Steuerrückforderungen 21.07.2020 18:06:00

Wirecard-Pleite kann teuer für den Staat werden - Wirecard-Aktie legt zweistellig zu

Wirecard-Pleite kann teuer für den Staat werden - Wirecard-Aktie legt zweistellig zu

Grund sind mögliche Steuerrückforderungen in Millionenhöhe. Denn da der Wirecard-Vorstand die Bilanzen mit sehr wahrscheinlich erdichteten Umsätzen und Gewinnen aufblähte, hat das Unternehmen auch zu hohe Steuern gezahlt. Die nachträgliche Korrektur von Steuerbescheiden aber ist in solchen Fällen gängige Praxis, wie es bei Steueranwälten und Insolvenzverwaltern heißt.

Der vom Münchner Amtsgericht bei Wirecard eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter Michael Jaffé ist noch mit dem Insolvenzgutachten beschäftigt und nimmt zu seinen Plänen nicht Stellung. Doch haben Insolvenzverwalter die Pflicht, die Masse zu wahren und nach Möglichkeit zu mehren, damit die Gläubiger eines insolventen Unternehmens so viel wie möglich von ihrem Geld wiedersehen.

Steuerrechtsexperten verweisen auf Paragraf 41 Absatz 2 der Abgabenordnung: "Scheingeschäfte und Scheinhandlungen sind für die Besteuerung unerheblich", heißt es dort. Salopp formuliert: Nicht existente Gewinne und Umsätze werden auch nicht besteuert.

"Bei Scheingewinnen stellt sich die Frage, ob nicht die Jahresabschlüsse wegen offenkundig falscher Zahlen und nachfolgend die Steuererklärungen und Steuerbescheide auch ohne Vorbehalt der Nachprüfung zu korrigieren sind", sagt Marc d'Avoine, Leiter des Ausschusses Steuern und Bilanzierung beim Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands. "Die Antwort ist eindeutig ja. (...) Unsere Aufgabe ist es, Scheingewinne zu korrigieren."

Bei Wirecard geht es in dieser Hinsicht um große Summen: Der Konzern hat ausweislich seiner Bilanzen von 2015 bis 2018 knapp 160 Millionen Euro Ertragsteuern gezahlt. Die Umsatzsteuer macht ebenfalls erhebliche Beträge aus, wird aber in den Gewinn- und Verlustrechnungen von Aktiengesellschaften nicht ausgewiesen.

Auch ganz unabhängig vom Fall Wirecard sind bei Insolvenzen Diskussionen mit den Finanzämtern an der Tagesordnung, wie d'Avoine berichtet. In fast allen Insolvenzfällen weicht das Bilanzbild demnach von der tatsächlichen Ertrags- und Geschäftslage des Unternehmens ab, wie sie sich vor dem Insolvenzantrag darstellte. "Sehr oft stellt sich heraus, dass ein Unternehmen gar keine Gewinne machte, sondern rote Zahlen schrieb", sagt der Wuppertaler Rechtsanwalt. "Manchmal gibt es Klagen vor den Finanzgerichten, aber sehr oft verständigen sich Insolvenzverwalter und Finanzamt einvernehmlich."

Das bedeutet keineswegs, dass die Finanzämter in derartigen Fällen Steuern zurückzahlen und ansonsten das Management ungeschoren davonkommen lassen. "Wenn ein Unternehmen oder die Bilanzprüfer merken, es ist zu viel angegeben worden, bekommen Sie immer eine Verschuldensdiskussion", sagt die Frankfurter Steueranwältin Patricia Lederer. "Die Frage ist dann, ob Vorstand oder Mitarbeiter das hätten erkennen können oder müssen." Bei falschen Steuererklärungen habe die Unternehmensleitung eigentlich "nur Aussicht auf eine Haftungsfreistellung, wenn sie nachweisen kann, dass Mitarbeiter ohne ihr Wissen agiert haben und dass sie die Mitarbeiter sorgfältig ausgesucht und laufend kontrolliert hat."

Bei falschen Steuererklärungen "verschicken die Finanzämter häufig Haftungsbescheide an die Verantwortlichen, die das verbrochen haben", wie die Steuerrechtlerin sagt. Es hilft den Betreffenden unter Umständen auch nichts, wenn sie ihr Vermögen Ehefrau oder Kindern überschreiben: "Das kann sogar Familienmitglieder treffen, wenn die Manager ihnen Immobilien oder andere Vermögenswerte übertragen haben. Sowohl Finanzämter als auch einzelne Gläubiger können Übertragungen anfechten", sagt Lederer.

Auch Unternehmenssteuern unterliegen dem Steuergeheimnis, weswegen sich das bayerische Finanzministerium zum konkreten Einzelfall Wirecard nicht äußert. Ganz allgemein gesprochen bestätigt das Ministerium jedoch, dass Korrekturen der Steuerbescheide möglich sind: "Im Falle zu hoch erklärter Einkünfte kommt eine Änderung erlassener Steuerbescheide grundsätzlich in Frage, solange die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten und im betreffenden Fall ein Änderungstatbestand erfüllt ist."

Kanzleramt anscheinend im August 2019 zu Wirecard informiert

Das Bundesfinanzministerium hat einem Medienbericht zufolge erklärt, das Kanzleramt vor einer China-Reise von Kanzlerin Angela Merkel zum Fall Wirecard informiert zu haben. "Am 23. August 2019 hat das Bundesfinanzministerium auf Anfrage des Kanzleramts per E-Mail verschiedene Informationen zum Fall Wirecard weitergegeben", zitierte der "Spiegel" am Dienstag einen Sprecher des Ministeriums. "Das Bundesministerium der Finanzen hat an das Bundeskanzleramt auf Arbeitsebene auf - im Übrigen öffentlich bekannte - Vorwürfe gegen das Unternehmen Wirecard hingewiesen." Das Finanzministerium äußerte sich auf Anfrage zunächst nicht zu dem Bericht.

Der mutmaßliche Betrugsskandal beim inzwischen insolventen DAX-Konzern Wirecard hatte die Bundesregierung zuletzt in Erklärungsnot gebracht. Zentrale Fragen sind, wann genau die Bundesregierung von den Vorgängen beim Zahlungsabwickler Wirecard wusste und ob sie zu wenig dagegen unternommen hat. Es geht auch darum, ob die Bundesregierung womöglich Wirecard unterstützte, obwohl der Verdacht von Unregelmäßigkeiten bereits im Raum stand.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) thematisierte nach Angaben einer Regierungssprecherin bei ihrer China-Reise im September 2019 das Thema Wirecard. "Sie hat es angesprochen", sagte die Sprecherin am Montag. Es ging damals um einen beabsichtigten Markteintritt von Wirecard in China.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz war einem Bericht seines Ministeriums zufolge schon seit dem 19. Februar 2019 darüber informiert, dass die Finanzaufsichtsbehörde Bafin den Fall Wirecard "wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Verbot der Marktmanipulation" untersucht.

Wirecard hatte im vergangenen Monat zuerst Luftbuchungen in Höhe von mutmaßlich 1,9 Milliarden Euro eingeräumt und wenig später Insolvenz angemeldet.

Altmaier will zu Wirecard "in aller Ausführlichkeit" sprechen

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat seine Teilnahme an der Sondersitzung des Finanzausschusses zum Wirecard-Skandal zugesichert. "Ich werde das gerne wahrnehmen und werde alle Auskünfte geben, die gewünscht werden", sagte Altmaier in Berlin. Die Rücksicht auf das Parlament gebiete es, "dass ich mich dort äußern werde, und zwar in aller Ausführlichkeit und in allen Details".

Der Finanzausschuss des Bundestags hatte sowohl Altmaier als auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) geladen, um über die Vorgänge bei dem DAX-Konzern zu sprechen. Die Sondersitzung soll am Mittwoch kommender Woche (29. Juli) stattfinden.

Finanzministerium informierte Kanzleramt vor China-Reise über Wirecard

Im Bilanzskandal um den Dax-Konzern Wirecard richtet sich die Aufmerksamkeit zunehmend aufs Bundeskanzleramt. Das Bundesfinanzministerium teilte mehreren Medien mit, es habe vor einer China-Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Informationen an ihr Haus weitergegeben. Laut "Spiegel" kamen dabei auch Vorwürfe gegen Wirecard zur Sprache. Die Linke will nun Merkel im Finanzausschuss des Bundestags befragen.

Am Wochenende war bekannt geworden, dass sich das Kanzleramt auf der China-Reise Anfang September 2019 für Wirecard und den Markteintritt des Unternehmens in dem Land eingesetzt hatte. Wie das Bundesfinanzministerium dem Spiegel und der Süddeutschen Zeitung mitteilte, hatte das Ressort von Olaf Scholz (SPD) "am 23. August auf Anfrage des Kanzleramts per E-Mail verschiedene Informationen zum Fall Wirecard weitergegeben".

Mitgeteilt wurde dem Kanzleramt nach Spiegel-Informationen etwa, dass Wirecard in den Fokus diverser Aufsichtsbehörden gerückt war. "Das Bundesministerium der Finanzen hat an das Bundeskanzleramt auf Arbeitsebene auf - im Übrigen öffentlich bekannte - Vorwürfe gegen das Unternehmen Wirecard hingewiesen", erklärte ein Ministeriumssprecher demnach. Am Dienstag wollte sich das Finanzministerium auf Nachfrage nicht zu dem Vorgang äußern.

Linken-Chefin Katja Kipping forderte Aufklärung von Merkel persönlich. Die Kanzlerin müsse in der für kommende Woche angesetzten Sondersitzung des Finanzausschusses Auskunft darüber geben, "was genau sie gewusst hat" und "welche Konsequenzen sie daraus gezogen hat", erklärte Kipping.

Die Sondersitzung des Finanzausschusses während der parlamentarischen Sommerpause ist für Mittwoch kommender Woche angesetzt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will dabei persönlich Rede und Antwort stehen. Er wolle den Abgeordneten "alle Auskünfte geben, die gewünscht werden", sagte er. Altmaiers Ministerium hat die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer, die Bilanzfälschungen bei Wirecard offenbar lange nicht entdeckten.

Auch Bundesfinanzminister Scholz wurde in die Sitzung eingeladen. Er plant offenbar ebenfalls, persönlich teilzunehmen. Scholz habe bereits vergangene Woche angeboten, in einer Sondersitzung des Finanzausschusses "den Sachstand zu erläutern", hatte ein Sprecher des Finanzministeriums am Montag gesagt.

Für die Organisation Lobbycontrol sind die verschiedenen Verbindungen zwischen Wirecard und der Bundespolitik ein Indiz für Reformbedarf im Hinblick auf Lobby-Aktivitäten. "Deutlicher kann man nicht machen, warum eine Demokratie maximale Transparenz beim Lobbyismus braucht", erklärte Timo Lange von Lobbycontrol. "Der Fall zeigt, welch zerstörerische Durchschlagskraft Lobbyismus haben kann."

Lange verwies auf die Pläne der Koalitionsfraktionen, vor Jahresende ein verbindliches Lobbyregister einzuführen. "Die aktuellen Skandale unterstreichen, wie wichtig es ist, dass ein Lobbyregister auch Lobbyarbeit gegenüber der Bundesregierung, Ministerien und Kanzleramt erfasst", mahnte er. "Eine Schmalspurlösung, die nur den Bundestag betrifft, reicht nicht aus."

Die Wirecard-Aktie setzte ihre Achterbahnfahrt auch am Dienstag fort: Im XETRA-Handel ging es schlussendlich um 16,36 Prozent auf 1,80 Euro nach oben.

(dpa-AFX)/Dow Jones Newswires

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Bildquelle: Wirecard,Wirecard AG

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