"Panikstimmung" 07.03.2022 14:11:00

Großhandelspreis für Erdgas steigen zeitweise auf neues Allzeithoch

Großhandelspreis für Erdgas steigen zeitweise auf neues Allzeithoch

Laut Energiemarktexperte Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool wurde am Montagvormittag gegen 9.30 Uhr Erdgas zur Lieferung am Folgetag zeitweise für rund 335 Euro je Megawattstunde gehandelt. Am Morgen um 8.00 Uhr hatte der Preis laut Huneke noch bei 220 Euro gelegen und gegen 10.30 Uhr schon wieder bei knapp 300 Euro. Der Experte sprach von einem "Allzeithoch".

Zum Vergleich: Am 16. Februar, rund eine Woche vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, war Erdgas zur Lieferung am Folgetag noch mit rund 69 Euro je Megawattstunde gehandelt worden. Wie hoch am Ende des Montags der sogenannte Tagesabrechnungspreis sein wird, war am Mittag laut Energiebörse EEX noch nicht absehbar.

Die Angaben des Energiemarktexperten beziehen sich auf das deutsche Marktgebiet auf der Handelsplattform Pegas, die von der EEX betrieben wird.

Huneke sprach von einer "Panikstimmung" an den Märkten. Dahinter stehe die Sorge vor einer Versorgungsunterbrechung, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Befürchtet würden etwa eine technische Unterbrechung des Pipeline-Transports durch die Ukraine infolge von Kriegshandlungen, eine Liefer-Einstellung durch Russland oder ein Abnahmestopp durch die Importländer. Huneke geht allerdings davon aus, dass der Preis wieder sinkt, wenn es Hinweise von ukrainischen Gasnetzbetreibern oder von der russischen Staatsführung gebe, dass die Gasinfrastruktur vom Krieg ausgenommen werde.

Gasmarktexperte Heiko Lohmann vom Energieinformationsdienst Energate bezeichnete den Preissprung als "reine Panikreaktion". "Es hat nichts zu tun mit realen Gasflüssen, sondern ist rein basierend auf Ängsten, dass die Lieferungen aus Russland komplett zum Erliegen kommen", sagte Lohmann der Deutschen Presse-Agentur. Transparenzportale im Internet verzeichneten am Montagvormittag anhaltend hohe Erdgasflüsse Richtung Europa, etwa durch die Pipeline Nord Stream oder am Übergabepunkt Velke Kapusany an der ukrainisch-slowakischen Grenze.

Auch Markus Barella vom Beratungsunternehmen First Energy sprach von einer "Paniksituation". Die Preise befänden sich definitiv auf einem Allzeithoch. "Das hat es so noch nicht gegeben", sagte er. Auch die Preise für Gaslieferungen in den nächsten Quartalen seien massiv nach oben gegangen. Der Energiemarktexperte rechnet mit "massiven Auswirkungen". So könnten schon jetzt manche mittelständische Unternehmen kaum oder gar kein Gas mehr kaufen, weil viele Lieferanten aus Gründen der Risikovermeidung einen Vermarktungs- und Vertriebsstopp verhängt hätten.

Die seit Monaten steigenden Preise bekommen auch viele Verbraucher zu spüren. Wer aktuell einen neuen Vertrag abschließt, zahlt nach Berechnungen des Vergleichsportals Verivox bei einem Jahresverbrauch von 20 000 Kilowattstunden im Schnitt knapp 2600 Euro im Jahr. Im September habe dieser Wert noch bei rund 1300 Euro gelegen. Verivox rechnet zwar nicht damit, dass die extremen Preisspitzen im Großhandel direkt an Verbraucher weitergegeben werden. Allerdings sei bei dem aktuellen Preisniveau im Großhandel für die kommenden Monate mit weiter stark steigenden Gaspreisen für Verbraucher zu rechnen, sagte Verivox-Energieexperte Thorsten Storck.

Ökostrombranche will russisches Gas durch Biogas ersetzen

Die Abhängigkeit Europas von russischem Gas könnte nach Einschätzung der Ökostrombranche durch einen schnellen Ausbau von Biogasanlagen stark verringert werden. Bis 2030 könnten in Europa 35 Milliarden Kubikmeter "grünes Gas" zusätzlich produziert werden, sagte am Montag Harmen Dekker, der Vorsitzende des europäischen Biogasverbands - ein Ziel, das sich die EU-Kommission bereits zu eigen gemacht hat.

"Das sind bereits zwei Drittel (der Kapazität) der Nordstream II", sagte Dekker bei einer gemeinsamen Online-Pressekonferenz des im bayerischen Freising ansässigen Fachverbands Biogas mit dem Bundesverband Erneuerbare Energien. Bis 2050 könnte Biogas 30 bis 50 Prozent des Gasbedarfs in der EU decken, betonte Dekker.

Die meisten deutschen Biogas-Anlagen stehen in Bayern und Niedersachsen, der Ausbau stagniert aber seit Jahren. Ein Grund sind die hohen Kosten der Stromerzeugung aus Pflanzenresten oder Gülle. Außerdem hat die Biogasbranche mit Kritik zu kämpfen, dass die Anbauflächen für Mais und andere Energiepflanzen der Lebensmittelproduktion fehlen.

Auch der Bundesverband erneuerbare Energien (BEE), in dem alle Sparten der Ökostromerzeugung vertreten sind, fordert jedoch einen kräftigen Ausbau: "Für den Erfolg der Energiewende ist die Bioenergie unverzichtbar", sagte die BEE-Vorsitzende Simone Peter, ehemalige Parteichefin der Grünen.

Unter dem Oberbegriff "Biogas" werden verschiedene Arten von Anlagen zur Erzeugung von Strom, Wärme, Gas oder Treibstoff zusammengefasst. Die Ökostrombranche hebt als einen großen Vorteil hervor, dass Biogasanlagen anders als Windräder und Solaranlagen unabhängig vom Wetter sind.

Im Erneuerbare-Energien-Gesetz sind die staatlichen Subventionen für Biogasanlagen seit einigen Jahren gedeckelt. "Das ist nicht zeitgemäß", sagte Horst Seide, der Präsident des Fachverbands Biogas. Mit einem Ende der Deckelung könnten nach den Worten des Verbandschefs sofort fünf Prozent der russischen Gasimporte ersetzt werden.

BERLIN / FREISING (dpa-AFX)

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