23.03.2015 13:34:40

UPDATE/Merkel und Tsipras müssen deutsch-griechisches Klima entgiften

   --Tsipras wird am Abend mit militärischen Ehren empfangen

   --Seibert erwartet von Treffen keine Lösung der Griechenland-Krise

   --Berlin rechnet nicht mit Vorlage einer Reformliste

   (NEU: Seibert, Schäfer, Brief, Hintergrund)

   Von Andreas Kißler

   BERLIN (Dow Jones)--Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag im Kanzleramt den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras empfängt, dann werden beide ganz besonders auf eine Verbesserung des Klimas zwischen Athen und Berlin hinarbeiten. Im Mittelpunkt ihres Treffens stehen natürlich die griechische Schuldenkrise und die Lösungsansätze für eine Rettung des Landes vor der drohenden Insolvenz. Aber um das zu erreichen, müssen Merkel und Tsipras erst einmal beginnen, wenigstens einen Teil des zerschlagenen Porzellans wieder zu kitten.

   Die Kanzlerin und ihre Presseabteilung haben schon im Vorfeld versucht, die Bedeutung des Treffens für die unmittelbare Lösung der Krise herunterzuspielen. Regierungssprecher Steffen Seibert tat dies am Montag in Berlin erneut. "Niemand soll sich von dem heutigen bilateralen Treffen, einem Antrittsbesuch, Lösungen erwarten", sagte Seibert bei einer Pressekonferenz. "Das ist weder der Zeitpunkt noch ist es das Format, in dem Lösungen für die griechische Problematik gefunden werden."

   Tsipras kommt acht Wochen nach seinem Amtsantritt auf Einladung Merkels nach Berlin. Die Kanzlerin sprach diese lang erwartete Einladung erst kurzfristig vor einer Woche aus. Am Montagnachmittag wird der linksgerichtete griechische Premier nun im Bundeskanzleramt mit militärischen Ehren empfangen, wie es für den Antrittsbesuch eines Regierungschefs üblich ist.

   Schon im Vorfeld kamen von beiden Seiten versöhnlichere Töne als zuletzt, aber auch neue Forderungen. So berichtete Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach einem Treffen mit seinem griechischen Amtskollegen Nikos Kotzias am Sonntagabend in Berlin von einem "sehr angenehmen und fruchtbaren Gespräch bei einem guten Abendessen" und forderte vor Journalisten eine bessere Zusammenarbeit beider Länder. Das Gespräch habe die "gesamte Bandbreite der bilateralen Beziehungen" umfasst, ergänzte Steinmeiers Sprecher Martin Schäfer am Montag.

   SPD-Chef Sigmar Gabriel äußerte im "Bericht aus Berlin" in der ARD die Erwartung, "dass wir wirklich einen Neustart schaffen". Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) bekräftigte diese Linie am Montag und sagte im Deutschlandfunk, es sei gut, "wenn die Sprüche aufhören und die Taten beginnen". Mehrere Vertreter der Opposition forderten Merkel auf, zur Entspannung der Situation beizutragen.

   Einen neuen Zungenschlag erhielt die Debatte allerdings vor dem Treffen durch einen Brief, in dem Tsipras Merkel vor einer Überforderung seines Landes warnt. Falls die EU keine kurzfristigen Finanzhilfen gewähre, könne Athen die in den nächsten Wochen fälligen Schulden nicht zurückzahlen, meldete die Financial Times. Seibert bestätigte, Merkel habe "vor einiger Zeit" einen Brief von Tsipras erhalten, machte jedoch keine Angaben zum Inhalt.

   Uneinigkeit herrschte auch am Montag in der umstrittenen Frage von Reparationszahlungen. Zwar signalisierte Kotzias in der Süddeutschen Zeitung einen Kompromiss, Berlin blieb jedoch bei seiner harten Haltung. Die bekannte deutsche Position habe "sich nicht verändert", sagte Seibert. Steinmeier lehnte laut seinem Sprecher den Vorschlag von Kotzias ab, dazu einen "Rat der Weisen" zu gründen. "Für uns ist das Kapitel Reparationen politisch und juristisch abgeschlossen", antwortete er demnach.

   Mit ihrer Einladung macht die deutsche Kanzlerin die Verhandlungen mit Griechenland über die Lösung der Schuldenkrise endgültig zur Chefsache zwischen Tsipras und sich. Denn zwischen den beiden Finanzministern Wolfgang Schäuble (CDU) und Yanis Varoufakis ist die Stimmung inzwischen so vergiftet, dass auf ihrer Ebene in der Sache kaum noch ein Vorankommen möglich erscheint.

   Auch die Kanzlerin blieb in den vergangenen Tagen in der Diskussion um die Hilfen für Griechenland offiziell bei der kompromisslosen deutschen Haltung, Athen könne nur nach der Prüfung des abgeschlossenen Hilfsprogramms durch die Geldgeber-Institutionen und einem Beschluss der Eurogruppe weitere Mittel erhalten. "Wir halten vollumfänglich an der Vereinbarung der Eurogruppe vom 20. Februar fest", sagte Merkel am Freitag bei einer Pressekonferenz in Brüssel.

   Doch zwischen den Zeilen klangen anders als bei Schäuble Kompromisslinien durch. Bei ihrer Pressekonferenz in Brüssel wich Merkel mehrfach und auffällig einer konkreten Antwort auf die Frage aus, ob eine teilweise Auszahlung von Mitteln an Athen bei Erfüllung einzelner Reformschritte möglich sei. Stattdessen erklärte sie, es könnten Gelder nach Griechenland fließen, wenn einige vorrangige Maßnahmen bereits parlamentarisch beschlossen seien. Diese Äußerung sollte man wohl auch als Fingerzeig verstehen, dass Merkel letztlich einer Teilauszahlung ihr Okay geben würde.

   Hierüber, und über die Bedingungen, die Athen dafür erfüllen muss, werden Merkel und Tsipras am Montag sprechen. Den großen Knoten aber müssen sie in dieser Frage nicht mehr durchschlagen, seit sich der griechische Premier vergangene Woche bei dem bis in die Nacht dauernden Sondertreffen zur Griechenland-Krise in Brüssel zur Vorlage einer "vollständigen Liste spezifischer Reformen" verpflichtete. Dieses Versprechen muss ihm Merkel nun in Berlin nicht mehr abnehmen. Seibert bekräftigte am Montag, Berlin erwarte bei dem Besuch noch nicht die Vorlage der Reformliste.

   Damit wirkt die Bundesregierung dem drohenden Eindruck entgegen, die Verhandlungen seien nun eine Sache von Berlin und nicht mehr von Troika und Eurogruppe. Auch deshalb wird Merkels "Nebengipfel" mit Tsipras weniger dem Einschlagen weiterer Pflöcke in den Verhandlungen mit Athen dienen, als vor allem dem Zweck, das Klima zwischen beiden Seiten wieder etwas zu entgiften.

   Das ist um so bitterer nötig, seit in der vergangenen Woche der Ton zwischen Berlin und Athen immer schärfer wurde. Nicht nur Schäuble und Varoufakis trugen mit ihren persönlichen Animositäten ihren Teil dazu bei. Auch die griechischen Drohungen mit Enteignung deutscher Immobilien und dem Weiterleiten von Flüchtlingen nach Deutschland entsetzten Berlin.

   Tsipras wird diese Dinge am Montag klarrücken müssen. Doch er kann zugleich darauf hoffen, nach Gesprächen auf Augenhöhe mit der Kanzlerin zu Hause punkten zu können.

   Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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