16.08.2024 20:22:38

Symbole einer Hochrisikotechnologie nur noch ein Schuttberg

GRAFENRHEINFELD (dpa-AFX) - "Wir haben an den Dampfschwaden immer genau gewusst, woher der Wind weht." Christian Keller (CSU), geboren 1979 und heute Erster Bürgermeister von Grafenrheinfeld, kennt die Gemeinde gar nicht ohne die markanten Kühltürme des Atomkraftwerkes. "Die Zwillinge waren für mich und sicherlich auch für viele Menschen aus der Region immer auch ein optischer Ankerpunkt." Fragten Kinder ihre Eltern auf der Rückreise aus dem Sommerurlaub, wann man denn endlich daheim sei, hieß es häufig: "Wenn Du die Türm' siehst, noch eine halbe Stunde", erzählte Keller. Doch nun sind die Kolosse Geschichte.

Donnernde Knallgeräusche - und binnen 30 Sekunden sackten die Kühltürme des stillgelegten AKW am Abend in sich zusammen. 50 Jahre nach dem Baubeginn der Anlage waren von den auffälligen Zeichen der einstigen Hochrisikotechnologie nur noch zwei relativ kleine Schutthaufen unweit der fränkischen Industriestadt Schweinfurt zu sehen.

Wegen einer Störaktion verzögerte sich das Spektakel um mehr als eine Stunde. Ein Mann war auf einen Strommast geklettert, die Polizei schritt ein und nahm ihn in Gewahrsam. Die Polizei rechnete den Mann zum Lager der Atomkraftbefürworter. "Es werden erhebliche Kosten auf ihn zukommen", sagte ein Polizeisprecher.

Wie viel Sprengstoff für die insgesamt rund 34.000 Tonnen Stahlbeton, Metalle und Kunststoffe nötig waren, verriet die zuständige Thüringer Sprenggesellschaft nicht. Auch Details wie die Anzahl der zu bohrenden Löcher, die mit Sprengladungen befüllt sein werden, waren geheim.

Viele Zuschauer verfolgen das Spektakel

Als die beiden Bauwerke im Abendlicht gesprengt wurden, schauten Tausende Menschen auf den Wiesen und Feldern rund um das Gelände nahe dem Main zu. Das Areal war aus Sicherheitsgründen weiträumig abgesperrt. Wer besonders nah ran wollte, kam zu Fuß oder per Rad, weil die Polizei Zufahrtsstraßen gesperrt hatte.

Familie Jüngling aus Haßfurt bei Schweinfurt hat sich auf der anderen Mainseite nahe Bergrheinfeld niedergelassen - samt Klapptisch, Knabbersachen und Spielen. "Wir spielen hauptsächlich Rommé", erzählte die 39-jährige Nicole. Alle seien schon ein wenig aufgeregt, vor allem ihr elfjähriger Sohn, auf dessen Drängen sie gekommen seien. "Ich mag es, wenn was weggesprengt wird", sagte Maximilian.

Rückbau dauert noch zehn Jahre

Das AKW war bis zu seiner Abschaltung das älteste noch aktive Atomkraftwerk in Deutschland. 1974 begann der Bau des Kraftwerks. Die erste Kettenreaktion wurde Ende 1981 angestoßen - zwei Jahre nach der Geburt des heutigen Ersten Bürgermeisters. Von Juni 1982 floss Strom ins Netz. Bis 2015 war es 33 Jahre im Dienst. Seit 2018 läuft dort der Rückbau - und dauert laut Projektleiter Matthias Aron wahrscheinlich auch noch zehn Jahre.

Die Kühltürme waren je 143 Meter hoch. Am Boden betrug der Durchmesser je rund 105 Meter, etwa 64 Meter waren es am oberen Ende. "Zwei Drittel des Materials werden weiterverwendet", erklärte Aron - unter anderem soll mit den Baustoffen eine Lagerfläche auf dem Gelände entstehen.

Nicht diese erste Sprengung dieser Art

Nach Angaben des Kraftwerksbetreibers Preussenelektra war es das zweite Mal in Deutschland, dass Kühltürme eines stillgelegten Kernkraftwerks gesprengt wurden. Im Mai 2020 waren bereits zwei Türme des AKW im baden-württembergischen Philippsburg auf diese Weise abgebrochen worden - coronabedingt aber ohne Öffentlichkeit.

Für die rund drei Millionen Euro teure Sprengung in Grafenrheinfeld mussten vier von fünf 380-Kilovolt-Hochspannungstrassen, die in Grafenrheinfeld zusammenkommen und für die Stromversorgung von Europa wichtig sind, abgeschaltet werden. Das sollte Betriebsunterbrechungen durch zu viel Staub vermeiden.

Ohne Endlager bleibt der Atommüll in Grafenrheinfeld

Das Kraftwerksgelände bleibt auch ohne die Türme in den nächsten Jahren ein Sicherheitsbereich. Auf dem Areal gibt es zwei Zwischenlager für Atommüll. Die vorgesehene Betriebsdauer des Zwischenlagers für hoch radioaktive Abfälle, also AKW-Brennelemente, endet 2046. Doch die Endlager-Frage ist nach wie vor ungelöst - es geht um fast 2.000 Behälter aus ganz Deutschland, die für eine Million Jahre sicher eingelagert werden sollen.

Die Endlager-Suche sei ein Mammutprojekt, "das nur gelingen kann, wenn die Breite der Gesellschaft dafür eintritt", sagte der Präsident des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base), Christian Kühn. Das Bundesumweltministerium geht davon aus, dass bis 2050 ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle in Deutschland gefunden sein wird und damit etwa 20 Jahre später als ursprünglich geplant./aro/DP/he

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