Kapitalverkehrskontrollen 02.07.2015 12:40:47

Den Griechen geht das Bargeld aus

An einem Geldautomaten unterhalb der Akropolis umklammert Angeliki Andreaki ihre Bankkarte mit beiden Händen. Sie zahlt ihre Rechnungen bar und am Mittwoch waren 330 Euro Miete und 39 Euro Telefonkosten fällig."Tsipras hat dieses Land in Nordkorea verwandelt", sagt die 83-jährige und schüttelt ihren Kopf über den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. "Ich kann es nicht glauben, dass ich in meinem Alter anstehen muss, um rationiertes Bargeld zu bekommen".

   Sie hob ab, was sie konnte - gerade einmal 60 Euro - und ging direkt los, um ihre Telefonrechnung zu bezahlen. Sie sagte, sie müssen noch fünfmal wiederkommen, um genug Bares für die Miete zusammenzubekommen.

   So sieht der Alltag in Griechenland aus, seitdem das Land seine Banken geschlossen und Kapitalverkehrskontrollen verhängt hat, damit nicht noch mehr Geld aus dem Land abfließt.

   Die Regierungspartei Syriza hält daran fest, den Gläubigern neue Kompromisse anzubieten und bei dem Referendum am Sonntag mit "Nein" zu stimmen. Die EU-Oberen lehnen diese Vorschläge als ungenügend ab und weigern sich, weitere Verhandlungen vor dem Referendum zu führen.

   Die ersten Meinungsumfragen in Griechenland, seitdem Tsipras die Volksabstimmung ausgerufen hat, legen einander widersprechende Ergebnisse nahe. Das Resultat könnte auf jeden Fall knapp ausfallen.

   Das Lahmlegen des griechischen Bankensystems markiert den dramatischsten Moment in der fünfjährigen Schuldenkrise des Landes - und vielleicht ihren Dreh-und Angelpunkt. Seit Montag können die Griechen am Automaten nur 60 Euro am Tag abheben. Geld ins Ausland können sie nicht mehr überweisen.

   Wie lange das verbleibende Bargeld reicht und wie verunsichert die Griechen werden, wird ausschlaggebend bei der Abstimmung am Sonntag sein. Die Griechen sind aufgerufen, über die Forderungen der Gläubiger nach weiteren Sparmaßnahmen im Gegenzug für weitere Rettungsgelder zu befinden. Je knapper das Bargeld, desto mehr Griechen könnten mit "Ja" stimmen, um auf die Gläubiger zuzugehen, meinen Beobachter.

   Am Mittwoch habe Griechenlands Bankensystem noch circa eine Milliarde an Bargeld übrig gehabt, sagt eine mit der Angelegenheit vertraute Person. Selbst mit einem 60-Euro-Limit bei den Bankautomaten der geschlossenen Banken Griechenlands "sei es nur eine Frage von wenigen Tagen", bis das Geld aufgebraucht ist, sagt dieser Insider.

   Um ihr Tageslimit abzuheben, standen viele Griechen vor den Geldautomaten in Athens Stadtmitte Schlange. Die Bargeldknappheit zieht sich lähmend durch die ganze Wirtschaft. Die Kaufleute berichten über geringere Ausgaben. Die Großhändler können nicht für die Lieferungen zahlen. Die ausländischen Gegenspieler der Importeure wollen keinen Handel betreiben.

   Die Fluggesellschaft Ryanair, die Athen, Thessaloniki und andere griechische Städte anfliegt, teilte am Dienstag mit, für Tickets an den Flughäfen auch Bargeld zu akzeptieren. Griechische Kunden hätten Schwierigkeiten dabei gehabt, mit ihren Bankkarten zu bezahlen. Ryanair ist in Irland beheimatet und elektronische Zahlungen ins Ausland sind untersagt.

   "Der schlimmste Albtraum für die Geschäftswelt ist wahr geworden", sagt Constantine Michalos, der Präsident der Athener Industrie- und Handelskammer. Michalos ist gleichzeitig Nahrungsmittelgroßhändler und 65 Prozent seiner Produkte werden importiert. Seit dieser Woche schicken ihm seine ausländischen Zulieferer nichts mehr. Seine Bestände reichen noch für ungefähr 20 Tage. "Ich habe die Möglichkeit und die nötigen Mittel auf meinem Bankkonto, um zu importieren", sagt er. "Es ist mir nur nicht erlaubt, eine elektronische Überweisung zu tätigen."

   Die Bargeldklemme schlug zuerst bei kleinen Händlern zu. Sie können bei ihren Lieferanten oft kaum Kredit bekommen, besonders diejenigen, die mit verderblichen Waren handeln, die kontinuierlich importiert werden.

   Christos Georgiopoulos führt einen Gourmet-Supermarkt in der bei Touristen beliebten, malerischen Altstadt Plaka. Er verkauft Champagner und russische Krabbenbeine. Niemand möchte etwas kaufen. "Ich hatte seit zwei Tagen keinen einzigen Kunden", sagte er am Mittwoch. Er schließt seinen Laden und sagt, er wisse nicht, wann er wieder öffnen wird. Seinen Mitarbeitern hat er einige Krabbenbeine mitgegeben und nimmt selbst auch ein paar mit nach Hause. "Ich konnte meine Mitarbeiter nicht bezahlen und weiß nicht, ob und wann es mir wieder möglich sein wird", sagt er.

   Marie Palandjian-Raxevsky, Marketing-Direktorin bei der griechischen Kinderbekleidungsmarke Mini Raxevksy, ist von Google-Werbung abhängig, um Geschäfte mit Kunden in Griechenland und anderswo zu machen. Am Dienstagabend erhielt sie eine Email. Ihre griechische Unternehmenskreditkarte, mit der sie für die Anzeigen bezahlt, sei abgelehnt worden, hieß es. "Jetzt ist unsere Kampagne vollkommen verschwunden", sagt sie.

   Wer Bargeld in der Tasche hat und wer nicht, ist oft willkürlich. Aspasia Kourana, eine 80-jährige Rentnerin, hat ihre monatliche Rente von 600 Euro am vergangenen Donnerstag bekommen. Ihre Tochter hat das gesamte Geld am nächsten Tag abgehoben.

   Bis Montag konnten Kouranas Tochter und ihr Schwiegersohn nicht mehr als jeweils 60 Euro ihres Gehalts vom Automaten abheben. "Wir werden in den kommenden Tagen von meiner Rente leben", sagt Kourana. "Vielleicht kaufe ich sogar Kirschen für meinen Enkelsohn. Er liebt sie."

   Da die Banken geschlossen sind, waren Rentner, die keine Bankkarten haben, komplett vom Bargeld abgeschnitten. Am Mittwoch lockerte die Regierung die Bestimmungen, sodass sie in einige Banken gelangen konnten. Am Morgen fanden sich die Rentner vor dem neoklassischen Gebäude der Nationalbank von Griechenland im Zentrum Athens ein. Ein Mann am Eingang händigte Tickets aus und schickte andere Kunden weg. Ein Schild wies darauf hin, dass nicht mehr als 120 Euro pro Rentner ausbezahlt würden.

   Nebenan in der Filiale der Alpha Bank wurden die Vorgelassenen nach dem Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen sortiert. Die erste Gruppe konnte am Mittwoch Geld abheben, alle im Alphabet nachfolgenden müssen bis Freitag warten.

   Die Kapitalverkehrskontrollen haben keine Auswirkungen auf Transaktionen innerhalb Griechenlands. Gehälter werden weitgehend wie bisher bezahlt. Außer dem 60-Euro-Bargeld-Limit können die Griechen ihre Gehaltsschecks aber nur elektronisch ausgeben. Sie müssen sich damit begnügen, Geld wie eine heiße Kartoffel innerhalb des paralysierten Bankensystems herumzuschieben.

   Bargeld ist Trumpf. "Jetzt geht fast jeder Kartenbesitzer täglich zum Bankautomaten", sagt Stefanos Kotronakis vom Zahlungsdienstleister ACI Worldwide in Athen, der Systeme betreibt, die Bankautomaten funktionieren lassen. "Cash hat jetzt einen höheren Stellenwert".

   Ellie Tzortzi, eine Partnerin einer in Wien ansässigen Firma für digitales Design und Marktforschung, fliegt an diesem Wochenende nach Athen. Sie will ihre Angestellten bar auszahlen. "Das letzte Mal, dass ich mit einem Bündel von Geldscheinen herumgereist bin, um jemandem sein Gehalt zu zahlen, war vor 10 Jahren im Kosovo", erzählt sie.

   Auf einem Athener Gemüsemarkt legt Anna Diamantidi ein paar Auberginen auf die Waage. Die 50-jährige verkauft ihr Gemüse und ihre Eier seit 20 Jahren an demselben Stand. "Meine Ware ist frisch. Wenn ich sie nicht verkaufe, wird sie verfaulen. Das wäre eine Sünde", sagt sie. Wenn die griechischen Banken auch kommende Woche geschlossen bleiben, wird sie ihre Produkte verschenken, kündigt sie an.

   Das ist so gut wie sicher. Die griechischen Banken sind in einer Notlage. Ihr Bargeldpolster ist minimal. Seit Monaten konnten sie kein Geld mehr auf den internationalen Märkten aufnehmen. Wenn Einleger Geld abheben wollen - und das wollten sie seit Jahresbeginn in Scharen - müssen sich die griechischen Banken an die Europäische Zentralbank (EZB) für Notkredite wenden.

   Am vergangenen Sonntag hat die EZB diesen Rettungsanker gedeckelt. Die Zentralbank dürfte diese Rettungsmaßnahme höchstwahrscheinlich erst dann wieder aufnehmen, wenn es zwischen Griechenland und seinen europäischen Gläubigern zu einer umfassenden Übereinkunft gekommen ist.

   Deutschland hat klar gemacht, dass es vor dem Referendum am Sonntag nicht einmal weiter verhandeln wird. Falls sich die Griechen bei der Volkabstimmung für ein Abkommen aussprechen, würde Tsipras, der sich für ein "Nein" stark gemacht hat, mit fast 100 prozentiger Sicherheit als Ministerpräsident zurücktreten. Eine neue Regierung zu bilden und ein Schuldenabkommen auszuhandeln, würde Zeit in Anspruch nehmen. Bei einem "Nein" der Griechen würden Griechenland und Europa weiter voneinander abrücken.

   Bisher wird das Ungemach, das die Kapitalverkehrskontrollen verursacht haben, zum Teil von großen Mengen Bargeld in Brieftaschen und unter Matratzen abgeschwächt.

   Die Griechen haben seit Monaten Einlagen bei ihren Banken abgezogen. Die griechische Notenbank hat rund 45 Milliarden Euro in Banknoten ausgegeben und damit 18 Milliarden Euro mehr als normal. Dies geht aus Zentralbankdaten per Ende Mai hervor.

   Es ist nicht klar, wie viel von dem Geld im Land bleibt. Und es wirkt sich nur für kurze Zeit günstig aus, weil die griechischen Güter ständig konsumiert würden, sagt Michalos, der Präsident der Athener Industrie-und Handelskammer. "Du kannst die Vorräte nicht erneuern", klagt er. "In einer, zwei, drei Wochen wird es vorbei sein".

   Mitarbeit: Costas Paris und Robert Wall

   DJG/DJN/ama/jhe

   Dow Jones Newswires

  Von Matina Stevis und Charles Forelle

ATHEN (Dow Jones)

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