Noch kein Sieger ausgerufen 07.11.2020 17:17:00

US-Wahl: Biden vergrößert Vorsprung in Pennsylvania und Georgia - Trump behauptet erneut, er habe gewonnen

US-Wahl: Biden vergrößert Vorsprung in Pennsylvania und Georgia - Trump behauptet erneut, er habe gewonnen

Fast alles deutet darauf hin, dass der demokratische Herausforderer Joe Biden (77) gewonnen hat. Allerdings ist weiterhin auch denkbar, dass Donald Trump (74) vier weitere Jahre im Amt bleiben könnte. Das Warten entwickelte sich zunehmend zur Geduldsprobe - für die USA mit ihren fast 330 Millionen Einwohnern, aber auch für den Rest der Welt.

Die Augen richteten sich am Samstag vor allem auf die entscheidenden Bundesstaaten Pennsylvania, Georgia und Nevada. Überall lag Biden inzwischen vor Trump, obwohl der amtierende Präsident anfangs teils deutlich geführt hatte. Mehr als 30 000 Stimmen betrug der Vorsprung des ehemaligen Vizepräsidenten von Barack Obama am Samstagnachmittag (15.00 MEZ) jedoch nirgendwo. Die letzten Stimmen tröpfeln seit Freitag nur noch in Tranchen von teilweise wenigen Hundert ein.

Nicht nur die Amerikaner warten auf einen Dammbruch, der die Wahlrechner der vorsichtigen TV-Sender und die Nachrichtenagentur AP dazu veranlassen könnte, dass Rennen für entschieden zu erklären. Stattdessen tippten Analysten bei CNN, Fox oder NBC weiter auf ihren riesigen Bildschirmen mit der USA-Karte herum und zeigten, wo noch wie viele Stimmen ausstehen. Bezirke wie Allegheny, Clayton oder Clark County - von denen außerhalb der USA bislang nur die wenigsten gehört hatten - bekommen enorme Aufmerksamkeit.

Nach Stand Samstagnachmittag müsste Biden nur noch Pennsylvania mit seinen 20 Wahlleuten gewinnen, um sich die für den Sieg nötige Mehrheit von 270 Wahlleuten zu sichern. Nach den bereits entschiedenen Rennen in der Mehrzahl der US-Bundesstaaten hat er mindestens 253 Stimmen sicher. Auch Arizona mit seinen elf Wahlleuten scheint er praktisch gewonnen zu haben. Für Trump sah es in den Bundesstaaten North Carolina und Alaska gut aus - was ihm allerdings nicht reichen würde. Er notiert seit Tagen bei 213 Stimmen.

Biden gab sich zuletzt siegessicher

Biden rief am Freitagabend (Ortszeit) in einer Ansprache seine Landsleute zur Ruhe auf und gab sich siegessicher. "Wir werden dieses Rennen mit einer klaren Mehrheit und der Nation hinter uns gewinnen", sagte der langjährige Senator in seiner Heimatstadt Wilmington. Er verzichtete aber darauf, sich bereits zum Sieger zu erklären - so wie dies Trump gleich in der Wahlnacht getan hatte. Hinter den Kulissen arbeitete Bidens Team jedoch bereits an den Details einer Ansprache für den Fall eines endgültigen Erfolgs.

Der ehemalige Vizepräsident rief die Amerikaner zu Geschlossenheit auf: "Wir mögen Gegner sein, aber wir sind keine Feinde." Es sei an der Zeit, den Zorn abzulegen. Dies dürfte auch eine Reaktion auf Trump sein, der sich seit Tagen - und ohne Beweise - als Opfer systematischen Wahlbetrugs darstellt und das sofortige Ende der Auszählung fordert.

Biden gab zudem bekannt, dass er zusammen mit der möglichen künftigen Vizepräsidentin Kamala Harris begonnen habe, die Übernahme der Regierungsgeschäfte vorzubereiten - unter anderem mit Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. Man könne den bereits verstorbenen Amerikanern nicht mehr helfen - aber "wir können in der Zukunft viele Menschenleben retten". Biden wirft Trump vor, in der Corona-Krise versagt und dadurch den Tod vieler Amerikaner verschuldet zu haben. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen stieg in dieser Woche auf Rekordstände mit mehr als 120 000.

Auszählung dauert an

Die Auszählung zieht sich in diesem Jahr wegen der hohen Wahlbeteiligung und der Corona-Pandemie hin. Viele Bundesstaaten hatten unter anderem ihre Regeln für die Briefwahl angepasst, um die Wähler nicht einer Infektionsgefahr im Wahlbüro auszusetzen. Viele Millionen Amerikaner machten davon Gebrauch. Der Präsident wird in den USA nicht direkt gewählt, sondern von einer Wahlversammlung (Electoral College) im Dezember. Die Amtseinführung soll am 20. Januar 2021 stattfinden.

Trump sieht sich weiter als Opfer

Trump (74) hat bereits deutlich gemacht, dass er sich nicht mit einer Niederlage abfinden und sich unter anderem mit einer Klagewelle wehren will. "Ich hatte in all diesen Staaten bis spät in die Wahlnacht hinein einen so großen Vorsprung, nur um all den Vorsprung auf wundersame Weise verschwinden zu sehen, als die Tage vergingen", schrieb Trump bei Twitter. "Vielleicht wird all der Vorsprung zurückkehren, wenn unsere rechtlichen Verfahren voranschreiten!"

Auch am Samstag behauptete der amtierende US-Präsident auf Twitter, er habe die Wahl mit großem Vorsprung gewonnen. Außerdem kündigte er für den Nachnmittag (Ortszeit) eine "große Pressekonferenz" in Philadelphia an.

Trump stellt sich als Opfer systematischen Wahlbetrugs dar, ohne irgendeinen Beweis für seine Behauptungen zu nennen. Der Präsident kündigte an, sich mit einer ganzen Serie von Klagen bis hinauf zum Obersten Gericht gegen eine Niederlage zu wehren. Der Leiter der Rechtsabteilung von Trumps Team, Matt Morgan, erklärte am Freitag: "Diese Wahl ist nicht vorbei." In Trumps Partei gibt es inzwischen Kritik an Trumps Verhalten nach der Wahl. Mehrere führende Republikaner mahnten, die demokratischen Regeln einzuhalten.

Konkrete Anhaltspunkte für massiven Wahlbetrug gibt es keine. Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kamen zu dem Schluss, sie hätten "keinerlei Hinweise auf systemische Probleme finden können".

Twitter versteckt Trump-Tweets hinter Warnhinweisen

Die Nachrichtenplattform Twitter hat erneut den Zugang zu mehreren Botschaften von US-Präsident Donald Trump wegen unbelegter Behauptungen über Betrug bei der US-Wahl eingeschränkt. Vier Tweets wurden am Samstag hinter Warnhinweisen versteckt. In den Hinweisen hieß es: "Einige oder alle der Inhalte, die in diesem Tweet geteilt werden, sind umstritten und möglicherweise irreführend in Bezug auf die Beteiligung an einer Wahl oder einem anderen staatsbürgerlichen Prozess". Seit der Präsidentenwahl am Dienstag behauptet Trump immer wieder und ohne Beleg, dass es bei der Abstimmung Betrug zu seinen Ungunsten gegeben habe.

Oberstes US-Gericht: Spät eingegangene Stimmzettel separat zählen

In seiner ersten Entscheidung nach der Präsidentenwahl hat das Oberste Gericht der USA verfügt, dass im Bundesstaat Pennsylvania die nach Schließung der Wahllokale eingetroffenen Stimmzettel getrennt aufbewahrt und ausgezählt werden müssen. Das macht es einfacher, sie nicht bei der endgültigen Auszählung zu berücksichtigen, wenn sie für ungültig erklärt werden sollten.

Der Richter Samuel Alito traf die Eilentscheidung am Freitag auf Antrag der Republikaner. Die Behörden hatten die Stimmzettel allerdings bereits getrennt gesammelt.

In dem Streit geht es um per Post verschickte Stimmzettel, die binnen drei Tagen nach dem Wahltag am 3. November eintreffen. In Pennsylvania sollen sie noch berücksichtigt werden. Die Republikaner zogen bereits ein drittes Mal vor Gericht dagegen. Vor der Wahl war das Oberste Gericht der USA nicht dagegen eingeschritten. Drei konservative Richter - darunter auch Alito - zeigten sich zugleich aber offen dafür, die Frage nach dem Wahltag noch einmal zu behandeln.

Ein Haken ist, dass die Verlängerung von dem Obersten Gericht des Bundesstaates beschlossen wurde. Konservative Rechtsexperten brachten deshalb bereits das Argument vor, dass sich die Richter in Pennsylvania in das Verfahren zur Wahlgestaltung eingemischt hätten, was ihnen nicht zustehe.

Das ist der letzte Stand in den entscheidenden Staaten

In den noch ausstehenden Bundesstaaten stellte sich die Situation am Samstagvormittag (15:00 MEZ) wie folgt dar:

PENNSYLVANIA (20 Stimmen):

In dem Staat im Nordosten führte Trump zu Beginn der Auszählung zeitweise mit mehr als 700 000 Stimmen. Biden holte aber mit Auszählung der Briefwahlstimmen immer mehr auf und übernahm am Freitag die Führung in dem Rennen. Zuletzt hatte er einen Vorsprung von mehr als 28 800 Stimmen. Geschätzt gut 90 000 Stimmen standen noch zur Zählung aus - bei den jüngsten Aktualisierungen hatte Biden seine Position konstant verbessern können. Die noch offenen Stimmen stammten zudem aus Gegenden, in denen die Demokraten sehr stark waren.

Darüber hinaus setzten die Behörden die Auswertung von bis zu 30 000 abgegebenen Stimmen fort, bei denen Daten nachkontrolliert werden mussten. Darunter sind beispielsweise solche von Wählern, die nicht in einem Wahlbüro abgestimmt haben, in dem sie registriert waren, sondern in einem anderen. Damit diese Stimmen gezählt werden können, halten Wahlhelfer Rücksprache mit dem ursprünglichen Wahlbüro.

GEORGIA (16 Stimmen):

In dem Staat im Südosten lag Trump anfangs mit mehr als 300 000 Stimmen vorn. Im Laufe der Auszählung schmolz der Vorsprung zusammen. Zum Stand 9.00 Uhr MEZ am Samstag lag der Demokrat um 7248 Stimmen vor Amtsinhaber Donald Trump, wie der TV-Sender CNN unter Berufung auf Zahlen der Wahlbehörde berichtete. Das sind weniger als 0,1 Prozentpunkte. Es war jedoch ein deutlicher Zuwachs im Vergleich zu den 4430 Stimmen Vorsprung wenige Stunden zuvor. Experten erwarteten, dass auch die noch ausstehenden Stimmen diesen Vorsprung vergrößern. Einige tausend Briefwahlstimmen lagen noch vor, außerdem standen auch hier ebensoviele Stimmen zur Überprüfung an. Bei 8400 Stimmen, die an Militärangehörige nach Übersee verschickt worden waren, war unklar, wie viele davon noch zurück auf dem Weg an die Wahlleiter waren. Außerdem war am Freitag eine voraussichtliche Nachzählung aller Stimmen angekündigt worden, weil beim Gesamtergebnis des Staates Biden und Trump voraussichtlich weniger als einen halben Prozentpunkt auseinanderliegen werden. Bei einer erwarteten Neuauszählung soll jede Stimme neu eingescannt werden, was bis Ende November dauern könnte. Die Demokraten haben Georgia seit 1992 nicht mehr gewonnen.

ARIZONA (11 Stimmen):

Die Nachrichtenagentur AP und der Fernsehsender Fox hatten den Staat recht früh in der Wahlnacht bereits Biden zugeschlagen. Andere Medien hielten sich zurück. Im Laufe der Auszählung konnte Trump aufholen. Biden hielt zuletzt einen Vorsprung von rund 30 000 Stimmen. Etwa 173 000 Stimmen standen am Wochenende noch zur Auszählung an. In welchem Takt neue Ergebnisse verkündet werden sollen, war unklar.

NEVADA (6 Stimmen):

In dem Staat im Westen - mit der Glücksspiel-Hochburg Las Vegas - sah es nach einem knappen Erfolg Bidens aus. Er führte zuletzt mit mehr als 22 600 Stimmen. Etwa 125 000 Stimmen standen noch aus. Hier gingen Wahlkommentatoren nicht davon aus, dass sich durch noch ausstehende Stimmen etwas an dieser Mehrheit ändern würde, weil diese zu 90 Prozent aus Clark County mit der Großstadt Las Vegas stammen, wo die Demokraten starke Unterstützung bekommen.

NORTH CAROLINA (15 Stimmen):

In dem Ostküsten-Staat lag Trump mit mehr als 70 000 Stimmen vorn, was für Biden kaum noch einzuholen war. Besonderheit: In North Carolina werden sogar noch Briefwahlstimmen gezählt, die bis zum 12. November eingehen - also neun Tage nach dem Wahltag. Mit einem Ergebnis wurde am Freitag nicht mehr gerechnet. Alaska, wo es ebenfalls noch kein Ergebnis gab, gilt als sichere Bank für Trump.

Auch zweites Rennen um Senatssitz in Georgia geht in Stichwahl

Über die Mehrheit im US-Senat für die kommenden zwei Jahre werden voraussichtlich erst zwei Stichwahlen im Bundesstaat Georgia Anfang Januar entscheiden. Auch der republikanische Senator David Purdue und sein demokratischer Herausforderer Jon Ossoff konnten ihre Rennen nicht im ersten Wahlgang entscheiden, wie die Nachrichtenagentur AP in der Nacht zum Samstag auf Grundlage von Stimmauszählungen und Wählerbefragungen meldete.

Die Republikaner hielten im Senat bisher die Mehrheit von 53 der 100 Sitze. Nach den Wahlen am Dienstag kommen Demokraten und Republikaner aktuell auf jeweils 48 Stimmen. Der Senat bestätigt unter anderem die Kandidaten für Regierungsposten oder das Oberste Gericht, was ihn besonders wichtig für einen Präsidenten macht.

Neben den zwei Stichwahlen in Georgia stehen noch die Ergebnisse zu zwei Sitzen in Alaska und North Carolina aus - dort führen aber die bisherigen republikanischen Senatoren. Wenn die Rennen zu ihren Gunsten ausgehen, würden die Republikaner auf 50 Sitze vorrücken.

Die Demokraten müssten dann beide Stichwahlen in Georgia gewinnen, um aufzuholen. Und wenn Joe Biden - so wie es sich aktuell abzeichnet - die Präsidentenwahl gewinnt, würde das auch die Kontrolle über den Senat bedeuten. Denn bei einem Patt von 50 zu 50 Stimmen könnte Vizepräsidentin Kamala Harris eingreifen.

Vor dem Wahltag gaben Umfragen den Demokraten gute Chancen, die Mehrheit im Senat zu erobern. Von den 35 Sitzen, die zur Abstimmung standen, wurden 23 von Republikanern gehalten. Die republikanischen Senatoren, die als Wackelkandidaten galten, konnten aber ihre Sitze verteidigen.

Trump will mit Spenden für Rechtsstreit Wahlkampfschulden bezahlen

US-Präsident Donald Trump ruft seine Anhänger zu Spenden für Rechtsstreitigkeiten bei der Wahl auf, will mit den Geldern aber auch Wahlkampfschulden abbezahlen - das geht allerdings erst aus dem Kleingedruckten seiner Spendenaufrufe hervor. Angesichts der drohenden Niederlage des Republikaners gegen seinen demokratischen Herausforderer Joe Biden verschickt sein Wahlkampfteam Mails an Unterstützer, in denen mit wachsendem Druck um Geld gebeten wird.

So heißt es in einer dieser Mails vom Freitag: "Bislang hast Du alle unsere E-Mails ignoriert, in denen Du gebeten wurdest, gemeinsam mit uns die Wahl zu verteidigen." Man solle bitte "sofort" dazu beitragen und spenden. Beim Klick auf einen Link in der Mail wird der Nutzer auf eine Internetseite geleitet, auf der es heißt: "Die Demokraten werden versuchen, diese Wahl zu stehlen! Bitte spende jetzt jeden Betrag, um die Integrität unserer Wahl zu verteidigen."

Auf der Seite werden Spenden zwischen 5 Dollar (4,21 Euro) und 2800 Dollar vorgeschlagen oder aber ein frei wählbarer Betrag. Wer nach unten scrollt, findet dort im Kleingedruckten die Information, dass 60 Prozent der Beiträge auf ein Konto fließen, mit dem Wahlkampfschulden abbezahlt werden. Zunächst hatte das "Wall Street Journal" berichtet. Trump hat bei der Wahl Betrug bemängelt, wofür es bislang keine Belege gibt. Er hat angekündigt, vor Gericht zu ziehen.

dpa-AFX / Redaktion finanzen.at

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