Vertagung auf Donnerstag |
24.06.2015 22:01:00
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Brüsseler Krisentreffen ohne Ergebnis
Nachdem es noch zu keiner Einigung gekommen ist, dürfte Griechenland zum beherrschenden Thema beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) werden, der am Donnerstagnachmittag und Freitag in Brüssel stattfindet.
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras strebe Verhandlungen mit den Staats- und Regierungschefs bei dem Gipfel an, hieß es im Umfeld der Eurogruppe laut Handelsblatt zur Begründung für die Vertagung. Die Finanzminister seien entsprechend "sauer". Tsipras wolle am späten Abend (23.00 Uhr) dennoch mit Spitzenvertretern der Geldgeber-Institutionen beraten, so Diplomaten.
Europäische Kommission erwartete eigentlich lange Nacht
Zahlreiche von ihnen hatten sich zuvor schon skeptisch zu den Erfolgsaussichten für die Sitzung geäußert - auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Vor dem Treffen bestanden offenbar noch erhebliche Meinungsunterschiede zwischen Athen und seinen Geldgebern. Die EU-Kommission sprach zwar von Fortschritten, aber mehrere Finanzminister erwarteten bei ihrem Eintreffen bereits keine Einigung am Mittwoch.
"Mein Gefühl ist, wir sind noch nicht sehr viel weiter als am Montag", sagte Schäuble. Über die Frage, ob möglicherweise am Donnerstag parallel zu den Gipfelberatungen weiter mit Athen verhandelt werden solle, wollte Schäuble nicht spekulieren. "Aber jedenfalls ist der Stand der Vorbereitung nicht so, dass man sehr optimistisch sein kann, dass wir heute ein Ergebnis erzielen."
EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis berichtete immerhin von Fortschritten in den Gesprächen der Gläubiger, aber auch von weiter offenen Fragen. "Wir sind in einem Prozess sehr intensiver Verhandlungen", sagte er. Es werde "wahrscheinlich eine lange Nacht" an Diskussionen in Brüssel werden, erwartete der Lette noch zu Beginn. EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici sagte, eine Lösung sei "nötig und möglich".
Doch neben Schäuble zeigten sich vor allem auch die Finanzminister Finnlands und Österreichs bereits skeptisch. "Ich wäre sehr positiv überrascht, wenn wir heute eine Einigung bekämen", sagte Stubb. Er habe "noch keinen konkreten Vorschlag gesehen", und man müsse mit der Materie mit Blick auf die parlamentarischen Mandate "sehr vorsichtig umgehen", warnte er. "Dies sind keine Entscheidungen, die wir leicht treffen."
"Es bleiben Tage"
Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling erklärte, die Aussichten sähen "eigentlich fast weniger zuversichtlich aus" als beim letzten Treffen am Montag. "Noch sind wir nicht sehr weit mit unseren Erwartungen. Ich glaube, wir haben einen weiten Weg vor uns." Auch er beklagte, dass man noch "weder Unterlagen noch Umsetzungspapiere" habe. "Größter Brocken" in den Verhandlungen werde es sein, dass Athen weiter auf einer "Schuldenumschichtung" bestehe. Das sei für viele der Finanzminister ein drittes Hilfsprogramm durch die Hintertür.
Andere Finanzminister erweckten den Eindruck, es bestehe noch etwas mehr Zeit für eine Einigung. Der Spanier Luis de Guindos sagte, er hoffe auf eine Einigung, jedoch müssten auch alle Auswirkungen bedacht werden. "Es bleiben uns noch Tage bis zum 30.", meinte er mit Blick auf das Datum, an dem das aktuelle Hilfsprogramm für Griechenland ausläuft und bis zu dem eine Lösung erreicht werden muss. "Immer weniger Tage, aber es bleiben Tage."
Der belgische Finanzminister Johan Van Overtfeldt betonte, eine Einigung müsse zwei Aspekten genügen: Nötig sei "eine gute Vereinbarung für die griechische Wirtschaft und für die Zukunft der Währungsunion". Man müsse sehen, ob dies am Mittwoch erreichbar sei. "Wenn wir heute nicht dahin kommen, sehen wir, ob wir morgen dorthin kommen."
Die Gläubiger hatten am Mittwoch in den Stunden vor dem Treffen intensiv mit Athen über die Details einer möglichen Vereinbarung verhandelt. Dabei hatte sich die Auseinandersetzung um die Finanzhilfen für Griechenland und die dafür nötigen Reformauflagen bereits im Verlauf des Tages vor diesem möglicherweise entscheidenden Treffen zugespitzt, weil die Gläubiger die von Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras vorgelegten Reformvorschläge in der Form nicht akzeptiert und Änderungen daran verlangt hatten.
Geldgeber akzeptieren Athens Vorschläge nicht
Ein Dokument, in das das Wall Street Journal Einblick hatte, zeigte noch deutliche Differenzen zwischen Griechenland und seinen Gläubigern besonders in der Frage von Steuern und Pensionen.
In ihrer Entgegnung auf die Athener Vorschläge verlangen die Gläubiger demnach eine nicht so hohe Unternehmensteuererhöhung wie von Griechenland geplant, eine Verdoppelung der vorgeschlagenen Kürzungen bei den Verteidigungsausgaben auf 400 Millionen Euro, eine umfassendere Mehrwertsteueranhebung und eine Kürzung der Renten anstatt nur einer Anhebung des Eintrittsalters.
Athen reagierte darauf mit Kritik. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, sei in den Verhandlungen "sehr hart", hieß es aus der griechischen Delegation.
Die dort unterbreiteten Gegenvorschläge der Geldgeber seien "ein schlechter Text" und eine "böse Überraschung" gewesen. So wollten die Gläubiger weder höhere Arbeitgeberabgaben noch eine Steuer auf Unternehmensgewinne oder Online-Glücksspiele. Die Frage der Schuldentragfähigkeit werde zwar angesprochen, die Gläubiger wollen aber erst nach einem Abschluss des laufenden Hilfsprogramms darüber sprechen.
Athen plant Mehrwertsteuererhöhung und späteren Rentenbeginn
Tsipras' Plan sieht eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie eine Anhebung des Renteneintrittsalters und Kürzungen bei den Militärausgaben vor. Athen ist laut Regierungskreisen nun bereit, die Mehrwertsteuer im Bereich Tourismus zu erhöhen, die meisten Frührenten abzuschaffen und die Reichen des Landes mit einer Sondersteuer zu belegen.
Unternehmen, die 2014 mehr als 500.000 Euro Gewinn machten, sollen nach seinen Plänen eine Sondergewinnsteuer zahlen. Doch das geht den Institutionen offenbar zu weit. Eine Immobiliensteuer, die die Regierung von Tsipras ursprünglich abschaffen wollte, soll bestehen bleiben. Die Regierung will zudem die Rüstungsausgaben zusammenstreichen.
Die Bundesregierung mahnte Athen schon vor den Verhandlungen, sich zu bewegen. Nachdem die Gläubiger-Institutionen Athen sehr weit entgegengekommen seien, gehe Berlin "davon aus, dass es nun an der griechischen Seite ist, sich zu bewegen", machte Schäubles Sprecher Martin Jäger noch vor dem Abflug des deutschen Finanzministers nach Brüssel klar und betonte, es könne nur eine Lösung geben, "die von allen drei Institutionen getragen wird" - also auch vom IWF.
In Regierungskreisen hieß es ergänzend, die drei Institutionen - die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank und der IWF - müssten eine gemeinsame Einschätzung abgeben, die dann Grundlage für die Gespräche mit Athen sein soll. "Wir sehen die Institutionen in der Pflicht, zu einer gemeinsamen Einschätzung zu kommen," sagte ein hochrangiger Regierungsbeamter in Berlin. Eine Lösung ohne den IWF bezeichnete er als "nicht denkbar". Und mögliche Schuldenerleichterungen seien "derzeit kein Thema".
Die Zeit für eine Lösung läuft aus
Die Zeit für Griechenland wird immer knapper, da das Land bis Ende Juni insgesamt gut 1,54 Milliarden Euro an den IWF zurückzahlen muss, die das Land aber wohl nicht aufbringen kann. Die Griechen bräuchten daher dringend die verbliebenen 7,2 Milliarden Euro aus dem bereits zwei Mal verlängerten Hilfsprogramm, das Ende Juni ausläuft. Die Kreditgeber stellen aber Forderungen, die Athen für die Auszahlung der letzten Tranche aus dem zweiten Hilfspaket erfüllen muss. Ein Scheitern der Gespräche könnte die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands und Kapitalverkehrskontrollen zur Folge haben.
Wegen der knappen Zeit richtet sich inzwischen auch zunehmend der Blick auf die Rolle des Bundestags in dem Verfahren. Die Spitze der Bundestagsfraktionen der Koalition hält aber offenbar weiter den Plan für machbar, im Falle einer Einigung mit Griechenland im Bundestag am Beginn kommender Woche abzustimmen. Dies sei "theoretisch möglich", hieß es an mehreren Stellen in den Fraktionen.
Einige Bundestagsabgeordnete der Union rechneten angesichts der nur noch sehr kurzen Frist bis Monatsende aber nicht mehr mit einer Bundestagsabstimmung über eine Verlängerung des zweiten Hilfsprogramms für Griechenland.
Dow Jones Newswires/Redaktion finanzen.at
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