"Wellblechkonjunktur" |
17.03.2016 14:21:00
|
Wifo-Chef: Österreichs Wirtschaft dürfte schwächer wachsen
Aiginger sieht Österreich derzeit konjunkturell begünstigt durch die Sonderfaktoren Steuerreform, Flüchtlinge und billiges Öl - in einem Quartal läuft es besser, in einem anderen schlechter. Auch der tiefe Euro und der Nullzins der EZB würden sich als Hilfskräfte erweisen. Ohne Sonderfaktoren läge das BIP-Wachstum nur bei knapp einem Prozent, wie Wifo-Ökonom Stefan Ederer am Donnerstag vorrechnete. Steuerreform und Flüchtlings-Ausgaben bzw. -Versorgung würden je 0,1 bis 0,2 Prozent zum BIP beitragen, in Summe ergebe das 2016 bis zu 0,4 Prozent.
Laut Aiginger herrscht derzeit in Europa "eine relativ breite Erholung", die "aber schwach und holprig oder fragil" ist, weil sie von Quartal zu Quartal wechselt. Das für 2016 und 2017 angenommene BIP-Wachstum Österreichs von je 1,6 Prozent sei "doppelt so viel wie in den vergangenen Jahren". Auch von der Erholung Osteuropas profitiere Österreich.
Der Zuzug aus Mittel- und Osteuropa ist für den wirtschaftspolitischen Experte des IHS, Helmut Hofer, "durchaus positiv", erlaube er doch Österreich ein stärkeres Wachstum. Die Liberalisierung der Arbeitsmärkte für den Osten sei "ein Potenzial. Wenn man es nutzt, kann man mehr Jobs schaffen", so Hofer. Flüchtlinge mit positivem Asylbescheid sollten fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden. Zudem plädierte der IHS-Experte für eine Konzentration auf die Frühförderung 3- bis 5-Jähriger, um bereits in diesem Alter die Defizite von Kindern aus bildungsfernen Schichten zu vermeiden statt später relativ schwierig teure aktive Arbeitsmarktpolitik-Maßnahmen setzen zu müssen.
Laut Wifo dürfte die Arbeitslosenquote 2016 auf 9,5 und 2017 auf 9,8 Prozent steigen. Beim Institut für Höhere Studien (IHS) sieht man einen Anstieg auf 9,4 sowie 9,8 Prozent - 2015 lag die Rate bei 9,1 Prozent. Von früheren Befürchtungen, dass die 10-Prozent-Marke überschritten wird, hat sich das Wifo mittlerweile verabschiedet. Auch 2015 sei der Anstieg nicht so stark wie erwartet gewesen, sagte Aiginger.
Die in Österreich schon wieder um einen Prozentpunkt über der deutschen Teuerung liegende Inflation bezeichnete IHS-Experte Hofer als Gefahr für die heimische Wettbewerbsfähigkeit - nämlich dann, wenn dies in höhere Löhne und letztlich höhere Kosten für die Unternehmen eingehe. Kurzfristig sei der Effekt zunächst gering, kumuliere sich aber.
Aiginger sorgt sich wegen der hohen Inflation um dadurch "begrenzte Konsum- und Wachstumsmöglichkeiten". Denn 2017, ein Jahr nach der Steuerreform, werde es schon wieder rückläufige Pro-Kopf-Reallöhne geben, eine Konsumbremse. Schon in den letzten fünf Jahren vor der Steuerreform sei das der Fall gewesen, erinnerte er.
Grund dafür, dass die Inflation in Österreich mit 1,2 Prozent heuer und 1,8 Prozent 2017 dann schon das neunte und zehnte Jahr über jener in Deutschland liegen werde, seien "der öffentliche Sektor", "direkt administrierte Preise" und "Verkrustungen", so der Wifo-Chef. "Mehr Wettbewerb" sei die wirksamste Maßnahme gegen die hohe Teuerung.
Die Steuerreform wird den Privatkonsum beleben, der nach zwei Jahren Stagnation auch 2015 kaum zulegte. Heuer sei durch mehr verfügbare Einkommen ein Plus um 1,4 Prozent zu erwarten, so das IHS; beim Wifo rechnet man sogar mit 1,8 Prozent Zuwachs. 2017 dürfte sich der Anstieg auf 1,2 (IHS) bzw. 1,4 (Wifo) Prozent verringern.
Die Exporte dürften heuer - nach einer vorübergehenden Abschwächung in der ersten Jahreshälfte - wieder kräftig steigen, erwartet das Wifo. Es geht für heuer und nächstes Jahr von 2,7 sowie 4,5 Prozent realem Plus bei den Warenexporten aus, das IHS rechnet mit 3,0 und 3,5 Prozent Zuwachs.
International manifestieren sich in den Schwellenländern "weiterhin gröbere wirtschaftliche Probleme", und in den entwickelten Volkswirtschaften habe sich das Konjunkturtempo verlangsamt, so das IHS. Brasilien und Russland steckten in einer tiefen Rezession, und China habe sein Wachstumstempo auf knapp 7 Prozent verlangsamt. "Es mehren sich Anzeichen, die auf eine weitere Verlangsamung der Weltkonjunktur hindeuten", lautet die Conclusio.
Den Euroraum sieht das Wifo - nach 1,6 Prozent im Vorjahr - heuer und 2017 um 1,4 und 1,6 Prozent wachsen, das IHS um 1,5 und 1,6 Prozent. Für die EU-28 gehen die beiden Institute von 1,6 und 1,8 Prozent (Wifo) bzw. 1,7 und 1,8 Prozent (IHS) aus. Das globale BIP soll 2017 laut Wifo mit 3,4 Prozent stärker zulegen als heuer (3,1 Prozent wie 2015).
Deutschland sei "keineswegs eine einsame Lokomotive" wie früher - und auch die Nachbarschaft Europas sei "sehr instabil", konstatierte Aiginger mit Blick auf die Regionen Nordafrika, Türkei, Nahost. Jetzt sehe man wie "nachlässig" es gewesen sei, dass sich Europa nicht früher um diese Gegenden gekümmert habe. Auch andere Chancen, die Europa habe - wie bei Umwelt und Erneuerbaren Energien - würden nicht genutzt, weil das Flüchtlingsthema alles überlagere. Aber auch dieses Thema sei "nur dann bewältigbar, wenn Europa dynamisch ist", betonte der Wifo-Chef.
(GRAFIK 0312-15, Format 88 x 98 mm) (Schluss) sp/tsk
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!
Weitere Links: