26.06.2015 18:44:46
|
UPDATE/Kreditgeber bieten Griechenland fünf Monate Aufschub an
-- Athen soll bis November über 15 Milliarden Euro in vier Tranchen bekommen
-- Planungen der Geldgeber gehen von weiterem Hilfsprogramm aus
-- Merkel appelliert an Tsipras vor "entscheidender" Sitzung der Finanzminister
(NEU: weitere Details, Hintergrund)
Von Andreas Kißler, Gabriele Steinhauser und Christian Grimm
BERLIN (Dow Jones)--Die Gläubiger Griechenlands haben Athen nach einem neuen Plan eine Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms bis November angeboten. Das geht aus Planungsunterlagen der Institutionen hervor, in die Dow Jones Newswires Einblick hatte.
Darin bieten die Gläubiger - EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) - der Regierung bis Ende November insgesamt Finanzhilfen über 15,5 Milliarden Euro an. Eine fünfmonatige Verlängerung des Programms sei "machbar", heißt es in den Papieren, die vom 25. Juni datieren.
Konkret sollen demnach zwölf Milliarden Euro vom europäischen Rettungsfonds EFSF und aus der Übertragung von Zentralbankgewinnen kommen und voraussichtlich 3,5 Milliarden vom IWF.
In den Planungen ist zudem die Annahme enthalten, dass Griechenland danach ein weiteres Hilfsprogramm erhalten soll, zusätzlich zu den 245 Milliarden Euro an Mitteln, die Athen bereits zugesagt wurden. "Alle Szenarien unterstellen ein neues dreijähriges Programm mit Vorzugsfinanzierung", heißt es in einer Fußnote zu einer Aufstellung der verschiedenen Szenarien für die künftige Schuldentragfähigkeit Griechenlands. Die Analyse stammt von den europäischen Institutionen und gibt laut den Unterlagen deren Sichtweise ebenso wieder wie die des IWF.
Athen wird Verschuldungsziel deutlich verfehlen
Nach den Vorstellungen der Gläubiger soll die Athener Regierung das Geld in vier Tranchen bekommen: So schnell wie möglich sollen 1,8 Milliarden Euro an Zentralbankgewinnen aus von der EZB übernommenen griechischen Staatsanleihen zurück in die Athener Kassen fließen. Mitte Juli erhielte das strauchelnde Euro-Mitglied dann 4 Milliarden vom EU-Rettungsfonds EFSF, wenn es der Regierung bis dahin gelingt, die ersten Reformmaßnahmen (prior actions) erfolgversprechend anzupacken. Dazu zählt zuvörderst die Erhöhung der Mehrwertsteuer und Maßnahmen gegen Umsatzsteuerumgehung zum Beispiel im landwirtschaftlichen Bereich. Auch Frühpensionierungen sollen deutlich seltener werden.
Im August könnten dann weitere 4,7 Milliarden fließen. Bedingung dafür ist, dass der Reformpfad ernsthaft beschritten wird. Im Oktober sollen schließlich 3,5 Milliarden vom IWF und weitere 1,5 Milliarden Euro aus Zentralbankgewinnen kommen.
Die Dokumente nähren allerdings die Befürchtung, dass es in Zukunft noch große Auseinandersetzungen darüber geben dürfte, wie Griechenland wieder auf eine finanziell nachhaltige Basis gelangen kann. Eine Einhaltung der 2012 vereinbarten Zielvorgaben für einen Abbau der Verschuldung Griechenlands ist demnach nun "in jedem Szenario unmöglich".
Ausgeführt werden drei Szenarien: dass Athen die geforderten Reformen und Kürzungen voll umsetzt, dass es sie teilweise umsetzt, und drittens ein Grundszenario des IWF. Der Währungsfonds blickt darin besonders pessimistisch auf die Zukunft.
Nach letzterem würden die griechischen Schulden 2022 noch immer 142,2 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Das ist deutlich mehr als das Ziel von "deutlich weniger als 110 Prozent", das die Euro-Finanzminister im November 2012 ausgegeben haben.
Entscheidendes Treffen der Finanzminister am Samstag
Dennoch können die griechischen Schulden als tragfähig angesehen werden, heißt es in den Papieren. Der Grund: Die Rettungskredite der EU tragen sehr niedrige Zinsen und müssen im Schnitt für mehrere Jahrzehnte nicht getilgt werden. Die anderen beiden Szenarien sehen die griechische Verschuldung im Jahr 2022 bei 124 Prozent und bei 135 Prozent.
Das Grundszenario des IWF würde demnach eine "bedeutende Reprofilierung des Schuldenbestands und der Vorzugskreditbedingungen" erfordern, um sicherzustellen, dass Athen seine Verbindlichkeiten zu irgend einem späteren Zeitpunkt bedienen kann. Zwar soll damit laut dem Dokument kein "nomineller Schuldenschnitt" verbunden sein - jedoch dürften damit eine weitere zeitliche Tilgungsstreckung und niedrigere Zinsen gemeint sein.
Eine Lösung des seit vier Monaten schwelenden Schuldenstreits zwischen Athen und seinen Gläubigern bei dem nächsten Treffen der Euro-Finanzminister wird dies wohl nicht einfacher machen. In der Runde am Samstag wird die Entscheidung fallen, ob Griechenland letztlich Mitglied der Eurozone bleiben kann. Nur wenn die Eurogruppe den Reformvorschlägen zustimmt, wird Griechenland die dringend benötigten Kredite bekommen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete das Treffen am Freitag als "entscheidend" und drängte Griechenlands Ministerpräsidenten Alexis Tsipras dazu, sich einer Einigung in dem Schuldenstreit nicht zu verschließen. "Wir haben ihn (Tsipras) sehr ermuntert, das großzügige Angebot der drei Institutionen anzunehmen", sagte sie. Jetzt sei es an der griechischen Seite "einen ähnlichen Schritt zu tun".
Merkel und Schäuble drängen Athen zur Entscheidung
Tsipras wehrte sich nach dem EU-Gipfel in Brüssel jedoch gegen den Druck der Euro-Partner. Die Europäische Union basiere nicht auf Erpressung und Ultimaten, sagte er. "Die Prinzipien der EU sind Demokratie, Solidarität, gegenseitiger Respekt." Merkel hatte sich am Freitag in Brüssel zusammen mit dem französischen Staatspräsidenten Francois Hollande erneut mit Tsipras getroffen.
EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte seinerseits, man sei "sehr nah an dem Tag, an dem das Spiel aus ist". Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger betonte seinerseits schon am Morgen im Deutschlandfunk, die Europäische Union sei angesichts des weiter ungelösten Schuldenstreits auch auf ein eventuelles Ausscheiden Athens aus dem Euro vorbereitet.
In dieser Gemengelage lehnte es Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ausdrücklich ab, Griechenland im Streit mit seinen Kreditgebern eine weitere Fristverlängerung zu gewähren. "Der 30. Juni ist der 30. Juni und nicht der 1. Juli", sagte er bei einer Konferenz in Frankfurt. Die nun anstehende Entscheidung sei nicht einfach, aber müsse getroffen werden.
Am 30. Juni wird ein Kredit des IWF über rund 1,5 Milliarden Euro fällig. Die Griechen bräuchten daher dringend die verbliebenen 7,2 Milliarden Euro aus dem bereits zwei Mal verlängerten Hilfsprogramm, das zeitgleich Ende Juni ausläuft. Die Kreditgeber stellen aber Forderungen, die Athen für die Auszahlung der letzten Tranche aus dem zweiten Hilfspaket erfüllen muss. Über die Bedingungen streiten Athen und seine Financiers inzwischen seit Monaten.
Zeit für den Bundestag wird immer knapper
Die Gläubiger bestehen in den Verhandlungen unter anderem darauf, Unternehmen nicht so hoch zu besteuern wie von der griechischen Regierung geplant. Sie wollen zudem eine Verdoppelung der vorgeschlagenen Kürzungen bei den Verteidigungsausgaben auf 400 Millionen Euro und eine Kürzung der Renten anstatt nur einer Anhebung des Eintrittsalters. In den Papieren wird dies erneut dokumentiert. Eine von Tsipras geplante Sondergewinnsteuer für Unternehmen, die 2014 mehr als 500.000 Euro Gewinn machten, lehnen sie ganz ab.
Wegen der knappen Zeit richtet sich inzwischen auch zunehmend der Blick auf die Rolle des Bundestags in dem Verfahren. Die Spitzen der Bundestagsfraktionen der Koalition halten es zwar für "theoretisch möglich", im Falle einer Einigung mit Griechenland im Bundestag am Beginn der nächsten Woche abzustimmen, wie es an mehreren Stellen in den Fraktionen heißt. Ein konkreter Zeitplan liegt dort aber noch nicht vor. Aus dem Bundestag ist bereits Widerstand gegen einen zu engen Zeitplan laut geworden.
Der Vorsitzende des Bundestags-Europaausschusses, Gunther Krichbaum, ließ das mögliche Abstimmungsverhalten zu einer Einigung mit Griechenland denn auch demonstrativ offen. "Das kann noch keiner von uns sagen, weil wir noch nichts auf dem Tisch haben", sagte der CDU-Politiker zu Dow Jones Newswires. Seit geraumer Zeit sei das Vertrauen in die griechische Regierung zerstört. "Es muss ein Höchstmaß an Verbindlichkeit, an Verlässlichkeit hergestellt werden", forderte Krichbaum deshalb.
(Mitarbeit: Andrea Thomas und Hans Bentzien)
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@dowjones.com
DJG/ank/chg
(END) Dow Jones Newswires
June 26, 2015 12:14 ET (16:14 GMT)
Copyright (c) 2015 Dow Jones & Company, Inc.- - 12 14 PM EDT 06-26-15
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!