Auf der Zielgeraden 05.11.2020 21:07:00

US-Wahl: Gute Chancen für Biden - Trump reagiert mit Klagen - Fed wartet nach Wahl ab

US-Wahl: Gute Chancen für Biden - Trump reagiert mit Klagen - Fed wartet nach Wahl ab

In den noch nicht entschiedenen Bundesstaaten Pennsylvania, North Carolina, Georgia und Nevada zählten Wahlhelfer rund um die Uhr Stimmen aus. Zu teilweise gewaltsamen Protesten kam es am Mittwochabend in New York, Portland, Detroit, Chicago und Philadelphia.

Ein Sieg in nur noch einem Staat würde Biden reichen für die erforderliche Mehrheit von 270 Stimmen in der Wahlversammlung (Electoral College). Trump benötigt eine Mehrheit in allen vier Staaten - falls sich in Arizona das bisherige Ergebnis für Biden bestätigen sollte. In mehreren Staaten schickte Trumps Wahlkampfteam Anwälte mit Klagen los, um mit juristischen Mitteln die drohende Niederlage zu verhindern.

Nach Berechnungen der Nachrichtenagentur AP und des TV-Senders Fox News hat Biden bislang die Stimmen von 264 Wahlleuten sicher. Andere Medien wie der Sender CNN und die "New York Times" sahen Biden erst bei 253 Stimmen. Grund dafür ist, dass sie den Staat Arizona noch nicht für entschieden halten. Am Donnerstagnachmittag (MEZ) stellte sich die Situation nach Erhebungen der Nachrichtenagentur AP und des Instituts Edison Research so dar:

PENNSYLVANIA (20 Stimmen für die Wahlversammlung):

In Pennsylvania kann nach Auskunft der zuständigen Behörde bis Donnerstagabend (Ortszeit) mit einem Ergebnis der Präsidentschaftswahl gerechnet werden. Zurzeit seien rund 550 000 Stimmzettel noch nicht ausgezählt, sagte Staatssekretärin Kathy Boockvar dem TV-Sender CNN. Sie sei zuversichtlich, dass die meisten dieser Stimmen am Donnerstag gezählt werden könnten. Auf die Frage, ob bis zum Ende des Tages (Freitagmorgen MEZ) ein Gewinner in Pennsylvania bekanntgegeben werden könnte, antwortete sie: "Ja, das könnten wir definitiv."Die meisten der noch ausstehenden Stimmen kommen nach Angaben der Staatssekretärin aus städtischen Gebieten, allein 100 000 aus dem Großraum der Millionenstadt Philadelphia, die als Hochburg der Demokratischen Partei gilt. Bei einem Auszählungsstand von 92 Prozent lag der republikanische Präsident Donald Trump mit 50,2 Prozent der Stimmen knapp vor dem demokratischen Herausforderer Joe Biden mit 48,5 Prozent.

NORTH CAROLINA (15 Stimmen):

Auch in dem Ostküsten-Staat gibt es noch keine Entscheidung. Bei einem Auszählungsstand von schätzungsweise 95 Prozent lag Trump mit 50,1 Prozent vor Biden (48,7 Prozent). In North Carolina werden auch noch Briefwahlstimmen gezählt, die bis zum 12. November eingehen.

GEORGIA (16 Stimmen):

In dem Südstaat gibt es ein denkbar enges Kopf-an-Kopf-Rennen um die Mehrheit. Bei Auszählung von 96 Prozent der Stimmen führte Trump mit 49,6 Prozent, Biden kam vorläufig auf 49,2 Prozent. Vor allem Stimmen aus dem Großraum Atlanta waren noch zu zählen - traditionell eher eine Hochburg von Bidens Demokratischer Partei.

NEVADA (6 Stimmen):

Dort führte Biden bei einem Auszählungsstand von etwa 86 Prozent mit 49,3 Prozent vor Trump (48,7 Prozent).

In Arizona hielt das Trump-Lager am Donnerstag weiter die Hoffnung hoch, das Ergebnis für Biden noch kippen zu können. Die bei der Bekanntgabe von Ergebnissen sehr zurückhaltende AP hatte in Arizona bereits in der Wahlnacht eine Entscheidung für Biden gemeldet, ebenso der TV-Sender Fox. Am Donnerstag führte Biden bei einem Auszählungsstand von 86 Prozent mit 50,5 Prozent vor Trump mit 48,1 Prozent.

Trumps Wahlkampagne kündigte an, in Wisconsin mit Blick auf "Unregelmäßigkeiten" eine Neuauszählung der Stimmen beantragen zu wollen. In Michigan hat sie nach eigenen Angaben Klage bei einem Gericht eingereicht und einen sofortigen Stopp der weiteren Auszählung verlangt, bis den Republikanern Zugang zu den Wahllokalen gewährleistet werde. In Pennsylvania wollen die von den Republikanern beauftragten Anwälte verhindern lassen, dass Briefwahlstimmen als gültig gewertet werden, die bis Freitag eintreffen - diese Regelung hatte das Oberste Gericht der USA zugelassen. In Georgia klagte Trumps Wahlkampfteam, weil 53 zu spät per Post eingetroffene Stimmzettel berücksichtigt worden seien.

Ihren Widerhall fand der Rechtsstreit in dem, wie sich beide Kandidaten am Donnerstag auf Twitter äußerten. Biden betonte: "Jede Stimme muss gezählt werden." Hingegen forderte Trump in Großbuchstaben, die Auszählung zu stoppen. Im Angesicht einer möglichen Wahlniederlage hat US-Präsident Donald Trump auf Twitter Schimpftiraden und unbelegte Anschuldigungen veröffentlicht. Dabei ging es vor allem um den Vorwurf des Wahlbetrugs. Außerdem reklamierte er einen Sieg bei der Präsidentenwahl sowie in Schlüsselstaaten für sich. Twitter reagierte in einige Fällen damit, die Botschaften hinter Warnhinweisen zu verstecken.

"Stoppt den Betrug!", wetterte Trump am Donnerstag in Großbuchstaben. Zuvor hatte er geschrieben, dass er in allen Bundesstaaten, die seinem Kontrahenten Joe Biden neu zugeschlagen wurden, rechtliche Schritte wegen Betrugs einleiten werde. Trump hatte über sein meistgenutztes soziales Netzwerk auch verlangt, die Auszählungen zu stoppen. Hintergrund ist, dass Biden in mehreren möglicherweise entscheidenden Staaten den knappen Vorsprung von Trump einzuholen droht und damit kurz vor dem Gewinn der historischen Wahl steht.

Seit Monaten hatte Trump ohne Belege behauptet, dass es durch viele Briefwahlstimmen bei der US-Wahl zu Betrug kommen würde, dafür allerdings nie stichhaltige Beweise geliefert. In den Tagen nach der Wahl hat er diese Vorwürfe bei Twitter verstärkt. Trump verbreitete auch Artikel rechter Medien, die seine Vorwürfe belegen sollen oder beispielsweise den Rücktritt von an der Wahl beteiligten örtlichen Ministern forderten.

Der US-Präsident wird nicht direkt von den Bürgern gewählt, sondern von Wahlleuten. Deren Stimmen gehen mit Ausnahme der beiden Staaten Nebraska und Maine vollständig an den Sieger in dem jeweiligen Bundesstaat. Die Wahlversammlung kommt am 14. Dezember zusammen.

Bei den Teilwahlen zum Kongress, die gleichzeitig mit der Präsidentschaftswahl stattfanden, zeichnete sich unterdessen ab, dass es zu keinen größeren Verschiebungen in beiden Häusern kommt. Am Mittwoch standen noch mehrere Entscheidungen aus. Erstmals wurden zwei schwarze Abgeordnete ins Repräsentantenhaus gewählt, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen - Mondaire Jones und Ritchie Torres.

OSZE-Beobachter sehen keine Unregelmäßigkeiten

Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa haben bei der US-Wahl bisher keine Unregelmäßigkeiten festgestellt. Man habe "keinerlei Hinweise auf systemische Probleme finden können" und eine "außerordentlich professionelle Handhabung der Flut von Briefwahlstimmen erlebt", sagte der Leiter der OSZE-Mission, Michael Georg Link, der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" (Freitag). "Trumps Manipulationsvorwürfe sind haltlos."

Die OSZE ist mit 102 Wahlbeobachtern aus 39 Ländern in den USA im Einsatz, darunter mehrere Bundestagsabgeordnete. Trump hatte sich in der Wahlnacht vor Auszählung aller Stimmen zum Sieger erklärt und angekündigt, eine weitere Auszählung vom Obersten US-Gericht stoppen lassen zu wollen. Für Link war das "ein grober Missbrauch des Amtes".

"Das eigentlich Verstörende war, dass der amerikanische Oberbefehlshaber mit Präsidentenfanfare aus dem Weißen Haus heraus, also mit allen Insignien der Macht, wegen seines angeblichen Sieges das Ende der Auszählung gefordert hat", sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete.

Trump hatte schon den gesamten Wahlkampf über Stimmung gegen die Briefwahl gemacht. Inzwischen geht er in verschiedenen Bundesstaaten gegen die Auszählung juristisch vor. In Pennsylvania zum Beispiel will er verhindern lassen, dass Stimmen gültig sind, die bis Freitag ankommen. Vor der Wahl hatte das Oberste Gericht der USA die Regelung zugelassen. Drei Konservative unter den insgesamt neun Richtern zeigten sich aber offen dafür, das Thema noch einmal aufzugreifen.

Biden: Amerika muss Spaltung überwinden

Biden betonte, dass er den Sieg noch nicht offiziell für sich reklamieren wolle. Doch wenn die Auszählung beendet sei, "glauben wir, dass wir die Gewinner sein werden". Er sagte, dass Amerika die tiefe Spaltung überwinden müsse. "Um Fortschritte zu machen, müssen wir aufhören, unsere Gegner wie Feinde zu behandeln", sagte Biden. "Wir sind keine Feinde."

Im Laufe des Tages setzte Trump mehrere Tweets ab, in denen er über die Stimmauszählung schimpfte. Sein am Dienstagabend noch bestehender Vorsprung sei in einem Bundesstaat nach dem anderen "auf magische Weise verschwunden", schrieb er etwa. Im umkämpften Bundesstaat Pennsylvania werde "hart daran gearbeitet", schnell eine halbe Million Stimmen "verschwinden zu lassen", schrieb er an anderer Stelle. Twitter versah mehrere Nachrichten mit Warnhinweisen wegen "möglicherweise irreführender" Aussagen. Biden bekräftigte: "Wir ruhen nicht, ehe nicht jede Stimme gezählt ist."

Trump machte Stimmung gegen Briefwahl

Trump hatte schon im Wahlkampf Stimmung gegen die Briefwahl gemacht und Zweifel an der Rechtmäßigkeit geschürt - obwohl die Abstimmung per Post eine etablierte Form der Stimmabgabe ist. Er warnte ohne Beleg vor massiven Fälschungen. Hinweise auf nennenswerten Wahlbetrug gab es nicht. In Georgia zog Trump am Mittwoch vor Gericht, weil laut einem seiner Beobachter unrechtmäßig 53 zu spät per Post eingetroffene Stimmzettel berücksichtigt worden seien.

Trump schnitt bei der Wahl insgesamt deutlich besser ab als nach Umfragen erwartet. Der drei Jahre ältere Biden verfehlte den von den Demokraten erhofften klaren Sieg und musste sich unter anderem in Florida und Texas dem republikanischen Präsidenten geschlagen geben. Vor der Wahl hatte das Statistikportal "FiveThirtyEight" nur eine Wahrscheinlichkeit von rund zehn Prozent für einen Sieg Trumps errechnet.

Der US-Präsident wird nicht direkt von den Bürgern gewählt, sondern von Wahlleuten. Deren Stimmen gehen mit Ausnahme der beiden Staaten Nebraska und Maine vollständig an den Sieger in dem jeweiligen Bundesstaat. Für den Einzug ins Weiße Haus sind 270 Stimmen nötig. 2016 hatte Trump zwar landesweit weniger Wählerstimmen als Hillary Clinton geholt, aber mehr Wahlleute für sich gewonnen.

Fed-Beschlüsse: US-Notenbank wartet nach Wahl ab

Die Notenbanker der Federal Reserve (Fed) haben nach den US-Präsidentschaftswahlen und inmitten einer erneuten Corona-Welle über ihre weitere Geldpolitik entschieden und ihren Kurs nicht geändert. Der Leitzins bleibt in der extrem niedrigen Spanne von 0 bis 0,25 Prozent und die milliardenschweren Anleihekäufe zur Stützung der Konjunktur gehen wie gewohnt weiter. Das teilte die Notenbank am Donnerstag in Washington mit. An den Finanzmärkten war nicht mit einer Kursänderung gerechnet worden.

Allerdings belastet die Corona-Krise die US-Wirtschaft weiterhin stark. 21,5 Millionen Menschen bezogen zuletzt eine Form von Arbeitslosenhilfe, wie neue Daten des Arbeitsministeriums am Donnerstag zeigten. Viele Wirtschaftszweige sind auf Unterstützung angewiesen. Die US-Politik hatte sich vor den Wahlen aber nicht auf ein neues Konjunkturprogramm einigen können. Bei einer weiteren Hängepartie könnte der Handlungsdruck für die Fed rasch steigen.

(dpa-AFX / APA / Redaktion finanzen.net)

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