosten für Kurzarbeit zu Buche schlugen. Im laufenden Haushalt für 2022 fehlen nach Angaben von Nahles schon jetzt über zwei Milliarden Euro. Die Flüchtlinge aus der Ukraine, die jetzt über die Grundsicherung finanziert werden, kommen als neuer Kostenfaktor hinzu.

15 Prozent der Beschäftigten arbeiteten an der Grenze zum Mindestlohn. Wenn die Energiepreise weiter deutlich steigen, kämen diese Menschen in die Situation, auf weitere Hilfen angewiesen zu sein, sagt Nahles. Dann brauche wohl auch die Bundesagentur mehr Geld. Die Energiekrise könne auch dazu führen, dass die Kurzarbeit wieder steigen werde. Die Kosten seien im Moment nicht seriös zu prognostizieren. "Es wird in den nächsten Monaten wohl kein Normalbetrieb sein", blickt Nahles voraus./dm/fd/DP/he

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