29.01.2025 17:51:27

Werner Krämer, Lazard AM: Ich erwarte in Europa Leitzinsen unter zwei Prozent

Werner Krämer, Geschäfts­führer und Senior Economic Analyst bei Lazard Asset Manage­ment Deutsch­land, sieht vier große Themen in den USA, die erheb­lich auf die Welt und Europa abstrahlen dürften: (1) Steuer­senkungen ohne Gegen­finanzierung, (2) Deregu­lierung im Banken- und Energie­sektor sowie bei den ESG-Regeln, (3) Außen­handel inklusive Zölle und schließlich (4) die Migration. Diese Themen werden in ihrer Wirkung nicht an den US-Grenzen halt machen. Die Auswirkungen könnten jedoch kaum gegen­sätzlicher sein – gerade auf die Inflation und damit auch auf die Zinsen.

„Unter der neuen US-Administration wird die Welt weiter in Blöcke und Einzelnationen zerfallen“, lautet Krämers Prognose. „Der 40 Jahre währende Prozess der Globalisierung wird umgekehrt.“ Europa und die USA gehen aus seiner Sicht getrennte Wege. Er nennt das Deliberalisierung: „Die Europäer fördern zunehmend eine Marktwirtschaft, in der der Staat mehr Einfluss nimmt, stärker reguliert und einengt. Im Gegensatz dazu verfolgen die Amerikaner eine libertäre Linie. Mit ihrem Turbokapitalismus schaffen sie einen Gegenentwurf zu Europa, so dass beide Modelle nicht mehr recht zusammenpassen.“ 

Ökonomische Konsequenzen

In den USA würden die dort angekündigten Maßnahmen eine Wachstumsbeschleunigung erzeugen, da die Deregulierung und die Steuersenkungen die Binnenkonjunktur ankurbeln dürften. Hier erwartet Werner Krämer starke Impulse. Bei vielen anderen Ländern, die den US-Markt beliefern, sollten die angekündigten Zölle zu Problemen führen. Diese Kombination habe einen starken Inflationsdruck in den USA zur Folge, während er in Europa nachlassen sollte. „Es handelt sich um eine Politik des starken Dollars“, sagt Krämer. „Den will das Weiße Haus zwar eigentlich nicht, aber das ist ein Nebeneffekt dieser Entscheidungen.“ Diese wirkten sich natürlich auch auf die Zinsen aus und verursachten eine Diskussion über die vorhandene Weltwährungsordnung. Krämer fragt: „Wollen alle Länder künftig so sehr von einem US-Dollar abhängig sein, der so stark von Einzelpersonen getrieben werden kann?“ Für Werner Krämer liegt hier der Hauptgrund für die starke Entwicklung des Goldpreises: „Wer eine Alternative zum US-Dollar sucht, wird in Gold investieren.“ 

Gewinner und Verlierer

Die Entwicklung in entgegengesetzte Richtungen erzeuge Gewinner und Verlierer. Dies könne man am Wachstum und der Produktivität der G7-Länder bereits erkennen, so der Ökonom: „Die Amerikaner ziehen voran und erhalten jetzt noch einmal einen weiteren Schub durch ihren neuen Präsidenten. Dieser Wachstumsschub wird zusätzlich durch Produktivitätsgewinne untermauert, deren Ursprung in den Innovationen der sieben großen Technologieführern liegt.“ Aktuell sähe man in den USA Technologiesprünge wie selten zuvor. 

In Europa dagegen sei die Wachstumskurve flach. Dies sei kein Weltuntergang, aber eben auch kein Wachstum, erläutert Krämer: „Wir sehen einen klaren Mangel an Wachstum, das sich nur ganz wenig beschleunigt und darunter leidet, dass die Produktivität in Europa im Vergleich zu den USA stark zurückgegangen ist.“ 

„Spannend werden die Reaktionen der Notenbanken“

In Europa habe die Wachstumsschwäche allerdings dazu beigetragen, die Inflation einzudämmen. Sie stabilisiere sich im Zwei-Prozent-Korridor und sei unter Kontrolle. In den USA sähe das Bild anders aus, denn dort sei die Teuerungsrate nach wie vor recht hoch und werde durch die neuen Maßnahmen noch einmal angeheizt. Der Volkswirt prognostiziert: „Ich gehe davon aus, dass die Inflationsdiskussion sich stärker in die Vereinigten Staaten verlagern wird, wie man auch an den Inflationserwartungen sieht. Die gehen in den USA eher hoch, anders als in Europa. Wir sehen in den USA also höheres Wachstum bei steigenden Preisen und in Europa wenig Wachstum bei kontrollierter Inflation.“

Diese unterschiedliche Ausgangskonstellation führe zu entgegengesetzten Erwartungen der Anleger an die Notenbanken: „Mittlerweile ist in den USA nur noch eine Zinssenkung eingepreist, die im März oder Frühsommer erwartet wird“, so Krämer. „Dagegen ist in Europa die Stimmung schlecht, das Wachstum schwach und die Inflation niedrig, so dass die Marktteilnehmer von der Europäischen Zentralbank (EZB) deutliche Senkungen des Leitzinses erwarten und diese auch bereits eingepreist haben – bis auf zwei Prozent. Ich glaube sogar, dass es noch tiefer gehen wird. Denn ohne die Hilfe der EZB werden wir die Krise in Europa nicht überwinden.“ 

Interessante Zinsentwicklungen für Investoren

Die erwartete Zinsdifferenz zwischen der EZB und der US-Notenbank Fed sei von Null auf mittlerweile über zwei Prozent gestiegen. Dieser Unterschied schlage sich inzwischen auch in den Erwartungen der Notenbanken nieder. „Für 2025 heißt das: Die Fed macht nicht viel und die EZB wird permanent senken. Das führt mich zum Zinsausblick: In den letzten Monaten haben wir einen dramatischen Zinsanstieg in den USA gesehen. Auf Sicht von einem Jahr sind die Renditen für US-Staatsanleihen von 3,75 Prozent auf 4,75 Prozent gestiegen. Mein Fair Value läge hier bei etwa 5 Prozent, maximal 5,25 Prozent – das ist eine gute Botschaft für Investoren.“ Mittlerweile nähere man sich einem Renditepunkt, an dem die Käufer wieder auf den Markt kommen. „Es besteht aber natürlich das Risiko, dass die US-Regierung so sehr Gas gibt, dass diese Punkte nicht halten“, so der Ökonom.

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