Übernahmeangebot vorgelegt 16.03.2016 09:25:46

Deutsche Börse und LSE bringen Fusion auf den Weg

Der Frankfurter Börsenbetreiber legt nun auch formell sein Übernahmeangebot vor. Der Zusammenschluss soll unter einem gemeinsamen Dach vollzogen werden, dem Unternehmen "UK TopCo". Aktionäre der Deutschen Börse sollen wie im Februar angekündigt 54,4 Prozent und die London Stock Exchange (LSE) 45,6 Prozent an dem fusionierten Konzern halten.

Damit zerstreuen sich Befürchtungen, die Deutsche Börse könnte im Angesicht möglicher Gegengebote mehr bieten als bislang vorgesehen. Gemessen an der aktuellen Marktkapitalisierung beider Börsen kommt die Transaktion auf einen Wert von knapp 28 Milliarden Euro.

Mit dem Zusammenschluss "unter Gleichen" wollen die beiden Börsenbetreiber einen weltweit wettbewerbsfähigen Anbieter schaffen. Aktionäre sollen durch ein beschleunigtes Unternehmenswachstum und die Realisierung von Kosten- und Umsatzsynergien profitieren. Die Kostenvorteile sollen ab dem dritten Jahr nach Vollzug der Fusion 450 Millionen Euro pro Jahr erreichen. Außerdem hoffen Deutsche Börse und LSE dank des erweiterten globalen Vertriebsnetzes auf erhebliche Umsatzsynergien.

London ist "internationalster Standort"

Sitz des neuen Unternehmens soll London sein. Auch dies war bereits im Vorfeld durchgesickert. Dieser Punkt könnte in Deutschland auf politische Widerstände stoßen. Die Deutsche Börse warb entsprechend für die Fusion: Deutsche Unternehmen und Investoren könnten von der "Liquiditätsbrücke" profitieren, die Londons, Frankfurts und Mailands sekundäre Kassamärkte verbindet. Zudem hieß es in der Pressemitteilung, Frankfurt bleibe die "Stadt des DAX".

In London sehen die Fusionskandidaten aber den Standort mit der Position als "international führendes Finanzzentrum" sowie den "internationalsten Listing-Standort". London habe starke Verbindungen nach Asien und in die USA, von denen das gemeinsame Unternehmen ebenso profitieren werde wie von der breiten Basis internationaler Börsennotierungen.

Kengeter soll Chef der neuen Holding werden

Der Verwaltungsrat des neuen Unternehmens soll paritätisch aus Mitgliedern der LSE und der Deutschen Börse besetzt werden. Das kombinierte Unternehmen wird seine Hauptsitze in Frankfurt und London beibehalten. Die Deutsche Börse wird weiter ein zweistufiges System aus Vorstand und Aufsichtsrat haben, inklusive Mitbestimmungsrecht für Arbeitnehmer.

Die gemeinsame Holding soll als CEO mit Carsten Kengeter der aktuelle Chef der Deutschen Börse anführen. LSE-Chairman Donald Brydon soll diese Position auch bei der UK TopCo übernehmen.

Die Holding strebt eine Aktiennotierung im Prime Standard an der Frankfurter Börse und in London an. Die Aktien dürften dadurch in die Indizes Euro-Stoxx, Dax und FTSE aufgenommen werden.

Viele Hürden auf dem Weg zur Fusion

Ob der geplante Zusammenschluss nun gelingt, liegt nicht nur in den Händen der Aktionäre. Auch die Politik wird ihren Einfluss geltend machen. Noch viel entscheidender dürfte aber sein, wie die Amerikaner auf die Fusionspläne reagieren werden. Mit dem nun vorgelegten Gebot ist das Übernahmerennen um die LSE offiziell eröffnet. Nun sind Gegengebote durch die Intercontinental Exchange (ICE) bzw die CME Group wahrscheinlich.

Die ICE hat bereits angekündigt, dass sie einem Zusammenschluss von Deutscher Börse und LSE nicht einfach tatenlos zuschauen wird. Die US-Amerikaner denken selbst über ein Gebot für die Londoner nach. Nach britischem Recht muss die ICE bis spätestens zum 29. März eine Offerte vorlegen, sollten sie tatsächlich einen Übernahmekampf starten wollen. Auch die CME Group erwägt laut Kreisen ein Gebot für die LSE.

Amerikaner haben mehr Finanzkraft

Mit der Offerte der Deutschen Börse liegt der Ball nun bei den Amerikanern. Die Eschborner werden zunächst mögliche Gebote der ICE bzw der CME analysieren, bevor sie über das weitere Vorgehen entscheiden. Beide US-Börsenbetreiber sind wesentlich größer als Deutsche Börse bzw die LSE einzeln betrachtet und verfügen über die tieferen Taschen. Das trifft vor allem auf die CME zu. Gegen die ICE spricht, dass sie bereits jetzt dabei ist, zahlreiche Milliardendeals zu verdauen.

Derweil hat sich die Deutsche Börse mit dem Verkauf der US-Tochter International Securities Exchange (ISE) für 1,1 Milliarden Dollar an die Nasdaq etwas Luft verschafft. Angesichts des bereits jetzt hohen Verschuldungsgrads nach den Übernahmen von 360T und Stoxx waren die Möglichkeiten der Eschborner, die Konditionen für den Zusammenschluss mit der LSE eventuell nachzubessern, gering. Ein Verkauf der US-Tochter hätte vermutlich früher oder später ohnehin angestanden. Dass er jetzt zustande gekommen ist, dürfte kein Zufall sein.

Auch Regulierer werfen ein Auge auf Fusion

Selbst wenn die Amerikaner nicht dazwischen kommen sollten, sind auf dem Weg zu einem Zusammenschluss für die Deutsche Börse und die LSE noch zahlreiche Hürden zu nehmen. Nicht nur müssen die Aktionäre beider Unternehmen dem Vorhaben noch zustimmen. Mindestens genauso wichtig für eine erfolgreiche Fusion ist die Unterstützung der Kunden. Denn die Fusion muss nicht nur für die Aktionäre Sinn machen.

Analysten rechnen damit, dass zumindest ein Teil der erhofften Kostensynergien an die Kunden weitergereicht wird. Grundsätzlich dürften europäische Banken an einer europäischen Börsenlösung mehr Interesse haben als an einem Szenario, in dem die LSE zum Juniorpartner eines übermächtigen US-Hauses wird. Hier besteht zudem die Gefahr, dass quasi über die Hintertür US-Regularien eingeführt werden.

Ein gehöriges Wort mitreden, werden auch Politik und Aufsichtsbehörden. Neben der britischen und deutschen Börsenaufsicht müssen auch das Land Hessen und die Brüsseler Kartellbehörden einer Fusion zustimmen. Die Prüfung dürfte sich über Monate hinziehen. Analysten sind sich einig: Jeder der drei Kontrahenten muss die Behörden davon überzeugen, dass eine Zusammenlegung ihres Clearinghauses mit dem der LSE nicht gegen Kartellrecht verstößt.

Das als LCH.Clearnet firmierende Clearinghaus-Geschäft der Londoner Börse dominiert global das Clearing für Zinsswap-Derivate und ist der Teil der LSE, den die Konkurrenz am stärksten begehrt. Clearinghäuser sind dazu gedacht, einen marktweiten Kollaps abzuwenden, indem sie sicherstellen, dass alle Handelspartner ihr Geld selbst dann wiedersehen, wenn einer von ihnen in die Insolvenz rutschen sollte. Sie sind mithin systemrelevant.

Kritik am Holding-Sitz London

Daneben befürchten Kritiker, dass trotz der beiden Hauptsitze in London und Frankfurt das Schwergewicht der neuen Börse in London liegen wird. Die deutsche Börsenaufsicht hat bereits angekündigt, nach Eingang der vollständigen Unterlagen prüfen zu wollen, ob durch den geplanten Zusammenschluss der Betrieb oder die Fortentwicklung des Börsenbetriebs am Standort Frankfurt beeinträchtigt werden könnte.

Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter wird denn auch nicht müde, die Sorgen einer Fusion zu zerstreuen. Der Zusammenschluss der beiden wichtigsten Finanzplätze Europas sei eine Chance für beide. Von einem Nullsummenspiel könne keine Rede sein. "Mir liegt der Finanzplatz Frankfurt Rhein/Main sehr am Herzen, und ich sehe mich in der Pflicht, etwas für diesen Finanzplatz zu tun", erklärte Kengeter unlängst auf der "SZ-Finanztag" in Frankfurt.

Übergeordnet dürften Europas Politiker an einer innereuropäischen Lösung mehr Gefallen finden als an einem LSE-Verkauf in die USA. Den Fusionsplänen von Deutscher Börse und LSE könnten die Bemühungen der EU für die Schaffung einer Kapitalmarktunion (CMU) in die Hände spielen. Ziel der CMU ist es, die europäischen Finanzmärkte stärker zu integrieren, nicht nur um diese widerstandsfähiger zu machen, sondern auch um zusätzliche Kapitalquellen für Unternehmen zu erschließen.

Die große Unbekannte in der Rechnung ist ein möglicher "Brexit". Ende Juni entscheiden die Briten über den Verbleib ihres Landes in der EU. Derzeit ist der Ausgang völlig offen. Ein Ausscheiden Großbritanniens würde nicht nur das Gesicht Europas, wie wir es bislang kennen, verändern, sondern könnte auch die Fusionspläne von Deutscher Börse und LSE torpedieren.

Von Jürgen Hesse und Manuel Priego-Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)

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