"Die EZB muss den Ölpreis außen vor lassen", sagt Jörg Zeuner, der Chefvolkswirt der Förderbank KfW. Nach seiner Lesart ist der jüngste Rückgang lediglich "ein positiver Schock, der in einem Jahr aus dem Vergleich heraus ist - wenn der Ölpreis nicht noch weiter fällt." Leichtöl der US-Sorte WTI kostet derzeit 67 Dollar, die europäische Sorte Brent 71 Dollar. Im Juni dieses Jahres waren es jeweils deutlich mehr als 100 Dollar gewesen.
Vor allem der anhaltende Ölpreisrückgang hat die Inflationsrate im Euroraum von 0,5 Prozent im Juni auf 0,3 Prozent im November sinken lassen. Und da ist der Preiseinbruch nach der jüngsten Förderentscheidung der Opec noch nicht berücksichtigt. "Das Risiko besteht darin, dass die Inflation noch weiter sinken kann", sagt Evelyn Herrmann, Europa-Ökonomin bei BNP Paribas in London.
Zwar ist ein niedriger Ölpreis auch aus Herrmanns Sicht zunächst mal gut für den Konsum, doch lässt er auch die Deflationsrisiken steigen: "Das ist eine Situation, in der ich als Arbeitnehmer keine Nominallohnerhöhung fordere und als Arbeitgeber keine gewähre. Das Problem ist, dass wir anfangen, unsere Erwartungen und Prognosen an dieser niedrigen Inflation auszurichten. Und das kann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden."
Klaus Kaldemorgen, der Chief Strategist Equities bei Deutsche Asset & Wealth Management, sieht das deutlich entspannter. Er sagt: "Man kann froh sein, dass wir Geldwertstabilität haben. Möchte EZB-Präsident Mario Draghi den Ölpreis mit einer quantitativen Politik nach oben bringen? Das leuchtet mir nicht ein."
Trotzdem glauben die Commerzbank-Volkswirte Michael Schubert und Ralph Solveen, dass der fallende Ölpreis die EZB auf Lockerungskurs bringen wird. "Eine sich für die kommenden Monate abzeichnende negative Teuerungsrate und eine niedrigere Kernteuerungsrate dürften die langfristigen Inflationserwartungen weiter fallen lassen", meinen sie. Die geldpolitischen "Tauben" im EZB werde das Argumente für weitere expansive Maßnahmen liefern.
Zwar habe die EZB früher nicht so sehr auf Ölpreisschwankungen geachtet, doch seien da die Inflationserwartungen verankert gewesen. Dieser Befund treffe heute nicht mehr zu.
Tatsächlich hat sich die EZB in der Gegenrichtung schon einmal von Ölpreis beeinflussen lassen. Bei der letzten - und heftig kritisierten - Zinsanhebung vor der großen Finanzkrise im August 2008 hob sie die Leitzinsen mit der Begründung an, dass der Ölpreisanstieg die Inflationserwartungen zu beeinflussen beginne.
DJG/hab/apo
Dow Jones Newswires
Von Hans Bentzien
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