06.10.2021 13:53:41
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WAHL21/Finanzen und Wirtschaft im Zentrum von Ampel-Sondierungen
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Grüne und FDP haben sich zu Sondierungen mit der SPD über eine mögliche Regierungszusammenarbeit in einer Ampel-Koalition entschieden. Bereits am Donnerstag soll es ein erstes Gespräch aller drei Parteien geben. Grundlegende Differenzen sind da vor allem im Bereich der Finanz- und Wirtschaftspolitik zu überwinden.
Denn während SPD und Grüne etwa höhere Steuern für Besserverdiener wollen, strebt die FDP Erleichterungen im Tarif an - und mit ihrer Forderung nach Ausnahmen von der Schuldenbremse stehen die Grünen bisher allein da. In der Wirtschaftspolitik pocht die SPD auf einen höheren Mindestlohn und mehr Tarifbindung. Die Grünen propagieren einen industriepolitischen Umbau, die FDP setzt hingegen auf mehr Freiheiten für die Unternehmen.
SPD will Schuldenbremse einhalten
Die SPD will "die verfassungsrechtlich möglichen Spielräume zur Kreditaufnahme nutzen", lehnt also die schwarze Null im Haushalt ab. Aufgenommen werden sollen aber weiterhin Schulden innerhalb der Grenzen der Schuldenbremse. Die Sozialdemokraten propagieren zudem eine Einkommenssteuerreform, "die kleine und mittlere Einkommen besserstellt, die Kaufkraft stärkt und dafür im Gegenzug die oberen 5 Prozent stärker für die Finanzierung der wichtigen öffentlichen Aufgaben heranzieht".
Ein Aufschlag von 3 Prozentpunkten zur Einkommenssteuer soll bei Verheirateten für den zu versteuernden Einkommensanteil über 500.000 Euro im Jahr gelten. Der Solidaritätszuschlag soll weiter für Spitzenverdiener erhoben werden. Das Ehegattensplitting will die SPD für neu geschlossene Ehen zugunsten einer Kindergrundsicherung abschaffen. Zudem soll die steuerliche Abzugsfähigkeit von Managergehältern begrenzt und eine Vermögenssteuer von 1 Prozent erhoben werden. "Die Grundlage von Betrieben wird bei der Vermögenssteuer verschont", kündigt die Partei in ihrem Wahlprogramm aber an.
Grüne planen Öffnung der Schuldenbremse
Die Grünen wollen eine Investitionsoffensive mit 500 Milliarden an zusätzlichen Investitionen in den kommenden zehn Jahren. Dafür sollen im Gegenzug umweltschädliche Subventionen abgebaut werden. Zur Finanzierung dieser Investitionsoffensive soll die Schuldenbremse des Grundgesetzes umgebaut werden und nach den Vorstellungen der Partei Zukunftsinvestitionen von der Berechnung ausklammern. "Bei Investitionen, die neues öffentliches Vermögen schaffen, erlauben wir eine begrenzte Kreditaufnahme in Höhe der Netto-Investitionen", heißt es im Wahlprogramm.
Zur Entlastung mittlerer und kleiner Einkommen wollen die Grünen den Grundbetrag bei der Einkommensteuer erhöhen. Im Gegenzug soll der Spitzensteuersatz für Besserverdiener steigen - um 3 Punkte auf 45 Prozent ab 200.000 Euro Jahreseinkommen für Paare sowie um weitere 3 Punkte auf 48 Prozent ab einem Jahreseinkommen von 500.000 Euro. Zudem soll eine Vermögenssteuer für Vermögen über 2 Millionen Euro erhoben werden. Das Steuersystem wollen die Grünen schrittweise so umbauen, "dass Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch stärker besteuert werden". Auch soll es eine Kindergrundsicherung geben.
FDP plant Entlastungen auch für Besserverdienende
Die FDP will ein grundlegendes Umdenken in der Steuerpolitik und "die Bürgerinnen und Bürger spürbar entlasten", um Impulse für die wirtschaftliche Erholung zu setzen. Die Abgabenbelastung soll für Arbeitnehmer und Arbeitgeber wieder auf unter 40 Prozent sinken. Bei der Einkommenssteuer soll in einem "Chancentarif" der Spitzensteuersatz schrittweise mit dem Ziel verschoben werden, dass er erst ab 90.000 Euro Einkommen greift. Der Solidaritätszuschlag soll auch für Besserverdienende wegfallen.
Die Liberalen wollen die Steuerbelastung von Unternehmen auf rund 25 Prozent senken. Dabei soll der "deutsche Sonderweg" einer Gewerbesteuer beendet werden. Eine Verschärfung der Erbschaftsteuer oder die Wiedereinführung der Vermögenssteuer lehnen sie ab. Jedoch sollen "überflüssige Bagatell- und Lenkungssteuern" wie die Schaumwein-, Bier- oder Kaffeesteuer abgeschafft werden. Bei der Staatsverschuldung fordert die Partei in ihrem Wahlprogramm eine "zügige" Senkung des Schuldenstands unter die im Maastricht-Vertrag vorgegebene Quote von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
SPD pocht auf höheren Mindestlohn
Als wichtigste wirtschaftspolitische Maßnahme will die SPD den Mindestlohn auf 12 Euro anheben. Die Sozialdemokraten wollen auch die Möglichkeit vereinfachen, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, und mit einem Bundestariftreuegesetz die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Tarifbindung von Unternehmen knüpfen. Die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne einen Sachgrund soll abgeschafft werden, und Leiharbeiter sollen "ab dem ersten Tag den gleichen Lohn erhalten wie Festangestellte".
Außerdem will die SPD eine Garantie auf einen Ausbildungsplatz und ein Recht auf Weiterbildung schaffen. Die Arbeitslosenversicherung will sie "zu einer solidarischen Arbeitsversicherung weiterentwickeln". Gebühren für Techniker- und Meisterkurse im Handwerk sollen abgeschafft werden, Soloselbstständige sollen bei Bedarf ein "Sicherungsgeld" erhalten. Die SPD will Deutschland zudem "zu einem führenden Start-up-Standort Europas machen". Auch im Insolvenzrecht soll es dabei eine "Kultur der zweiten Chance" geben.
Grüne setzen auf sozial-ökologische Modernisierung
Die Grünen stellen "klimagerechten Wohlstand" ins Zentrum ihrer Wirtschaftspolitik und erhoffen sich eine "Renaissance von Industriearbeitsplätzen" durch die geplante sozial-ökologische Modernisierung. Auf dem Weg zur Klimaneutralität sollen "in den kommenden Jahren hunderttausende neue Jobs entstehen" - etwa im Handwerk, der Bauwirtschaft, neuen Industriebereichen, der Kreislaufwirtschaft, der Batteriezellenproduktion und der Wasserstoffindustrie.
Die Partei fordert insgesamt "eine sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft" und propagiert eine aktive Wirtschafts- und Industriepolitik. Forschung und Innovationen für klimagerechtes Wirtschaften sollen stärker gefördert werden. Als Anreiz für mehr Investitionen durch Unternehmen sollen Investitionen zeitlich befristet degressiv mit mindestens 25 Prozent abgeschrieben werden können, und die steuerliche Forschungsförderung soll gezielter an kleine und mittlere Unternehmen und Start-ups fließen. Geplant ist auch ein "Gründungskapital" von bis zu 25.000 Euro.
FDP will Entfesselungspakt und verbesserte Abschreibung
Die FDP fordert hingegen "einen Entfesselungspakt für die deutsche Wirtschaft" mit Maßnahmen zur Bürokratieentlastung. "Der stetig wachsende Bürokratiedschungel belastet die Bürgerinnen und Bürger sowie die deutschen Unternehmen und bremst die wirtschaftliche Entwicklung aus", stellt sie fest. Für jede neue Belastung durch geplante Regelungen sollen im doppelten Umfang Belastungen abgebaut werden. Auch die Liberalen wollen Forschung und Entwicklung steuerlich stärker fördern und die Rahmenbedingungen für Wagniskapital verbessern.
Außerdem fordert die Partei einen "branchenunabhängigen Gründungszuschuss" und will die Abschreibungsbedingungen verbessern. Hierzu sollen die degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter verstetigt und für digitale Güter verkürzte Abschreibungsfristen von höchstens drei Jahren festgesetzt werden. Auch sollen mehr geringwertige Wirtschaftsgüter sofort abgeschrieben werden können. Allgemein will die FDP "den Wettbewerb national und international stärken und insbesondere vermeiden, dass unnötige Verflechtungen von Markt- und Staatswirtschaft entstehen".
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
DJG/ank/mgo
(END) Dow Jones Newswires
October 06, 2021 07:54 ET (11:54 GMT)
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