Strafanzeige gegen unbekannt |
18.06.2020 21:28:00
|
Wirecard-Aktie bricht massiv ein: Bilanzvorlage von Wirecard erneut geplatzt - Unklarheiten in Milliardenhöhe
Der Konzern muss seine bereits mehrfach - zuletzt auf diesen Donnerstag - verschobene Vorlage des Jahresabschlusses für 2019 daher erneut vertagen. Ein neues Datum steht noch nicht fest. "Der Vorstand arbeitet mit Hochdruck daran, den Sachverhalt in Abstimmung mit dem Abschlussprüfer weiter aufzuklären", hieß es. Sollte der Konzern einen testierten Abschluss bis Freitag (19. Juni) nicht vorlegen, könnten Kredite der Wirecard AG in Höhe von etwa zwei Milliarden Euro gekündigt werden, warnte das Unternehmen.
Wirecard-Aktien verlieren massiv auf Niveau von 2016
Im Börsenkrimi um Wirecard hat sich die Lage am Donnerstag weiter zugespitzt: Nachdem der Zahlungsdienstleister mitgeteilt hatte, dass er wegen milliardenschwerer Unklarheiten in der Bilanz seinen Jahresabschluss erneut nicht vorlegen kann, gingen die Aktien des Unternehmens in einen spektakulären Sturzflug über. Der Kurs der Wirecard-Aktie stürzte nach den Nachrichten via XETRA letztlich um 61,82 Prozent auf 39,90 Euro ab.
Dies ist auf Schlusskursbasis gerechnet der zweitgrößte prozentuale Tagesverlust, den je ein DAX-Wert erlitten hat. Die Marktkapitalisierung des Konzerns schmolz im Vergleich zum Schlusskurs am Mittwoch um rund 8 Milliarden auf 4,9 Milliarden Euro zusammen.
Im Tief war Wirecard an der Börse weniger als 4 Milliarden Euro wert. Das ist weniger als die Lufthansa, die gerade vom Staat vor dem Untergang gerettet werden soll und deren Abschied aus dem Dax bereits feststeht. Im vergangenen Jahr hatte Wirecard beim Börsenwert sogar die Deutsche Bank überflügelt. Jetzt liegt Deutschlands größtes Kreditinstitut mit einer Marktkapitalisierung von rund 17 Milliarden Euro bei einem Vielfachen des Zahlungsabwicklers aus Aschheim bei München.
Die beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hatte Wirecard darüber informiert, dass über die Existenz von Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro keine ausreichenden Prüfungsnachweise vorlägen. "Die Information von EY über das Fehlen von Prüfungsnachweisen über etwa 25 Prozent der Konzernbilanzsumme ist eine schallende Ohrfeige für die Aktionäre", sagte Marktexperte Andreas Lipkow von der comdirect Bank.
Wirecard hat es Lipkow zufolge "einfach nicht geschafft, den Sachverhalt vernünftig aufzuklären". Damit gehe der Bilanzskandal tatsächlich in eine neue Runde und die Rufe nach einer Überprüfung von Positionen im Vorstand dürften wieder lauter werden.
Bei dem DAX-Konzern waren bereits nach einer Sonderprüfung zu Bilanzfälschungsvorwürfen zentrale Fragen unbeantwortet geblieben. Die Wirtschaftsprüfer von KPMG meldeten in ihrem Bericht Ende April zu den Geschäftsjahren 2016 bis 2018, dass wesentliche Unterlagen fehlten - hauptsächlich zum Geschäft mit Drittfirmen. Deswegen konnten die KPMG-Prüfer auch nicht feststellen, ob den entsprechenden Buchungen auch reale Umsätze entsprechen.
Der Kurseinbruch erwischte die Anleger dennoch kalt. Vor der für diesen Donnerstag eigentlich geplanten und lang erwarteten Vorlage der mehrfach verschobenen Bilanz für 2019 waren die Anleger zwar nervös, aber mit einer derart negativen Überraschung hatte kaum einer gerechnet.
Analysten fanden deutliche Worte: "Das letzte noch vorhandene Fünkchen an Anlegervertrauen dürfte nun verspielt sein. Die Gesamtsituation bei Wirecard kann nur noch als unhaltbar bezeichnet werden", schrieb der Fachmann Wolfgang Donie von der NordLB.
Der Experte Adam Wood von der US-Investmentbank Morgan Stanley wies darauf hin, dass Kreditlinien gekündigt werden könnten, wenn das Testat der Wirtschaftsprüfer von EY nicht bis zum morgigen Freitag vorliegen sollte. Dies rücke die Liquidität des Konzerns in den Fokus.
Die Konsequenzen des Kursrutsches für Wirecard könnten nun weitreichend sein: Sollten sich die Anteilsscheine bis September nicht nachhaltig erholen, droht der Rauswurf aus der ersten Börsenliga. Zu diesem Schluss kommen Index-Experten. Als Nachfolger dürften sich der Aromen- und Duftstoffhersteller Symrise und der Online-Essenslieferanten Delivery Hero, einer der großen Profiteure in der Corona-Krise, ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern.
Treuhandkonten können nicht zugeordnet werden
Im Bilanzskandal bei Wirecard stehen nach Darstellung des DAX-Konzerns zwei asiatische Banken und ein Treuhänder im Mittelpunkt. Die beiden Geldhäuser haben Wirecard darüber informiert, dass die bei ihnen geführten Kontonummern für Wirecard-Treuhandkonten "nicht zugeordnet werden konnten", wie das Unternehmen am Donnerstag in Aschheim mitteilte.
Auf diese Konten haben Wirecard-Tochtergesellschaften demnach Sicherheitsleistungen von insgesamt 1,9 Milliarden Euro eingezahlt. "Ob betrügerische Vorgänge zum Nachteil der Wirecard AG vorliegen, ist derzeit unklar", erklärte Vorstandschef Markus Braun. "Die Wirecard AG wird Anzeige gegen unbekannt erstatten."
Wirecard kündigt wegen Bilanzunklarheiten Strafanzeige gegen unbekannt an
Der DAX-Konzern will im Bilanzskandal Strafanzeige gegen unbekannt erstatten, wie ein Sprecher am Donnerstag in München sagte. Das Unternehmen sehe sich als mögliches Opfer eines "gigantischen Betrugs".
Deutsche Börse prüft Einleitung eines Sanktionsverfahrens gegen Wirecard
Wirecard droht unterdessen angesichts der erneuten Verschiebung der Bilanzvorlage ein Sanktionsverfahren der Deutschen Börse. Wie in solchen Fällen üblich wird aufgrund der nicht fristgerechten Lieferung des Jahresfinanzberichts die Einleitung eines Sanktionsverfahrens geprüft, sagte ein Sprecher der Deutschen Börse der Finanznachrichtenagentur dpa-AFX.
Da Wirecard mit der erneuten Verschiebung des Jahresabschlusses allerdings erstmals gegen seine Börsenpflicht verstoßen habe, sei die Einleitung eines Sanktionsverfahrens aktuell aber eher unwahrscheinlich, hieß es von einem Insider. Sollte es doch dazu kommen, wäre der Sanktionsausschuss als unabhängiges Börsen-Organ zuständig, der auch etwaige Strafen festlegen würde. Die finanzielle Höchststrafe betrage eine Million Euro.
BaFin weitet Wirecard-Untersuchung aus
Die Finanzaufsicht BaFin weitet ihre laufende Untersuchung aus. "Selbstverständlich fließt der aktuelle Sachverhalt in unsere noch laufende Marktmanipulationsuntersuchung ein", erklärte eine Sprecherin der Behörde am Donnerstag in Bonn auf Anfrage.
Die BaFin ist seit vergangenem Jahr mit Wirecard beschäftigt. Die Finanzaufsicht prüft sowohl, ob Spekulanten den Markt zulasten von Wirecard manipuliert haben, als auch, ob der Wirecard-Vorstand Investoren mit zwei irreführenden Ad-hoc-Meldungen falsch informiert hat.
Wirecard sagt für Donnerstag geplanten Pressetermin zur Bilanzvorlage ab
Der in einen Bilanzskandal verwickelte DAX-Konzern Wirecard hat seine für diesen Donnerstag geplante Präsentation der Geschäftszahlen durch den Vorstand abgesagt. Ein neuer Termin werde noch bekannt gegeben, teilte das Unternehmen am Donnerstag mit, ohne ein Datum zu nennen. Vorstandschef Markus Braun wollte eigentlich am frühen Nachmittag sowohl Presse als auch Analysten informieren.
Anlegergemeinschaft SdK überlegt Sammelklage gegen Wirecard
Die Anlegergemeinschaft SdK prüft eine Sammelklage gegen Wirecard. Dabei geht es um Schadenersatzansprüche gegen das Unternehmen, dessen Aktien wegen Betrugsverdachts erheblich an Wert verloren haben. Die SdK organisiere hierfür "ein gemeinsames Vorgehen geschädigter Kapitalanleger", wie deren Vorstand am Donnerstag in München mitteilte.
Die SdK hat demnach bereits eine Anwaltskanzlei zurate gezogen. "Nach vorläufiger Einschätzung könnten mehrere mögliche Pflichtverletzungen durch den Vorstand der Wirecard AG und insbesondere auch den Abschlussprüfer der Gesellschaft vorliegen", hieß es in der Mitteilung.
Wirecard-COO suspendiert - Compliance-Vorstand kommt früher
Die abermalige Verschiebung des Jahresabschlusses der Wirecard AG und die Hinweise auf Bilanztäuschung haben personelle Konsequenzen. Wie der DAX-Konzern mitteilte, wurde der für das operative Geschäft zuständige Vorstand (COO) Jan Marsalek mit sofortiger Wirkung bis Ende Juni "widerruflich" freigestellt. Der neue Compliance-Vorstand James H. Freis nimmt seine Tätigkeit unterdessen sofort auf und damit früher als geplant.
Wirecard hatte Anfang Mai angekündigt, Freis zum 1. Juli für das neu geschaffene Vorstandsressort "Integrity, Legal and Compliance" an Bord zu holen. Die Personalie war auch eine Reaktion auf das Ergebnis des vom Unternehmen selbst in Auftrag gegebenen Gutachtens bei der Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG, das dem Konzern organisatorische Mängel, unter anderem im Bereich Compliance, bescheinigte.
/stw/mis
dpa-AFX / Dow Jones
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!
Weitere Links: