Verletzungen, Koma, Tod 28.11.2023 23:18:00

Erschreckender Bericht stellt Sicherheitspolitik bei Elon Musks Raumfahrtfirma SpaceX an den Pranger

Erschreckender Bericht stellt Sicherheitspolitik bei Elon Musks Raumfahrtfirma SpaceX an den Pranger

• Nachrichtenagentur "Reuters" deckt in ausführlichem Bericht erschreckende Zustände bei SpaceX auf
• Bei SpaceX weit mehr Unfälle als im Durchschnitt der Raumfahrtbranche
• SpaceX will Schuld auf Mitarbeiter abwälzen


Mit seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX will Tesla-Chef Elon Musk die Menschheit eines Tages bis zum Mars bringen und das Leben multiplanetarisch machen. Momentan ist dafür aber noch viel Arbeit nötig, denn das Raketensystem "Starship" explodierte kürzlich auch bei einem zweiten Testflug. Für den ambitionierten Unternehmer ist das aber kein Grund zum Aufgeben: Musk äußerte bereits, dass der jüngste Test trotz Explosion dabei helfen werde, die Zuverlässigkeit von "Starship" zu verbessern.

"Elons Konzept, dass SpaceX auf der Mission ist, so schnell wie möglich zum Mars zu fliegen und die Menschheit zu retten, durchdringt jeden Teil des Unternehmens", sagte kürzlich auch der ehemalige SpaceX-Mitarbeiter Tom Moline gegenüber der Nachrichtenagentur "Reuters". Dieses Ziel werde bei SpaceX über alles gestellt - und zwar auch über das Befolgen von Sicherheitsvorkehrungen, die dem Schutz der Mitarbeiter dienen. Für das Unternehmen sei die proklamierte Rettung der Menschheit eine Rechtfertigung dafür, "alles außer Acht zu lassen, was der Erreichung dieses Ziels im Wege stehen könnte, einschließlich der Sicherheit der Arbeitnehmer", so Moline, der laut der Nachrichtenagentur von dem Raumfahrtunternehmen gefeuert wurde, nachdem er Beschwerden über die Sicherheit seines Arbeitsplatzes geäußert hatte. Laut "Reuters" gaben auch weitere Mitarbeiter an, dass die Bereitschaft von SpaceX, Arbeitnehmerschutzmaßnahmen zu ignorieren, dazu beigetragen habe, dass das Unternehmen einen Vorsprung gegenüber Mitbewerbern eingefahren und lukrative Regierungsaufträge erhalten habe. "Reuters" selbst konnte in einer ausführlichen Recherche, für die Gerichtsdokumente, Klagen von Mitarbeitern, medizinische Aufzeichnungen, Notrufprotokolle und interne Unfallprotokolle des Unternehmens ausgewertet wurden, herausstellen, dass es anscheinend tatsächlich höchst gefährlich ist, bei SpaceX zu arbeiten - und dass das Unternehmen offenbar viele, teils auch sehr schwere Unfälle unter den Teppich kehrt.

Zahlreiche Unfälle mit schweren Folgen

Wie "Reuters" berichtet, gelte die Arbeit in der US-Raumfahrtindustrie generell als gefährlich, bei SpaceX liege die Unfallquote jedoch weit über dem Durchschnitt der Branche. Dieser liege allgemein bei 0,8 Unfällen pro 100 Mitarbeitern, bei SpaceX seien es im Jahr 2022 aber etwa am Standort in Brownsville 4,8 Unfälle pro 100 Mitarbeitern gewesen. Der Standort am Kennedy Space Center habe außerdem im Jahr 2016 satte 21,5 Unfälle pro 100 Mitarbeitern verzeichnet. Vermutlich ist das sogar nur die Spitze des Eisbergs, denn SpaceX hat viele Unfälle laut der Nachrichtenagentur nicht angemessen dokumentiert. So müssen seit 2016 eigentlich alle Arbeitsunfälle jährlich an die US-Behörde Occupational Safety and Health Administration (OSHA) gemeldet werden, die sich mit der Arbeitssicherheit befasst. Zwischen 2017 und 2020 gab jedoch offenbar kein einziger SpaceX-Standort diesen Bericht ab. Nur für die Jahre 2016, 2021 und 2022 reichten einige - aber nicht alle - Standorte den Report bei der Behörde ein. Eine Strafe für die fehlenden Berichte gab es laut "Reuters" aber nicht.

Die Nachrichtenagentur fand bei ihren eigenen Recherchen mindestens 600 bislang nicht gemeldete Unfälle an insgesamt sechs SpaceX-Standorten seit 2014. Die untersuchten Dokumente hätten dabei "Berichte über mehr als 100 Arbeiter mit Schnitt- oder Schürfwunden, 29 mit Knochenbrüchen oder Ausrenkungen, 17 mit 'gequetschten Händen oder Fingern' und neun mit Kopfverletzungen [enthalten], darunter ein Schädelbruch, vier Gehirnerschütterungen und ein Schädel-Hirn-Trauma. Zu den Fällen gehörten außerdem fünf Verbrennungen, fünf Stromschläge, acht Unfälle, die zu Amputationen führten, zwölf Verletzungen mit mehreren nicht näher bezeichneten Körperteilen und sieben Arbeiter mit Augenverletzungen". Außerdem habe es auch zahlreiche Fälle weniger schwerer Verletzungen wie Zerrungen oder Verstauchungen gegeben.

Auch ein Todesfall ereignete sich bei SpaceX. So starb ein Angestellter im Jahr 2014 am Standort im texanischen McGregor an einer Kopfverletzung, nachdem er durch eine Windböe von der Ladefläche eines Trucks geweht worden war. Er sollte mit seinen Kollegen Schaumisolierungen transportieren, es standen jedoch keinerlei Befestigungsriemen zum Sichern der Ladung zur Verfügung, weshalb er versucht hatte, diese bei der Fahrt mit seinem Körper zu sichern. Ein weiterer SpaceX-Angestellter liegt laut "Reuters" seit 2022 im Koma, nachdem sich bei einem Testlauf ein Teil von einer Maschine gelöst und den Mann am Kopf getroffen hatte. Das fragliche Maschinenteil war schon zuvor als fehlerhaft bekannt gewesen, konnte jedoch vor dem Testlauf nicht mehr ausgetauscht werden. Wie die Nachrichtenagentur weiter berichtet, wurden dem Raumfahrtunternehmen von offiziellen Stellen nur geringe Geldstrafen in höchstens fünfstelliger Höhe für die Unfälle aufgebürdet, die sich aufgrund mangelnder Sicherheitsvorkehrungen ereignet haben.

Extrem laxe Sicherheitskultur bei SpaceX

Laut "Reuters" zeige sich anhand der durchgesehenen Berichte deutlich, dass die Sicherheitsstandards an den SpaceX-Standorten unzureichend seien. Ehemalige und aktuelle Angestellte hätten die Situation an ihrem Arbeitsplatz gegenüber der Nachrichtenagentur zudem als "chaotisch" beschrieben. Neue Mitarbeiter seien oft nur unzureichend geschult und ausgerüstet worden - und hätten zudem auch Arbeiten übernehmen müssen, für die sie nicht qualifiziert gewesen seien. So sei etwa einem Arbeiter ohne Erfahrung einmal Schweißerwerkzeug in die Hände gedrückt worden. Außerdem seien Angestellte oft übermüdet und würden routinemäßig grundlegende Sicherheitsvorkehrungen missachten - auch aufgrund der aggressiven Deadlines von SpaceX-Gründer Elon Musk. Dessen starke Beteiligung an der Terminplanung habe zu "deutlich unsichereren Arbeitsbedingungen geführt, als es sonst gegeben hätte", sagte Tom Moline gegenüber "Reuters".

Wie die Nachrichtenagentur berichtet, habe Musk zudem eine Aversion gegen grelle Farben wie gelb, weshalb Arbeitern unter anderem davon abgeraten worden sei, Westen in Sicherheitsgelb zu tragen. Des Weiteren sei bei SpaceX an Warnschildern gespart worden und potenziell gefährliche Bereiche seien oft nicht abgesperrt worden, sagte Paige Holland-Thielen, eine ehemalige Betriebs- und Automatisierungsingenieurin bei SpaceX in Hawthorne, gegenüber "Reuters". Auch Elon Musk selbst soll bei seiner Anwesenheit teilweise ein Sicherheitsrisiko dargestellt haben. So habe er bei mehreren Gelegenheiten auf dem Firmengelände von SpaceX mit dem Flammenwerfer-Gadget seiner Tunnelbaufirma The Boring Company herumgespielt, auch in geschlossenen Räumen. Außerdem würde Elon Musk laut der Nachrichtenagentur auch jedwede "vermeintliche Bürokratie" verachten - was wohl die fehlenden Berichte an die OSHA erklärt.

SpaceX sieht keinerlei Schuld bei sich selbst

SpaceX hat sich laut "Reuters" zu vielen der Unfälle nicht geäußert - und vertrete allgemein den Standpunkt, dass die Arbeitnehmer selbst für ihren Schutz - und somit als Konsequenz auch für ihre Verletzungen - verantwortlich seien. "SpaceXs Vorstellung von Sicherheit ist: 'Wir lassen Sie entscheiden, was für Sie sicher ist', was eigentlich bedeutet, dass es keine Verantwortung gibt", sagte der ehemalige SpaceX-Angestellte Travis Carson zu "Reuters". SpaceX ernenne laut der Nachrichtenagentur allerdings spezielle "verantwortliche Ingenieure", die dafür zuständig seien, dass ihre Maschinen fehlerfrei funktionieren und Sicherheitsvorkehrungen eingehalten würden - und auf die die Schuld bei einem Unfall abgewälzt werde. Rechtlich dürfte das jedoch kaum haltbar sein. Ein ehemaliger OSHA-Mitarbeiter nannte diese Vorstellung "lächerlich" und auch die Behörde bestätigte gegenüber "Reuters", dass der Arbeitgeber für die Gewährleistung eines gefahrlosen Arbeitsplatzes verantwortlich sei - und nicht spezielle Arbeitnehmer. Ob diese Einstellung jedoch irgendwann auch bei SpaceX ankommt und Mitarbeiter nicht mehr nur als ersetzbares Humankapital angesehen werden, muss sich aber erst noch zeigen.

Redaktion finanzen.at

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Bildquelle: Kevork Djansezian/Getty Images,SpaceX

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