31.08.2017 19:53:56
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WAZ: Schulz wird die Chance nutzen, die er nicht hat - Leitartikel von Alexander Marinos zum TV-Wahlduell am Sonntag
Es ist diese - noch so ein Paradoxon - komfortable, auf den ersten Blick völlig unspannende Ausgangslage einer in den Umfragen weit vorne liegenden Kanzlerpartei, die das TV-Duell dann doch wieder spannend macht. Denn Schulz kann mit maximalem Verzweiflungsmut in diese einzige direkte Auseinandersetzung mit Merkel gehen, weil er nichts zu verlieren hat. Merkel dagegen muss darauf achten, dass das Duell zu keinem Zeitpunkt ein für sie nützliches Verflachungsniveau überschreitet und somit zur Initialzündung einer bislang nicht messbaren Wechselstimmung im dahindümpelnden Wahlkämpfchen werden könnte.
Wie volatil politische Stimmungen sind, hat ja gerade dieser Martin Schulz unmittelbar nach seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten schmerzhaft erfahren müssen. Wie in einer Kantine, die jeden Tag Schnitzel mit Pommes anbietet, stürzten sich plötzlich alle auf das alternative Gericht mit der spritzig-roten Soße nach Würseler Art - um kurz danach doch wieder zum altbewährten Trägemacher-Fettessen zurückzukehren. Bis heute kann keiner erklären, warum der Schulz-Effekt so schnell und radikal ging, wie er kam. Folglich kann auch niemand ausschließen, dass er ganz oder teilweise zurückkehrt. Ein paar Prozentpunkte mehr oder weniger würden die Union zwar nicht vom Spitzenplatz vertreiben. Aber neue Koalitions- wären neue Machtoptionen.
Ja, Deutschland ist aus vielen Krisen gut herausgekommen. Ja, die Konjunktur brummt und die Staatseinnahmen steigen. Und ja, wir nähern uns, von strukturschwachen Gebieten abgesehen, der Vollbeschäftigung. Aber deshalb ist noch lange nicht alles gut. Die Kehrseite des Merkel'schen Pragmatismus' ist die Abwesenheit alles Visionären. Risiken zu scheuen bedeutet auch, mutlos zu agieren. Zwar hat Merkel punktuell auch mal Mut bewiesen, beim Atomausstieg nach Fukushima etwa oder vor zwei Jahren bei ihrem "Wir schaffen das". Aber angesichts der großen Herausforderungen dieser Zeit, der Digitalisierung und der drängenden Mobilitäts- und Energiewende, wirkt Merkel gefährlich unentschlossen. Da hinkt Deutschland hinterher. Schulz wird und muss den Finger in solche Wunden legen. Angeblich will sich jeder zweite Wahlberechtigte das TV-Duell ansehen. Merkel wittert die Gefahr. Ob sie das aber nervös macht? Wohl kaum. Wir kennen sie ja.
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