Kreditverlust droht |
19.06.2020 17:57:00
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Wirecard-Aktie rauscht ins Bodenlose: Vorstand Braun tritt zurück
Eigentlich sollte Wirecard am Donnerstag die mehrfach verschobene Veröffentlichung des Jahresabschlusses nachholen. Daraus wurde nichts, denn für das Testat, das die Wirtschaftsprüfer dem Abschluss vor der Veröffentlichung hätten geben müssen, fehlten entscheidende Belege. Knackpunkt sind Bankguthaben über 1,9 Milliarden Euro, was einem Viertel der Bilanzsumme des Konzerns entspricht.
"Wir sind von unserem Abschlussprüfer EY in Deutschland darüber informiert worden, dass ein Bestätigungsvermerk für den Jahresabschluss 2019 aufgrund unberechtigter Bankbestätigungen weitere Prüfungshandlungen erfordert", sagte Braun in dem Video. Dies sei auf Mitteilungen von zwei Banken, die Treuhandkonten verwalten, an EY zurückzuführen.
"Laut EY gibt es Hinweise darauf, dass den Wirtschaftsprüfern von einem Treuhänder oder aus dem Bereich dieser Banken zu betrügerischen Zwecken falsche Saldenbestätigungen vorgelegt wurden", so Braun weiter. "Der Treuhänder, der seit 2019 mandatiert ist, steht im ständigen Kontakt mit den Banken und der Wirecard AG. Es ist derzeit unklar, warum die beiden Banken den Wirtschaftsprüfern gegenüber erklärt haben, dass die Bestätigungen gefälscht sind. Der Treuhänder hat der Wirecard AG angekündigt, dass er den Sachverhalt kurzfristig mit den beiden Banken klären wird", sagte Braun weiter.
Die Anleger hatten am Donnerstag ein vernichtendes Urteil über Wirecard gefällt und der Aktie des DAX-Konzerns am Donnerstag einen beispiellosen Einbruch von über 60 Prozent beschert.
Philippinische Bank: Wirecard-Treuhandkonto existiert bei uns nicht
Die Indizien für einen für einen Betrugsfall von großem Ausmaß um Wirecard scheinen sich zu verdichten. Die philippinische Bank BDO Unibank, bei der angeblich eines von zwei fraglichen Treuhandkonten für Wirecard geführt wurde, erklärte am Freitag, dass das deutsche Unternehmen kein Kunde sei: "Das Dokument, in dem die Existenz eines Wirecard-Kontos bei BDO behauptet wird, ist ein manipuliertes Dokument, das gefälschte Unterschriften von Bankangestellten trägt", hieß es in der Stellungnahme des in der Stadt Makati ansässigen südostasiatischen Geldhauses. "Der Fall ist an die Zentralbank der Philippinen berichtet worden." Zuvor hatte die US-Nachrichtenagentur Bloomberg über die Stellungnahme berichtet.
Im Mittelpunkt des Bilanzskandals stehen zwei asiatische Banken und ein Treuhänder, der seit Ende vergangenen Jahres für Wirecard die Konten verwaltet. Auf den Konten waren angeblich 1,9 Milliarden Euro verbucht. Die für Wirecard tätigen Bilanzprüfer bezweifeln jedoch mittlerweile, dass diese 1,9 Milliarden Euro tatsächlich existieren. Wirecard selbst fürchtet einen "gigantischen" Milliardenbetrug und will Strafanzeige erstatten, teilte das Unternehmen am Donnerstag mit. Am Freitagmorgen war Wirecard allerdings für Rückfragen zunächst nicht zu erreichen.
Wirecard droht Verlust von Milliardenkrediten
Dem in einen Bilanzskandal verwickelten DAX-Konzern Wirecard droht der Verlust von Milliardenkrediten. Wenn das Unternehmen heute (Freitag) keinen von Wirtschaftsprüfern testierten Jahres- und Konzernabschluss vorlegt, könnten Kredite von etwa zwei Milliarden Euro gekündigt werden. Das hatte der Zahlungsdienstleister am Donnerstag bekannt gegeben.
Wirecard wickelt bargeldlose Zahlungen für Händler ab, sowohl an Ladenkassen als auch online. Das Unternehmen ist seit über einem Jahr in Bedrängnis, seit die Londoner "Financial Times" dem Management in einer Serie von Artikeln Bilanzmanipulationen vorwarf. Am Donnerstag hatte Wirecard schließlich offenbart, dass die Bilanzprüfer Zweifel an der Existenz von 1,9 Milliarden Euro haben, die auf Treuhandkonten in Asien verbucht wurden.
Der Aufsichtsrat des bedrängten Unternehmens hatte am Donnerstagabend noch Vorstandsmitglied Jan Marsalek kalt gestellt, der als Vertrauter Brauns gilt. Marsalek war für das Tagesgeschäft verantwortlich und ist nun vorerst suspendiert. Stattdessen hat der Aufsichtsrat nun mit sofortiger Wirkung den US-Manager James Freis berufen, der für die Rechtstreue zuständig sein soll. Eigentlich hätte Freis seinen Posten erst am 1. Juli antreten sollen.
Die Aktie befindet sich seit Donnerstag im freien Fall. Nachdem es vorbörslich noch nach Kursgewinnen ausgesehen hatte, büßte die Wirecard-Aktie im XETRA-Handel am Freitag erneut 35,29 Prozent auf 25,82 Euro ein.
Am Donnerstag waren sie bereits um fast 62 Prozent in die Tiefe gerauscht, nachdem Wirecard wegen milliardenschwerer Unklarheiten in der Bilanz seinen Jahresabschluss erneut nicht vorlegt hatte. Das war der zweitgrößte Tagesverlust eines DAX-Titels in der fast 32-jährigen Geschichte des deutschen Leitindex.
Unregelmäßigkeiten in der Bilanz stellen für einen Zahlungsabwickler wie Wirecard den wohl größten anzunehmenden Unfall, den GAU schlechthin dar, kommentierte Analyst Jochen Stanzl vom Broker CMC Markets.
Die Bilanzprüfer haben Zweifel an der Existenz von 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten in Asien verbucht worden sein sollen. "Müssen die 1,9 Milliarden abgeschrieben werden, ist der Nettogewinn der vergangenen zehn Jahre futsch", rechneten die Autoren des täglichen Bernecker-Börsenbriefs aus.
Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun sieht das Unternehmen derweil womöglich in einen Betrugsfall verstrickt. Allerdings gibt es schon länger Kritik an den Bilanzen des Konzerns, die auch eine Sonderprüfung durch die KPMG nicht hatte ausräumen können.
Analysten wie Mirko Maier von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hatten sich verwundert gezeigt über die erneute Verschiebung der Bilanzvorlage. Noch am 25. Mai habe Wirecard kommuniziert, dass für die Bilanz 2019 ein uneingeschränktes Testat erwartet werde, erklärte Maier in einer Studie. Insofern überrasche die Meldung mit den Täuschungsvorwürfen. Immer mehr Analysten äußern sich kritisch zu dem Zahlungsabwickler und raten zum Verkauf oder setzen die Bewertung erst einmal aus. Letzteres tat auch Maier.
Sollte der Zahlungsabwickler auch an diesem Freitag keinen testierten Abschluss präsentieren, droht die Kündigung von Krediten in Höhe von etwa zwei Milliarden Euro. Experten zweifeln allerdings, dass die Kreditgeber so einfach den Stecker ziehen würden, da dies auch Belastungen für andere Banken zur Folge haben könnte. "Werden die Kredite fällig gestellt, ist fraglich, ob die Liquidität reicht. Es geht schlicht ums Überleben", hieß es im Bernecker-Börsenbrief.
Aktuelle Analystenkommentare zu Wirecard fallen verheerend aus. Am Freitag stufte die Investmentbank Oddo BHF die Papiere von "Neutral" auf "Reduce" ab und strich das Kursziel von 120 auf 35 Euro zusammen. Analyst Stephane Houri sprach von einer "großen Katastrophe". Kurzfristig könnten - je nachdem wie die Banken sich verhalten - auch Liquiditätsprobleme nicht ausgeschlossen werden.
Geschäftsführer Braun tritt mit sofortiger Wirkung zurück
Wirecard-Vorstandschef Markus Braun tritt im Zuge des Bilanzskandals bei dem DAX-Konzern mit sofortiger Wirkung zurück. Interims-Chef wird der erst am Vorabend in den Vorstand berufene US-Manager James Freis, wie Wirecard am Freitag in München mitteilte. Braun hat den in Not geratenen Konzern nach seinen Worten aus eigenem Antrieb verlassen. Wirecard habe ein exzellentes Geschäftsmodell, herausragende Technologie und ausreichende Ressourcen für eine große Zukunft, schrieb Braun am Freitag in einer auf Englisch verfassten persönlichen Erklärung an Mitarbeiter und Aktionäre. "Ich will diese Zukunft nicht belasten."
Er habe den Vorsitzenden des Aufsichtsrats am Vormittag über seine Entscheidung informiert. "Mit meiner Entscheidung respektiere ich die Tatsache, dass die Verantwortung für alle geschäftlichen Transaktionen beim Vorstandschef liegt."
Aktionärsvertreter hatten den Rücktritt Brauns mehrfach gefordert, um rasch für Aufklärung zu sorgen. Auch droht eine Klagewelle. Auch Anleihe-Investoren bekommen kalte Füße, der Kurs der einzigen Wirecard-Anleihe ist ebenfalls stark gesunken. Zudem zeigen Finanzinstrumente, mit denen Anleger sich gegen einen Ausfall der Anleihe absichern können, dass Investoren einen Zahlungsausfall fürchten.
Wirecard: Konstruktive Gespräche mit kreditgebenden Banken
Wirecard verhandelt mit seinen Banken über die weitere Gestaltung der Geschäftsbeziehungen. Das Unternehmen befinde sich in konstruktiven Gesprächen mit seinen kreditgebenden Banken hinsichtlich der Fortführung der Kreditlinien und der weiteren Geschäftsbeziehung, wie Wirecard am Freitagnachmittag in Aschheim bei München mitteilte.
FRANKFURT (Dow Jones)/ASCHHEIM (dpa-AFX)/MÜNCHEN (dpa-AFX)
MÜNCHEN (dpa-AFX)
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