11.03.2025 08:06:41

Entwicklung deutscher Staatsanleihen wegweisend / Positive Wachstumssignale in Europa durch Verteidigungs-Aufwendungen?

Die Märkte haben unter­schätzt, wie viel Unruhe Trump stiftet. Die amerika­nischen Wachstums­erwartungen werden ebenso gründlich hinterfragt wie die Aussichten für Aktien und Zinsen. Europas Antwort auf die massive Ver­änderung der Welt­sicherheits­ordnung hat die Märkte ebenfalls überrascht. Nach dem Fall der Berliner Mauer musste Deutschland für seine Staats­schulden sehr viel höhere Zinsen zahlen. Jetzt, wo die USA der NATO den Rücken kehren wollen, steigen die deutschen Staats­anleihen­renditen erneut. Die Lage ist unübersichtlich; die Kurse ändern sich schnell. Ich glaube, dass sich die neue Weltordnung sehr viel früher auf Staatsanleihen als auf Unter­nehmens­anleihen und Aktien auswirkt. Eines steht auf jeden Fall fest: Die politischen Risiken bleiben uns erhalten, und das bedeutet Volatilität.

Realpolitik zum Zweiten: Als sich in den frühen 1990ern die Weltordnung änderte, stand Deutschland im Mittelpunkt. Mit der Wiedervereinigung endete die sowjetische Vorherrschaft in Osteuropa. Es folgte die Osterweiterung von NATO und EU. Aber die Wende hatte ihren Preis. Deutschland musste sehr viel in die neuen Länder und die Angleichung ihres Lebensstandards an das westdeutsche Niveau investieren. Die Anleihenrenditen ließen keinen Zweifel an den Folgen für die Staatsfinanzen. Am 1. März 1990 stieg die deutsche Zehnjahresrendite um 34 Basispunkte. Erst drei Jahre später war sie mit 7,5% wieder so niedrig wie im Dezember 1989.

Die neuen Realitäten bewerten: Geschichte wiederholt sich nicht immer, aber oft reimt sie sich. Auch jetzt ändert sich die Weltordnung, und auch jetzt steht Deutschland wieder im Mittelpunkt. Diesmal geht es aber nicht um das Ende des sowjetischen Einflusses in Europa, sondern um das mögliche Ende der amerikanischen Sicherheitsgarantien. Deutschland und andere europäische Länder – auch Großbritannien – müssen mehr in ihre Verteidigung investieren. Noch weiß man am Markt nicht, wie hoch diese Investitionen sein, wie sie genau aussehen und auf welchen Zeitraum sie sich verteilen werden. Man weiß aber, dass sie alternativlos sind. Es muss mehr Geld für Verteidigung her. Dazu sind neue Kredite nötig, entweder durch mehr Emissionen der Einzelstaaten oder EU-Gemeinschaftsanleihen. Als es hieß, dass Deutschland in den nächsten Jahren 500 Milliarden Euro für Verteidigung und Infrastruktur ausgeben müsse, stieg die deutsche Zehnjahresrendite am 5. März um 30 Basispunkte. Ende letzter Woche hatte sie noch bei 2,4% gelegen, bei Redaktionsschluss am Freitagmorgen waren es dann schon 2,84%. Von Ende letzter Woche bis zum Handelsschluss am Donnerstag, dem 6. März, hat der ICE German Government Bond Index 3,1% verloren.

Rückzug der USA: Die derzeitigen politischen Entwicklungen sind durchaus historisch. Ausgelöst wurden sie durch die Haltung der Trump-Administration zum Ukrainekrieg. Washington hat signalisiert, dass die USA die aus ihrer Sicht unfaire Lastenverteilung nicht länger akzeptieren. Das gilt für die Wirtschaft, wo sie Produktionsüberschüsse anderer Länder stets gerne importierten, ebenso wie für die Verteidigung, wo sie bisher als Weltpolizist für Sicherheit sorgten und über die NATO unbegrenzt Militärhilfen zur Verfügung stellten.

Veränderte Annahmen: All das stellt die Handels- und politischen Beziehungen auf den Kopf, zur Verunsicherung von Investoren und Diplomaten gleichermaßen. Anlegern kann das nicht egal sein. Entscheidend für die Unsicherheit und die steigende Marktvolatilität ist Trumps Politikstil. Es liegt auf der Hand, dass Waren- und Kapitalströme dadurch aus dem Tritt geraten könnten, was wiederum Auswirkungen auf Konsum- und Investitionsentscheidungen sowie die Wirtschaftspolitik haben kann. Die bisherigen Annahmen zu Wachstum, Inflation, Geldpolitik und langfristigen Kreditzinsen werden hinterfragt. Der „Trump Trade“ – steigende US-Anleihenrenditen und Aktienkurse – ist passé. Jetzt ist von höheren Staatsausgaben in Europa die Rede, von Konjunkturprogrammen nach dem Motto „Make Europe great again“ und möglichen Mehrerträgen europäischer Aktien. Auch wenn die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Einlagensatz am 6. März auf 2,5% gesenkt hat, ist es mittlerweile sehr viel unsicherer, dass die Zinsen dieses Jahr wirklich noch unter 2% fallen. Wie EZB-Chefin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz nach der Ratssitzung sagte, ist „Unsicherheit allgegenwärtig“. Vielleicht müssen die Erwartungen zum Wachstum und zum neutralen Zins nach oben korrigiert werden. Das und die Aussicht auf ein erheblich größeres Angebot an europäischen Staatsanleihen lassen die Renditen steigen.

Der Trump-Trade steht Kopf: In den USA gibt es kaum noch Kapazitätsüberschüsse, trotz erster Anzeichen für eine schwächere Konjunktur. Irritationen durch Zölle, DOGE und die Haushaltspläne im Kongress machen Wachstums-, Inflations- und Zinsprognosen schwierig. Wenn die Konjunktur aus dem Tritt gerät, lassen sich Unternehmensgewinne und Cashflows nicht mehr so leicht vorhersagen. Die Risikoprämien für amerikanische Aktien und Credits dürften daher steigen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des gleichgewichteten S&P 500 Index beträgt laut Bloomberg zurzeit etwa 20. Vielleicht fällt es, und vielleicht werden die Wachstumserwartungen nach unten korrigiert. Die Credit Spreads liegen im unteren Dezil ihrer Spanne der letzten zehn Jahre. Aufgrund der zuletzt guten Konjunktur sind die Bewertungen hoch – so hoch, als sei alles perfekt. Aber das ist wohl Wunschdenken. Seit ihrem Höchststand im Dezember sind die Gewinnwachstumserwartungen für die nächsten zwölf Monate gefallen. Jetzt geht man am Markt wieder davon aus, dass die Fed ihren Leitzins dieses Jahr dreimal senkt.

Auftrieb für Europa: In Europa ändert sich die Lage vor allem durch höhere Kreditkosten. Der Renditeanstieg war bemerkenswert. Nur Deutschland kann seine Staatsausgaben noch deutlich erhöhen. Die anderen Länder sind auf Zugeständnisse der EU bei den Maastricht-Kriterien angewiesen, damit sie mehr in ihre Verteidigung investieren können. Auf jeden Fall wird man mehr Anleihen begeben, und vielleicht müssen andere Ausgaben gekürzt werden. Der Nettoeffekt für das Wirtschaftswachstum ist daher nicht leicht einzuschätzen. Manchmal heißt es, dass reine Verteidigungsausgaben nur begrenzte Multiplikatoreffekte haben. Wir müssen daher sehen, wie sich die Investitionen auf reine Verteidigung und umfassendere Infrastruktur aufteilen. Wer heute Krieg führen will, braucht außer Waffen auch Technologie, Kommunikationsmittel und Logistik. Wenn Europa jetzt einen größeren Teil der Verteidigungslast trägt und außerdem mit US-Zöllen konfrontiert ist, die wiederum Gegen-reaktionen erfordern, könnte das für den europäischen Wachstumsausblick durchaus positiv sein. So jedenfalls sehen es europäische Aktieninvestoren.

3,5% Bundesanleihenrendite? Eine langfristig höhere Kreditaufnahme führt zu steigenden Realzinsen und einem strukturell höheren neutralen Zins. Ich glaube, dass Staatsanleihen schneller reagieren werden als Unternehmensanleihen und Aktien. Es ist schwer einzuschätzen, wie hoch der Realzins sein muss – in den frühen 1990ern betrug er in Deutschland etwa 5%. Wegen der recht niedrigen deutschen Staatsverschuldung und der hohen Ersparnisse der Haushalte muss es diesmal nicht ganz so viel sein. Gemessen an alten deutschen Linkern ist der Realzins seit Beginn der Zinserhöhungen zwar langsam gestiegen, aber noch immer niedrig. Vor dieser Woche betrug er 0,5%. Anderswo sind die Realrenditen höher (etwa 1,2% in Frankreich, Großbritannien und den USA). Wenn die deutschen Realrenditen auf diesen Wert steigen, würde die nominale Zehnjahresrendite knapp 3,5% betragen (bei zurzeit 2,9%). Seit Beginn der internationalen Finanzkrise lagen die deutschen Anleihenrenditen nie über 3,5%.

EZB lockert weiter: Die künftige Zins- und Renditeentwicklung hängt auch von der EZB ab. Die Differenz zwischen der deutschen Zehnjahresrendite und dem EZB-Einlagensatz lag auch früher schon einmal bei über 3 Prozentpunkten. Selbst wenn die EZB ihren Leitzins nach den 25 Basispunkten vom März um weitere 50 Basispunkte senkt, könnten die Bundesanleihenrenditen durchaus auf 3,5% bis 5,0% steigen. Das ist zwar keine Prognose, aber Investoren müssen wissen, was alles passieren kann. Eine solche Entwicklung wäre sicherlich problematisch für europäische Länder mit schwächeren Staatsfinanzen. Die europäischen Länderspreads gegenüber Bundesanleihen sind letztes Jahr ebenso gefallen wie die Spreads von Unternehmensanleihen. Bei höheren Bundesanleihenrenditen würden auch in anderen Ländern die Renditen steigen, was neue Zweifel an der Nachhaltigkeit ihrer Staatsfinanzen auslösen könnte – vor allem, wenn auch sie mehr für Verteidigung ausgeben müssen. Bis jetzt sind die Spreads von Euro-Unternehmensanleihen stabil. Credit-Analysten müssen aber wissen, dass die Fremdkapitalkosten generell zulegen dürften.

Euro-denominierte Anleihen werden spannender: Vermutlich wird man am Markt mit einem Langfristzins rechnen, der keine neue Staatsschuldenkrise auslöst. Klug gewählte Emissionszeitpunkte und die Vergemeinschaftung der Schulden können die Folgen für die Märkte begrenzen. Vielleicht steigen die Bundesanleihenrenditen dann nicht über 3,0% und erst recht nicht über 3,5%. Anleihen können schnell reagieren, mit Verlusten vor allem bei Titeln mit einer langen Duration, während Kurzläufer wohl weniger betroffen wären. Wenn Credits generell stabil bleiben, dürften kurz laufende Unternehmensanleihen laufzeitübergreifende Anleihenindizes bzw. Portfolios hinter sich lassen. Sobald man am Markt die Anpassung für abgeschlossen hält, sind Anleihen wohl wieder attraktiv. 1990 sind die deutschen Anleihenrenditen um 170 Basispunkte gestiegen, 1991 fielen sie um 100 Basispunkte und 1992 um weitere 70. Steigende Anleihenrenditen schaden Aktien und sind auch nicht gut für das Wirtschaftswachstum (und für feste Wechselkurse). Irgendwann können sie aber für attraktive Anleihenerträge sorgen.

Aktiengewinne weniger wahrscheinlich: Der Aktienmarktausblick bereitet mir etwas mehr Sorgen. Große Veränderungen des Welthandels und der politischen Beziehungen haben in den USA und anderen Ländern Auswirkungen auf die Unternehmen, mit der Folge fallender Bewertungen. Natürlich hat man gut reden, wenn der S&P 500 seine Gewinne nach Trumps Wahlsieg gerade wieder abgegeben hat. Der Index notiert aber noch immer um 13% bis 15% höher als vor einem Jahr. Anleger wetten aber nicht mehr auf die Politik, und es ist Wunschdenken, wenn man mit einer anhaltenden Hausse rechnet. Trump wird immer eine Quelle der Unsicherheit bleiben. Weitere Risikofaktoren sind die Ukraine, die amerikanischen Beziehungen zur EU, zu China und Russland und Trumps fragwürdige Haltung zu Kanada, Grönland und dem Panamakanal. Die Politik bleibt ein Risikofaktor, und die Märkte bleiben volatil.

Trump sorgt für Turbulenzen, überall: Auch wenn immer wieder anderes behauptet wird, glaube ich, dass Trump die Aktienkurse wichtig sind. Als Trump Trade bezeichnet man die Erwartung, dass seine inflationstreibende Politik Aktienkurse und Anleihenrenditen steigen lässt. Sein Rückzieher bei den Zöllen für Automobilhersteller ist der Erkenntnis geschuldet, dass Zölle Lieferketten wirklich stören können, was letztlich nicht ohne Auswirkungen auf BIP und Beschäftigung bliebe. Unterdessen ist das US-Handelsbilanzdefizit im Januar enorm gestiegen, weil viele Importe vorgezogen wurden. Die Verzerrungen der Konjunkturdaten könnten vorübergehen, aber die Stimmung der nervösen Händler und Marktbeobachter hat sich schnell geändert. Jetzt rechnet man am Markt damit, dass die Fed ihren Leitzins dieses Jahr dreimal senkt und das Zinsminium am Ende 3,3% beträgt. Ich glaube, dass die Anleihenrenditen irgendwann unter 4,0% fallen, sodass die Differenz zwischen den amerikanischen und den europäischen Renditen weiter nachlässt. Das könnte auch den Dollar abwerten lassen.

In Trumps neuer Welt haben Menschen wie ich immer wieder etwas zu schreiben. Dennoch sollte man sich von den täglichen Nachrichten aus dem Weißen Haus nicht zu sehr irritieren lassen und stattdessen eine klare Sicht auf die Märkte behalten. Das ist nicht einfach. Einstweilen dürfte nichts über eine gesunde Risikoaversion gehen, bis wir bei den wichtigsten weltpolitischen Entwicklungen klarer sehen. Der amerikanische Wachstumsausblick wird infrage gestellt – gut für US-Staatsanleihen und schlecht für den S&P 500. Die europäischen Wachstumserwartungen könnten unterdessen angehoben werden – schlecht für Bundesanleihen und gut für den EuroStoxx. Wenn es doch nur so einfach wäre. Fortsetzung folgt.

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