Wirecard-Debakel 30.06.2020 21:33:00

Wirecard-Aktie erneut stark: Wirecard darf Zahlungsdienste in UK wieder aufnehmen - Wiener Staatsanwaltschaft ermittelt - Vertrag mit Braun gekündigt

Wirecard-Aktie erneut stark: Wirecard darf Zahlungsdienste in UK wieder aufnehmen - Wiener Staatsanwaltschaft ermittelt - Vertrag mit Braun gekündigt

Die Finanzmarktaufsicht FCA gab am späten Montagabend grünes Licht für den Münchener Konzern, elektronische Zahlungen in Großbritannien wieder abzuwickeln. Die Kunden könnten ihre Karten wie üblich nutzen, so die Behörde. Die FCA wolle die Geschäfte von Wirecard eigenen Angaben zufolge aber genau im Auge behalten.

Die Finanzmarktaufsicht hatte vergangenen Freitag der Wirecard Card Solutions Ltd mit sofortiger Wirkung alle regulierten Aktivitäten untersagt. Zudem hatte die FCA ein Verbot ausgesprochen, Gelder und Vermögenswerte zu verschieben. Der Wirecard-Mutterkonzern hatte am Donnerstag einen Insolvenzantrag gestellt.

Wirecard wird wohl auch Fall für Wiener Staatsanwälte

Im Wirecard-Bilanzskandal haben die ehemaligen Vorstände des insolventen Zahlungsdienstleisters nun auch in Österreich eine Anzeige am Hals. Bei der Wiener Staatsanwaltschaft wurde eine Anzeige wegen des Verdachts der Marktmanipulation und des schweren Betrugs eingebracht, sagte ein Sprecher der Behörde am Dienstag zur Nachrichtenagentur Reuters.

Die Anzeige richte sich gegen Ex-Wirecard-Chef Markus Braun sowie das frühere Vorstandsmitglied Jan Marsalek, der Medienberichten zufolge derzeit per Haftbefehl gesucht wird. Beide Beschuldigten sind Österreicher. Die Kanzlei von Marsaleks Anwalt wolle sich nicht dazu äußern. Brauns Anwalt war zunächst für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Ob die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen wird, steht derzeit noch nicht fest. Es sei aber davon auszugehen, dass der Fall an die Wirtschaft- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSta) weitergegeben wird, sagte der Sprecher der Behörde.

Eingebracht wurde die Strafanzeige am Montag vom Wiener Anwalt Jörg Zarbl, der vor allem einen Aktienkauf von Braun als problematisch erachtet, wie er zu Reuters sagte. Braun hatte Mitte Mai Wirecard-Aktien für 2,5 Mio. Euro erworben und damit der Aktie zu einem Kurssprung verholfen. Laut Zarbl habe der frühere Wirecard-Chef etwa zeitgleich einen Kredit über 120 Mio. Euro aufgenommen sowie zwei österreichische Immobilien belehnt. Das hätten Recherchen in den Grundbüchern ergeben, sagte Zarbl. "Aus meiner Sicht wäre hier zur prüfen, ob man nicht mit Absicht positive Signale an den Markt setzen wollte".

Auch die deutsche Finanzaufsicht BaFin nimmt den Aktienkauf wegen eines möglichen Verstoßes gegen Insiderhandels-Vorschriften unter die Lupe. Brauns Investmentvehikel - die MB Beteiligungsgesellschaft - erklärte, die kapitalmarktrechtlichen Vorgaben seien uneingeschränkt eingehalten worden.

Wirecard hatte am Donnerstag Insolvenz angemeldet, nachdem ein Loch von 1,9 Mrd. Euro in der Bilanz bekannt wurde. In München laufen bereits Ermittlungen. Braun wurde verhaftet und ist auf Kaution wieder freigelassen worden.

Wirecard-Kollaps würde Handel nicht in größerem Ausmaß treffen

Ein Ende des Betriebs bei dem von einem Bilanzskandal erschütterten Zahldienstleister Wirecard würde den deutschen Einzelhandel wohl nicht in größerem Ausmaß treffen. Das seit Montag unter Regie des vorläufigen Insolvenzverwalters stehende Unternehmen hat nach Daten des Handelsforschungsinstituts EHI Retail Institute nur einen relativ geringen Marktanteil bei Kreditkartenzahlungen.

Für die Girocard als meist genutztes bargeldloses Zahlungsmittel habe Wirecard keine Netzbetreiberlizenz, sagte Horst Rüter, Leiter des Forschungsbereichs Zahlungssysteme und Mitglied der Geschäftsleitung. Auch bei elektronischen Lastschriftverfahren sei Wirecard nicht vertreten, sagte Rüter am Dienstag auf Anfrage.

Zahlungen per Kreditkarte dagegen laufen durchaus über Wirecard. Doch spielen Kreditkarten laut EHI bei den Zahlungsarten im Einzelhandel mit einem Anteil von 7,6 Prozent eine untergeordnete Rolle - und Wirecard hat in dieser Hinsicht ohnehin keine dominante Rolle.

"Wirecard ist nicht unter den größten Anbietern", sagte Rüter. "Der Anteil von Wirecard ist deutlich unter fünf Prozent." Mehrere Konkurrenten sind demnach deutlich größer, darunter Concardis, Payone und Wordline. Insolvenz beantragt hat bisher die Muttergesellschaft Wirecard AG, ausgenommen bleiben soll die Wirecard-Bank.

"Sowohl größere als auch kleinere Händler sind Kunden bei Wirecard", schrieb Birgit Janik, Leiterin Steuern, Finanzen und Controlling beim E-Commerce-Verband BEVH, in ihrer Antwort auf eine dpa-Anfrage. Demnach zieht der Insolvenzantrag von Wirecard im Handel Fragen und Herausforderungen nach sich - insbesondere für den Fall, dass der Insolvenzantrag mangels Masse abgelehnt werden sollte. "In diesem Fall haben die Händler keinen Vertragspartner mehr für den Zahlungsverkehr und die vereinbarten Zahlarten."

Im Gegensatz zum stationären Handel sei es im Onlinehandel häufiger üblich, mit mehreren Zahlungsdienstleistern zusammenzuarbeiten. "Auch die Umstellung auf einen anderen Dienstleister kann sehr kurzfristig erfolgen", schrieb Janik auf Anfrage.

Wirecard kündigt Vertrag von Ex-Vorstandschef Braun außerordentlich

Der Aufsichtsrat von Wirecard hat den Anstellungsvertrag des früheren Vorstandschefs Markus Braun außerordentlich gekündigt. Das teilte der in einen Bilanzskandal verwickelte Zahlungsabwicklungskonzern am Dienstag mit. Braun war wegen des Skandals am 19. Juni zurückgetreten. Wenige Tage später wurde er festgenommen, kam dann aber gegen Kaution wieder auf freien Fuß. Im Mittelpunkt des Skandals stehen 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten, die vermutlich nicht existieren. Am 25. Juni stellte Wirecard einen Insolvenzantrag./brd/DP/fba

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Wirecard-Aktie im Fokus

Die Wirecard-Aktie notierte am Dienstag via XETRA 75,77 Prozent im Plus bei 5,73 Euro. Im Tageshoch ging es bis auf 9,20 Euro hinauf. Die Anteile des von einem Bilanzskandal erschütterten Unternehmens werden immer mehr zu einem kurzfristigen Spekulationsobjekt. Am vergangenen Freitag hatten sie nur noch gut einen Euro gekostet.

Bereits am Montag konnten sie sich dann zwischenzeitlich mehr als verdreifachen - nach fast 99 Prozent Wertverlust binnen weniger Handelstage allerdings. Zum Vergleich: Vor gut zwei Monaten hatten die Aktien noch über 140 Euro gekostet und am Rekordhoch Anfang September 2018 kurz vor dem DAX-Aufstieg waren 199 Euro gezahlt worden.

Der Rauswurf von Wirecard aus dem DAX dürfte nach dem Quasi-Totalverlust spätestens im September erfolgen zur nächsten regulären Index-Überprüfung durch die Deutsche Börse. Nicht wenige Marktexperten schütteln darüber den Kopf und fordern den "Fast Exit", also den schnellen Ausschluss aus dem Leitindex. "Absurd, kein gutes Zeichen für die Aktienkultur hierzulande", so der Tenor.

Die Deutsche Börse reagierte am Vortag und kündigte eine Überarbeitung ihres Regelwerks für eine DAX-Mitgliedschaft an. Schneller ging der Rauswurf für Wirecard aus dem gesamteuropäischen Stoxx Europe 600: Ab diesem Dienstag sind sie darin nicht mehr enthalten.

Die heftigen Kurskapriolen der Wirecard-Aktie haben kaum noch fundamentale Gründe, sondern sind vielmehr ein Beleg dafür, dass das Papier auf niedrigem Niveau vor allem von Spekulanten gekauft wird, die auf eine rasche Erholung setzen und dann ebenso schnell wieder Kasse machen.

Von Adria Calatayud

LONDON (Dow Jones) / dpa-AFX

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Bildquelle: Wirecard AG,CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images

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