21.04.2020 12:10:00
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„ESG gewinnt durch die Corona-Krise“
FundResearch: Frau Crowl, ist es wahrscheinlich, dass die Pandemie ESG-Investments einen zusätzlichen Schub gibt oder
werden sie an Bedeutung verlieren?
Sandra Crowl: Die Pandemie wird die Bedeutung der Nachhaltigkeit als Teil des Investitionsprozesses aus zwei Gründen erhöhen. Erstens: Angesichts der rezessiven Bedingungen, in denen sich über 50 Prozent der globalen Volkswirtschaften im Lockdown befinden, konnten Unternehmen, die ein starkes Management ihrer ESGbezogenen Risiken haben, auch eine robustere Entwicklung des Gewinns pro Aktie zeigen als Unternehmen mit ei nem weniger guten ESG-Rating. Dies macht sich bereits in der aktuellen Krise und dem Abschwung bemerkbar, wie die Bank of America in einer Studie herausge funden hat.
Und zweitens?
Zweitens hat die Pandemie, leider unter katastrophalen Umständen, eine große Veränderung im Verhalten der Unterneh men und in der Bedeutung, die Unterneh men ihren Kunden, Mitarbeitern, Liefe ranten und der Gemeinschaft beimessen, bewirkt. Die von den Arbeitgebern ge zeigte Loyalität, die Bedeutung der Sicherheit ihrer Produkte und wie lange die Unternehmen ihre Zulieferer bezahlt haben, werden ein Anhaltspunkt für die Fähigkeit eines Unternehmens sein, sich wieder von der Krise zu erholen, wenn die Lieferketten wieder hergestellt sind. Die Erfahrungen aus der Krise 2008/09 können da für ein gutes Beispiel sein. Wir sind seit Langem der Ansicht, dass die Art und Weise, wie Unternehmen interagieren und ihre Beziehungen zu ihren Aktionären pflegen, entscheidend dafür ist, wie lang und nachhaltig das Wachstum eines Unternehmens sein wird.
Nachhaltige Anlagen und ESG-Fonds sind in letzter Zeit stark gewachsen. Inwieweit ist dieses Wachstum derzeit selbst nachhaltig?
Immer mehr Anleger realisieren, dass ins besondere aktiv verwaltete Fonds, die ESG-Faktoren einbeziehen, Mehrwert schaffen. Dies wird die Zuflüsse auch in diesem Jahr antreiben. Für 2021 erwarten wir, dass die EU-Regulierung das Angebot an nachhaltigen Fondsauflagen stimulieren wird. Die europäischen Anleger sind auch im Abschwung ESG-Anlagen treu geblieben. Aber was überraschend ist, ist das Tempo, mit dem US-Investoren in ESG-Fonds investieren. Gleichzeitig ist es zu erheblichen Abflüssen bei Aktienfonds gekommen. Die Mittelzuflüsse in ESG Strategien in den USA haben sich 2019 im Vergleich zu den vergangenen zwei Jahren vervierfacht. Überdies sind die Zuflüsse aktiver Manager laut Broadridge um das Sechsfache gestiegen. Dieser Trend hat sich im Jahr 2020 noch beschleunigt.
Risikominimierung durch ESG-Faktoren
und gleichzeitig eine bessere Performance.
Das klingt gut. Aber ist ESG nicht immer
noch mehr Marketing der Fondsanbieter
oder nehmen sie es wirklich ernst?
Unternehmen wie wir setzen verstärkt menschliche und digitale Ressourcen ein, um unseren ESG-Investmentprozess zu verbessern. Zudem wollen wir ihn zu kunftsorientierter gestalten und auch der laufenden Entwicklung im Bereich ESG gerecht werden. Aber gleichzeitig wollen wir auch die Auswirkungen unserer Investitionen ermitteln und dokumentieren. Aber als aktiver Manager kann man sich nicht auf Daten verlassen, die nicht stan dardisiert sind, sondern muss seine eigenen Hausaufgaben machen. Andere Vermögensverwalter sind vielleicht noch nicht so weit, stehen aber am Anfang der Lernkurve. Sie erkennen langsam, dass Nachhaltigkeit gleichbedeutend mit lang fristig überdurchschnittlichen Renditen ist.
Werden „normale“ Aktienfonds in Zukunft aufgrund der regulatorischen Entwicklun- gen im Bereich ESG/Nachhaltigkeit unter Druck geraten?
Die EU-Offenlegungsvorschriften werden, selbst wenn sich der Umsetzungstermin aufgrund der aktuellen Krise gegenüber dem ursprünglichen Termin im März 2021 verzögert wird, dazu beitragen, die Ver mögensverwalter zu ermutigen, sich ernsthaft umzuorientieren. Bereits jetzt legen die Fondsaufsichtsbehörden die Messlatte bei neu aufgelegten Fonds höher, für die Umsetzung von ESG in Über einstimmung mit den EU-Richtlinien.
Ist es einfacher, neue Aktienfonds aufzulegen, bei denen ESG-Faktoren in den Anlageprozess eingebettet sind, als den Anlageprozess bestehender Fonds zu ändern?
Wie bei jeder Neuauflage, ob es sich nun um einen nachhaltigen Fonds handelt oder nicht, muss er erfolgreich sein. Die anfängliche Größe des Fonds, wenn er mit nur 20 bis 50 Millionen Euro aufgelegt wird, kann ein Hindernis darstellen. Daher kann es sinnvoll sein, einen bestehen den Fonds mit einer guten Historie umzuwandeln. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, die Gründe für die Umwandlung darzulegen und den Fondsprozess transparent zu machen. Zudem müssen auch die Fondsmanager von ESG überzeugt sein und somit das praktizieren, was sie predigen.
Sind die positiven Auswirkungen von ESG in den Schwellenländern stärker ausgeprägt als in den Industrieländern?
Es ist sehr befriedigend zu sehen, was wir bei Unternehmen in Schwellenländern bewegen und verändern konnten, in die wir seit drei Jahrzehnten investieren. Somit konnten wir dazu beitragen, dass dort Grundbedürfnisse für die Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden konnten, die für die Bevölkerung in den entwickelten Märkten als selbstverständlich gelten.
Dazu zählen etwa die Finanzierung der Inklusion durch das Internet, sowie den Zugang zu grüner Energie und anderen nachhaltigen Technologien. Doch damit diese Investitionen erfolgreich sind, muss man sich vor den Fallstricken schlechter Unternehmensführung oder schlechten Arbeitsbedingungen und Produktsicherheit aufgrund mangelnder staatlicher und behördlicher Kontrollen hüten. Denn als Investoren in Schwellenländer-Unternehmen sind wir besorgt über einen plötzlichen, dauerhaften Kapitalverlust unserer Investition aufgrund einer Kontroverse um die Unternehmensführung oder über den Verlust der Betriebsgenehmigung durch Verstöße gegen lokale Vorschriften. Das gilt es zu vermeiden.
Fragen Ihre Kunden wirklich nach ESG-Fonds, weil sie sich damit identifizieren, oder weil behauptet wird, dass nachhaltige Produktportfolios tatsächlich eine bessere Performance liefern?
Die Nachfrage nach nachhaltigen Fonds ist durch verschiedene Einflüsse entstan den, nicht zuletzt durch die überzeugende Performance. Angesichts des unterschiedlichen Ansatzes von ESG-Investments und des unterschiedlichen Zeithorizonts haben Kunden je nach Herkunft und Alter unterschiedliche Anforderungen. In Frankreich haben seit 2012 die Umweltpolitik der Grenelle II, das Energieüberleitungsgesetz und zuletzt das Loi Pacte und das Loi Avenir französischen Anlegern verdeutlicht, wie wichtig die Berichterstattung und das Management von Nachhaltigkeitsrisiken- und produkten ist. Für andere Regionen, insbesondere in Nordeuropa und Skandinavien, ist die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken in Investitionsentscheidungen die kulturelle Norm. In Südeuropa haben wir einen deutlichen Aufholprozess bei der Bildung neuer Teams für Nachhaltigkeitsfonds in Erwartung eines starken Wachstums erlebt. Entweder aufgrund veränderter Investorenmuster angesichts der deutlichen Anzeichen des Klimawandels in Ländern wie Spanien oder aufgrund regulatorischer Einflüsse.
CARMIGNAC GRANDE EUROPE
Befindet sich die Vermögensverwaltungsbranche also in einem ernsthaften Paradigmenwechsel oder wird ESG immer noch eher als mögliche Ergänzung gesehen?
Ich glaube, wir haben den Wendepunkt überschritten, die Geldverwalter können die Risiken bei Investitionen, die mit Nachhaltigkeitsfragen verbunden sind, nicht mehr ignorieren. Es wird jedoch noch einige Zeit dauern, bis ein homogener und transparenter Ansatz gefunden ist. Sechs der wichtigsten Nachhaltigkeits-Ratingagenturen haben eine Gesamtkor relation der ESG-Unternehmensbewertung von 0,61, was sehr niedrig ist und das Fehlen eines standardisierten Ansatzes zeigt. Um Kleinanlegern in diesem un übersichtlichen Universum der Nachhaltigkeitsfonds Klarheit zu verschaffen, haben wir uns dafür entschieden, unsere SRI-Fondspalette von den französischen und belgischen Nachhaltigkeitssiegelorganen prüfen und kennzeichnen zu lassen, um eine zusätzliche Sicherheit zu gewährleisten.
Verlassen Sie sich ausschließlich auf Ihr eigenes Research oder nutzen Sie auch das Research Dritter?
Als aktiver Verwalter ist eines der Leis tungsversprechen von Carmignac gegen über seinen Anlegern, dass das Investmentteam eigene Analysen durchführt. Durch die Untersuchung der gesamten Wertschöpfungskette können wir das Geschäftsmodell und das Verhalten des Unternehmens, die Behandlung der Umwelt, die Personalpolitik und die Produktsicherheit- und beschaffung sowie andere Nachhaltigkeitsrisiken verstehen. Wir sind je doch der Meinung, dass externe Researchanbieter und spezialisierte ESG-Berater wichtig sind. So können wir unsere eigenen Analysen stets hinterfragen. Wir arbeiten aber auch daran, dass wir in Zukunft vorausschauendere Analysen erstellen und auch stärker künstliche Intelligenz einsetzen wollen.
Der Druck auf die Unternehmen, in den gängigen Indizes enthalten zu sein, nimmt stetig zu. Werden fast alle Unternehmen bald nachhaltig sein?
Die Indizes stützen sich stark auf ESG-Daten im industriellen Maßstab, die wir bereits früher diskutiert haben. Aber sie weisen angesichts der geringen Korrelation untereinander Schwächen auf. Das bedeutet, dass Unternehmen mit mehr Ressourcen und größeren Nachhaltigkeitsteams in der Lage sind, die von einigen Anbieten festgelegten Kriterien zu er füllen. So schneiden sie in deren Bewertungssystemen besser ab, was dann letztlich zur Aufnahme in die Indizes führt. Wir als aktiver Manager sind davon überzeugt, dass ein nachhaltiges Unternehmen ein Unternehmen ist, das die Auswirkungen der sich verändernden Welt auf das Unternehmen effektiv managt.
Ein nachhaltiges Unternehmen ist kein Unternehmen, das nur grüne Produkte ohne nachteilige Auswirkungen auf seine Zulieferer oder Mitarbeiter produziert. Sondern es ist ein Unternehmen, das in der Lage ist, sich um seine Geschäftspartner langfristig zu kümmern. Daher wird es immer Unternehmen geben, die nachhaltiger sind als andere. Das heißt: Diejenigen, die in der Lage sind, alle Beteiligten in der gesamten Wertschöpfungskette überzeugend managen zu können.
Welchen Vorteil können Sie als aktiver ESG-Manager gegenüber passiven Indexfonds, neben der möglichen Outperformance, noch bieten?
Bei passiven Angeboten kommt das wirkungsorientierte Investieren, also auch
das Aufzeigen von Problemen bei den Firmen, nicht vor. Auch stimmen sie oft nicht
auf den Hauptversammlungen ab. Dieser
Einfluss, den man so als Aktionär geltend
machen kann, macht schon einen Unterschied aus. Denn durch die volle Stimmrechtsbeteiligung und den aktiven Austausch sind wir in der Lage, nachhaltigere
Maßnahmen und Ziele für bessere gesellschaftliche und ökologische Auswirkungen zu erreichen. Carmignac hat eine
100-prozentige Stimmbeteiligung zu einem seiner Ziele für 2020 gemacht,
ebenso wie das Engagement durch externe Mitgliedsorganisationen wie Climate
Action 100+.
Vita
Sandra Crowl ist Mitglied des Investment Committee und Stewardship Manager bei Carmignac Gestion. Sie ist dort seit 2007 tätig.
Ihre berufliche Laufbahn begann sie 1987 bei Bankers Trust Australia. 2003 wechselte sie zur Hedgefondsgesellschaft New Alpha Advisers, einer Tochtergesellschaft des Spezialisten für alternative Investments ADI.
Fondsdaten
Quelle: fondsxpress
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