03.03.2020 14:24:00
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Wissenschaftler: Wohnen ist ein öffentliches Gut
Die Preisentwicklung am Immobilienmarkt in den vergangenen Jahren untermauert die an den Pranger gestellte immense Verteuerung von Mieten und Eigentum: Zwischen 2005 und 2018 hätten sich die Kaufpreise in Österreich fast verdoppelt (plus 91 Prozent), die Mieten seien um fast 48 Prozent gestiegen, doch die Lohneinkommen hätten sich im Median um nur knapp 29 Prozent erhöht, betonte Selim Banabak vom Institut für Raumplanung der TU Wien unter Verweis auf Daten der Statistik Austria. "Die Schere geht vor allem ab 2010 auseinander, also vor allem in der Nachkrisenphase", so Banabak. "Wir haben ein Leistbarkeitsproblem bei den Niedrigeinkommen." Es gäbe die Möglichkeit, die Mindesteinkommen zu erhöhen. Die Arbeits- und Sozialpolitik könne nicht abgetrennt von der Wohnpolitik betrachtet werden.
Die Architektin und Professorin Gabu Heindl, die derzeit auch in London unterrichtet, verwies darauf, dass die Mietkauf-Option bei geförderten Wohnungen in Wien derzeit international für Kopfschütteln sorge. "International weiß man, dass man öffentlich geförderte Wohnungen nicht verkauft." Das zerreiße auch die Häuser und mache sie unglaublich schwer zu verwalten." "Dieser Mietkauf muss abgeschafft werden", formulierte sie ihren dringendsten Appell an die Bundesregierung. "Den Grünen kann es kein Anliegen sein, dass Sozialwohnungen verkauft werden." Weiters riet Heindl dazu, das derzeitige Modell der befristeten Mietverträge abzuschaffen und bodenpolitische Maßnahmen zu ergreifen, um Grundstücksspekulationen zu verhindern. Die Politik müsse Wohnen als öffentliches Interesse erkennen. "Sich um menschenwürdiges Wohnen zu kümmern, ist Aufgabe der Politik."
"Beim Thema Wohnen handelt es sich um ein brennendes gesellschaftliches Problem - die Wohnraumversorgung für die Bevölkerung wird mittlerweile zunehmend Marktkräften überlassen", kritisierte Krenn und rief die Politik zum Handeln auf. Wünschenswert seien eine Rücknahme der Lagezuschläge - Stichwort öffentliches Gut - sowie strenge Kategoriemietzinse. Die "gute Lage" sei etwas, das die Stadt schaffe, bekräftigte Heindl.
Als weiteres Problem wurde die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank geortet: "Der internationale Trend der Steigerung der Wohnungspreise durch die Niedrigzinspolitik auf europäischer Ebene trägt nicht zur Leistbarkeit des Wohnens bei, sondern erschwert diese", analysierte die Makroökonomin Elisabeth Springler von der Fachhochschule für Wirtschaft Management und Finance bfi Wien die Einflüsse des Finanzmarktes auf die Wohnpreisentwicklung.
Die niedrigen Zinsen lassen die Nachfrage nach Krediten sowie nach Immobilien steigen, was wiederum die Preise treibt, umriss sie den Mechanismus und kritisierte vor allem das spekulative Element am Trend zum Betongold: "Sinkt das Zinsniveau, wird Wohnraum im Gegensatz zu anderen Veranlagungen attraktiver." Die Geldpolitik gewinne einen Aspekt, den sie eigentlich gar nicht habe - eine sozialpolitische Komponente. Dabei sollte sie eigentlich nur die Konjunktur ankurbeln. "Konjunkturpolitik sollte man mit Fiskal und Lohnpolitik betreiben, nicht mit Geldpolitik."
Wohnen sei aber "ein notwendiges Gut, das jeder Haushalt braucht und das nicht vermeidbar ist", strich Springler hervor. Doch "durch die Tendenz, Wohnungen als Anlageform zu betrachten orientiert sich die Bewirtschaftung an den kurzfristigen Renditen am Markt", so Krenn.
"Leistbarkeit" ist den Angaben der Experten zufolge definierbar: "Etwa 30 Prozent des Haushaltseinkommens markieren die Schwelle der zumutbaren Wohnkosten", gab der Soziologe Christoph Reinprecht von der Universität Wien als Richtschnur an. "Und wir erleben derzeit einen Anstieg dieser Schwelle." Eine nähere Betrachtung der Wohnkostenbelastung in der Wiener Seestadt Aspern habe aber ergeben, dass sie bei etwa der Hälfte der Befragten zwischen 30 und 60 Prozent des Haushaltseinkommens liege, und bei 25 Prozent sogar über 40 Prozent. "Wir erreichen gewissermaßen eine Schieflage."
Der Soziologe schlägt vor, den geförderten Wohnbau in der bestehenden Form auszubauen, "ergänzt um einen noch stärkeren universellen Charakter", also nicht nur für Armutsgefährdete. Weiters solle den Transaktionskosten bei einem Umzug, sprich den Kautionskosten und Vermittlungsgebühren politisch der Kampf angesagt werden. "Ideal wäre ein Wohnungsmarkt, der 'inklusiv' ist und auch Mobilität erlaubt."
Vermögensaufbau durch Eigentum sei "nur dann interessant, wenn Sie Vermögen haben", riet Reinprecht vom Eigentumserwerb auf Kredit in der gegenwärtig extrem niedrigen Zinsphase ab. "Beim Eigentum wird eine Illusion verkauft - in Wirklichkeit kaufen Sie einen Kredit mit langfristigen Investitionszwängen" - denn spätestens nach 20 bis 30 Jahren müsse man wieder höhere Summen in das Objekt investieren. "Wir haben einen sehr großen Anteil in der Bevölkerung, der gar nicht das Vermögen hat, das Eigentum abzusichern", so der Soziologe. Etwa 60 Prozent der Bevölkerung seien in einer Situation, wo sie diese Investitionen nicht mehr finanzieren könnten.
(Schluss) kre/itz
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