28.03.2016 21:02:38
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Südwest Presse: LEITARTIKEL · TÜRKEI-DEAL
Schon das Wort "Deal" klingt nicht allzu seriös. Gedealt wird
gerne in halbseidenen Kreisen, dort, wo man sich weniger an Recht und
Gesetz, dafür umso mehr am eigenen Vorteil orientiert. Nun also der
"Deal" mit der Türkei: Recep Tayyip Erdogan, ein aus vielerlei
Gründen höchst suspektes Staatsoberhaupt, soll die aus Griechenland
gegen ihren Willen zurückbeförderten Flüchtlinge aufnehmen und dafür
Milliarden von der EU erhalten, zuzüglich Visafreiheit für seine
Landsleute und freundlicher Beitrittsperspektiven. Weil die EU sich
verpflichtet, später einem Teil der Flüchtlinge Schutz zu gewähren,
wird das der Öffentlichkeit als "europäische Lösung" verkauft. Soweit
der Plan. Dessen Verwirklichung wird maßgeblich davon abhängen, ob
dieser Handel vor den Gerichten besteht, die Türkei ihren Part
tatsächlich erfüllt und sich in Europa, was als zweifelhaft gelten
darf, genügend Staaten für die weitere Flüchtlingsaufnahme finden.
Fern dieser Unwägbarkeiten werfen die Opposition im deutschen
Bundestag und diverse Menschenrechtsorganisation die berechtigte
Frage auf: Darf sich Europa, insbesondere die deutsche Kanzlerin, auf
deren Betreiben dieser "Deal" zustande gekommen ist, in derartige
Abhängigkeit eines Despoten begeben? Darf man - noch dazu in einer
humanitären Angelegenheit - mit einem Land paktieren, das
rechtsstaatliche Prinzipien aufs Gröbste missachtet, kritische
Journalisten wegsperrt und gegen Teile der eigenen Bevölkerung Krieg
führt? Ist es also unter moralisch-ethischen Gesichtspunkten nicht
eine völlig verquere "Lösung", mit deren Umsetzung bereits begonnen
worden ist, indem man die in Griechenland strandenden Flüchtlinge
jetzt in Auffanglagern interniert? Die Antwort lautet: Ja, diese
Lösung ist im Prinzip unerträglich, eine bessere hätte es aber
derzeit nicht gegeben. Der Grund liegt in einem schweren Versagen der
EU. Erster fundamentaler Fehler war das absurde Konstrukt des
Dublin-Abkommens, wonach die EU-Länder an den Außengrenzen allein für
die sich dort anhäufenden Asylverfahren zuständig sind. Damit waren
Mitglieder in Binnenlage wie etwa die Bundesrepublik jahrelang fein
heraus. Die Hauptlast trugen Italien und Griechenland, das im
vergangenen Jahr schließlich komplett überfordert die Reißleine zog
und begann, die Flüchtlinge nach Mitteleuropa durchzuwinken. Ein
weiteres Versäumnis, das sich nun bitter rächt, ist die Tatsache,
dass die Gemeinschaft über keine ernstzunehmenden
Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Mitgliedern verfügt, die den
Gedanken der europäischen Solidarität mit Füßen treten, diese für
sich selbst aber gerne in Anspruch nehmen, wenn es um finanzielle
Förderung geht. Das betrifft vor allem die osteuropäischen Staaten -
allen voran Ungarn mit dem sich als Aufwiegler betätigenden Premier
Orban. Er ist bis heute nicht bereit, auch nur einen zusätzlichen
Flüchtling aufzunehmen, weshalb er scheinheilig davor warnt, sich dem
Wohlwollen der Türkei auszuliefern. Der größte Fehler aber besteht
darin, so zu tun, als sei die EU noch eine intakte Wertegemeinschaft
und sich so vor einer harten Auseinandersetzung zu drücken, die um
der Zukunft der Union willen geführt werden muss. Denn neben der
Frage, ob die Kooperation mit einem Land, das zusehends in eine
Diktatur abdriftet und sich am Rande eines Bürgerkrieges befindet, zu
verantworten ist, muss vor allem eine Erkenntnis erschrecken: Die EU
braucht diesen "Deal", um ihr rissiges Fundament zu kitten. Von der
Wertegemeinschaft ist wenig übrig
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Pressekontakt: Südwest Presse Ulrike Sosalla Telefon: 0731/156218
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