Das Programm gab den Kreditmärkten in Europa indessen schon vor seinem offiziellen Beginn einen Schub. Schon nachdem es im März angekündigt worden war, wurde der Markt von Neuemissionen geradezu überflutet. Am Dienstag, also am Tag vor dem Start, betrug die durchschnittliche Rendite in Euro denominierter Anleihen großer europäischer Unternehmen im Non-Finance Euro Corporate Bond Index von Barclays zum Handelsschluss nur noch 0,88 Prozent. Das war der niedrigste Stand seit April vergangenen 2015. Im März dieses Jahres waren es 1,28 Prozent gewesen.
Die Renditen von Investmentgrade-Anleihen dürften noch tiefer sinken, wenn die EZB ihre Käufe ausdehne, prognostizieren Analysten. "Die Renditeabstände (Spreads) dürften sich vom aktuellen Niveau um 0,15 bis 0,20 Prozentpunkte verringern", erwartet Ioannis Angelakis, Kreditstratege bei Bank of America-Merrill Lynch.
Das Programm birgt indessen auch Risiken: Einige Anleger befürchten, dass die EZB irgendwann einen derart großen Teil des Marktes besetzen könnte, dass dessen ohnehin schon geringe Liquidität noch dünner werden könnte. Und Analysten warnen vor einer Blase am Anleihemarkt. Das EZB-Kaufprogramm für Unternehmensanleihen trockne den Markt aus, meint Markus Stadlmann, Chief Investment Officer bei der Lloyds Private Bank. Viele Anleger hätten versucht, sich einen Vorsprung zu sichern, fügt er hinzu. Deshalb habe sein Haus das Engagement bei europäischen Unternehmensanleihen komplett zurückgefahren.
Vielen Analysten und Investoren ist aber auch nicht wohl bei dem Gedanken, dass eine Zentralbank darüber entscheiden darf, welche Unternehmen aus der Privatwirtschaft Notenbankgeld erhalten. Kritik an diesen unkonventionellen Maßnahmen der EZB kommt besonders aus der größten europäischen Volkswirtschaft, Deutschland.
Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, wandte sich am Mittwoch gegen das Programm. Er sieht durch die EZB-Politik das "europäische Projekt als Ganzes" gefährdet. Die Entscheidung, Unternehmensanleihen zu kaufen, komme schon fast einem Akt der Verzweiflung gleich, sagte Folkerts-Landau in Frankfurt zu Reportern. Auch der Deutsche-Bank-Chefökonom vertrat die Ansicht, dass die EZB rasch zu einem bedeutenden Akteur am Markt werden dürfte.
Die Zentralbank versuche, die Rolle einer Geschäftsbank zu übernehmen, indem sie den Unternehmen Geld leihe, sagte er. In der Folge dürfte es zu einer Fehlallokation von Mitteln kommen, und das Vertrauen der Unternehmen in die Politik dürfte Schaden nehmen.
Die EZB hat sich noch nicht dazu geäußert, in welchem Umfang sie Unternehmensanleihen kaufen wird. Die Mehrzahl der Analysten schätzt das monatliche Volumen der Käufe aber auf 5 bis 10 Milliarden Euro. Das Gesamtvolumen des Markts für Unternehmensanleihen umfasst schätzungsweise 600 Milliarden Euro. Die Käufe sollen sich auf Anleihen von Unternehmen mit Investmentgrade-Rating beschränken, die in der Eurozone ansässig sind. Anleihen von Banken sind von den Käufen ausgeschlossen. Die infrage kommenden Anleihen haben Restlaufzeiten von sechs Monaten bis 30 Jahren. Die EZB wird im Rahmen des Programms bis zu 70 Prozent einer Anleiheemission aufkaufen. Die Käufe werden über die Zentralbanken der einzelnen Eurozone-Mitglieder abgewickelt.
Am Mittwoch sickerten schon erste Informationen über die bislang gekauften Titel durch. So meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg, die französische Zentralbank habe zehnjährige Anleihen des spanischen Telekomkonzerns Telefonica gekauft. Die Rendite besagter Anleihe fiel daraufhin auf das Rekordtief von 1,433 Prozent. Am Mittwochmorgen rentierte sie noch mit 1,466 Prozent.
Eine Sprecherin der Banque de France bestätigte, dass die Käufe am Mittwoch aufgenommen wurden. Sie wollte sich aber nicht dazu äußern, welche Anleihen genau die Zentralbank gekauft hat.
Im Zuge ihrer quantitativen Lockerungen hat die EZB bislang überwiegend Staatsanleihen im Volumen von über 1 Billion Euro gekauft. Mit dem Kauf von Unternehmensanleihen betritt die Zentralbank Neuland.
Nach Meinung einiger Analysten ist der Kauf von Unternehmensanleihen für die EZB eine Art Notlösung. Das Angebot an Anleihen, die nach den bisher geltenden Kriterien gekauft werden durften, sei zusehends knapper geworden.
Die EZB selbst wollte ihre Käufe am Mittwoch nicht kommentieren. Hochrangige Vertreter der Notenbank hatten aber in den vergangenen Tagen durchblicken lassen, dass sie große Hoffnungen auf das neue Stimuliprogramm setzen.
EZB-Ratsmitglied Ardo Hansson sagte dem Wall Street Journal am Mittwoch, dass sich der Kauf von Unternehmensanleihen als effektiver erweisen könnte als der Erwerb von Staatsanleihen. Hansson, der auch Gouverneur der estnischen Zentralbank ist, hält große Stücke auf das Programm. "Ich bin immer der Meinung gewesen, dass der direkte Weg über Unternehmen und Banken am wirksamsten ist", sagte er. Die EZB hofft, dass das Geld, das direkt an die Unternehmen fließt, indirekt auch den Banken zugute kommt. Anleger könnten auf der Suche nach attraktiven Renditen auch die Anleihen von Banken kaufen, die nicht Teil des EZB-Programms sind, so die Überlegung.
Das nun aufgelegte EZB-Programm ist ein weiteres Beispiel für eine Geldpolitik, die die Renditen von Staats- und Unternehmensanleihen in den Industrieländern weltweit gedrückt hat. Die Bank of Japan, die EZB und andere europäische Notenbanken haben Negativzinsen eingeführt. Mit den niedrigen Zinsen soll auch die ebenfalls sehr niedrige Inflation bekämpft und das geringe Wirtschaftswachstum angekurbelt werden. Die schwächelnde Wirtschaft wiederum treibt viele Anleger auf der Suche nach Sicherheit an den Anleihemarkt. Als Folge davon stürzte die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen am Dienstag auf ein Rekordtief bei 0,036 Prozent.
Mitarbeit: Riva Gold und William Horobin
Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com
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