„Die in Folge der Pandemie bereitgestellten Gelder betragen bereits heute ein Mehrfaches der Gesamthilfen nach der Finanzkrise in 2008. Am politischen Willen mangelt es also nicht – dennoch steht der echte Stresstest für die reale Wirtschaft in 2021 erst noch bevor“, so Thomas Böckelmann, leitender Portfoliomanager der Vermögensmanagement Euroswitch. Im Gegensatz zum Eindruck, den die Aktienmärkte vermitteln, sei die Weltwirtschaft von einer V-förmigen schnellen Erholung weit entfernt. Die zweite Pandemie-Welle treffe erneut vor allem viele Dienstleistungssektoren, für deren Umgang mit Rezessionen historische Vergleiche fehlen. „Trotz jüngster Erholung in den industriellen Sektoren und trotz Konjunkturlokomotive Asien wird immer deutlicher, dass die Einbrüche der Weltwirtschaftsleistung in 2020 nicht allein in 2021 kompensiert werden können“, sagt Böckelmann.

Kalter Krieg um globale Technologieführerschaft

Asien sieht Böckelmann als treibende Kraft für die Welt: „Der Umgang mit der Pandemie war ebenso bemerkenswert wie das jüngst beschlossene asiatische Freihandelsabkommen als größtes der Welt. Projekte wie China 2025 und Neue Seidenstraße werden China und die gesamte Region in einem nie dagewesenen Maße an die Technologiespitze katapultieren.“ Die Auswirkungen auf langfristige Perspektiven westlicher Unternehmen müsse allerdings differenziert betrachtet werden. Es ist wahrscheinlich, dass der unter Donald Trump offensichtlich gewordene Handelskonflikt mit China zu einem langjährigen kalten Krieg um die globale Technologieführerschaft führen wird. Europa stehe mit seiner inneren Zerstrittenheit und einer gewissen Technologiefeindlichkeit nur als Beobachter am Rand, wird aber zunehmend selber aktiv werden müssen, sei es innovationsfreundlicher nach innen oder entschiedener nach außen. „Der sich in den Pandemie-Hilfen zeigende starke politische Wille muss dazu führen, die drei hartnäckigen Vor-Pandemie-Phänomene PPP, also Protektionismus, Populismus und zunehmende Paralyse nachhaltig zu überwinden. Hier sehen wir die größten Herausforderungen der Nach-Trump-Ära von politischen Entscheidungsprozessen bis hin zu gesellschaftlichen Entwicklungen“, erklärt Böckelmann.

Aktuelle Geld- und Fiskalpolitik bildet Super-Tandem für neuen konjunkturellen Super-Zyklus

Die vor der Pandemie von den Notenbanken angekündigten Strategic Reviews scheinen mittlerweile obsolet und die Modern Monetary Theory wird zunehmend hemmungslos ins Schaufenster gestellt. „Wo früher Erwirtschaften zwingende Bedingung für politische Umverteilung war, wächst das politische Verlangen, zähes und mühsames Erwirtschaften durch Kreditaufnahme zu ersetzen. Gleichzeitig wird schon über Schuldenerlass diskutiert, da es immer unwahrscheinlicher wird, die öffentlichen Schuldenberge jemals abtragen zu können“, fasst Böckelmann zusammen. Durch die enge Verstrickung von Geld- und Fiskalpolitik steige damit kurzfristig die Gefahr zunehmender Abhängigkeiten der Notenbanken von der Politik und langfristig die Gefahr von Vertrauensverlusten in das Finanzsystem generell. So könnten genannte Inflationsziele irgendwann nur vorgeschoben erscheinen, wenn faktisch Staatsfinanzierung betrieben wird. „Um es hier nicht zu einem von vielen Experten befürchteten Endgame um das Finanzsystem kommen zu lassen, ist es wichtig, jederzeit transparent zu handeln und es den Politikern nicht zu erlauben, die während der Pandemie erfahrenen erfolgreichen Krisenmaßnahmen als Dauerzustand zu etablieren“, so der Investmentexperte.

Reine Fokussierung auf Value oder Growth nicht zielführend

Die Rotation der letzten zwei bis drei Monate von Wachstumstiteln (Growth) in eher günstigere zyklischere Werte (Value) begründet die Frage, ob das Jahr 2021 wieder eine Outperformance von Growth erlebt oder das über Jahre zurückgebliebene Value Segment nachhaltig aufholen kann. „Die Rallye in Wachstumswerten vor allem der Technologiebranche hat teils für Bewertungen gesorgt, deren Rechtfertigung schon einen perfekten mehrjährigen Wirtschaftsverlauf verlangt, während manche Branchen wie Energie oder Autos unter ihrem heutigen bilanziellen Eigenkapital notieren“, sagt Böckelmann. So offenkundig die Frage nach Growth oder Value scheinbar ist, so wenig zielführend ist sie, da die Frage allein jeweils nur auf wenige betriebswirtschaftliche Kennzahlen und Merkmale abstellt. Eine Aktienanlage ist aber weitaus komplexer. „Wir sehen eine Aktienselektion thematisch und ganzheitlich, das heißt neben klassischen Kennzahlen ist für uns die Einordnung der Qualität als verbindendes Element entscheidend. Dabei bedarf es nicht allein der Sicht auf die nächsten Monate, sondern der intensiven Fragestellung, ob eine langfristige Wertschöpfung mit der Anlage generiert werden kann“, erklärt der Investmentexperte seine Strategie. Digitalisierung und Cybersicherheit, Demographie und Infrastruktur sind nur wenige Themen, in denen sich laut Böckelmann Titel hoher Qualität bei akzeptabler Bewertung und ansprechenden Perspektiven – also einer überzeugenden Equity Story – finden lassen. Neben den genannten Multithemen sieht der Investmentexperte regionale Wachstumsvorteile in Asien und regionale Bewertungsvorteile in Europa.

2021 von Marktrotationen bestimmt

Die Geldflut und deren voraussichtliche Ausweitung machen weiter steigende Aktienkurse zumindest wahrscheinlicher, solange die langfristigen Konsequenzen ausgeblendet werden. Irritationen und damit Volatilität drohen im Falle ausbleibender Impferfolge und der nahezu unvermeidlichen Insolvenzwelle, die das Thema Bankenkrise erneut auf die Agenda setzen könnte. „Die Unsicherheit um die Stabilität eines neuen konjunkturellen Zyklus und die Konsequenzen geopolitischer Ereignisse wie des Brexits werden wohl immer wieder zu heftigen Rotationen zwischen ganzen Märkten und vor allem Branchen führen“, so das Fazit von Böckelmann.

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Foto: Thomas Böckelmann
© Euroswitch




Quelle: fixed-income.org - Die Plattform für Investoren und Emittenten am Anleihenmarkt.