Die Finanzwelt wird immer digitaler. In diesem Exklusiv-Interview verrät Professor Christian Rieck wie Anleger davon profitieren können und was sein neues Buch "Können Roboter mit Geld umgehen?" mit dieser digitalen Börsenwelt zu tun hat.
finanzen.at: Herr Professor Rieck, Sie sind Professor für Finance und Wirtschaftstheorie an der Frankfurt University of Applied Sciences. Wie sieht Ihr Arbeitsfeld aus? Woran "forschen" Sie aktuell?
Professor Rieck: Mein hauptsächliches Forschungsthema derzeit ist die Zukunft der Finanzbranche. Ich untersuche zum Beispiel, wie die Banken von morgen aussehen oder wie das Geld von morgen funktioniert. Abgesehen davon interessieren mich auch Fragen, an die man bei Finanzen zunächst einmal nicht denken würde, also zum Beispiel, ob Fußballspieler beim Elfmeter rational bleiben. Oft helfen solche etwas gegen den Strich gebürsteten Fragestellungen, Finanzen besser zu verstehen. Denn die Tricks der Fußballprofis lassen sich oft erstaunlich gut auf Investitionen übertragen.
finanzen.at: Bekannt sind Sie vor allem durch Ihre Veröffentlichungen zu Spieltheorie und Finanzen. Erläutern Sie uns doch bitte kurz, womit sich die Spieltheorie beschäftigt und was diese mit der Finanzwelt zu tun hat!
Professor Rieck: Die Spieltheorie tut so, als wäre die Welt ein Gesellschaftsspiel; man kann sich da ruhig Monopoly oder ein Börsenspiel vorstellen. Wenn man sich vermeintlich unverständliche Situationen des echten Lebens aus diesem Blickwinkel ansieht, versteht man auf einmal, was die Spieler als nächstes tun werden und wieso sie es tun. Auch meine Thesen über die Roboter-Berater basieren auf diesen Spiel-Gedanken: Ich frage danach, wie die verschiedenen Spieler auf die neuen Technologien reagieren und was das für die anderen Spieler bedeutet. Mit diesem Ansatz versteht man recht gut, wohin sich die Finanzwelt durch neue technische Möglichkeiten entwickeln wird.
finanzen.at: Herr Professor Rieck, in Ihrem neuen Buch "Können Roboter mit Geld umgehen?" spielen Sie die Zukunft einer digitalisierten Finanzwelt durch. Wie sieht diese Zukunft Ihrer Meinung nach aus?
Professor Rieck: Ich sagte bereits, dass die Finanzberatung der Zukunft durch künstliche Intelligenz erfolgen wird und nicht mehr durch Menschen. Das klingt nach Science-Fiction, ist es aber nicht, denn die Technik dafür ist schon heute fast vollständig vorhanden. Ich stelle in meinem Buch einen Vergleich zwischen menschlichen Beratern und Robotern (also künstlichen Intelligenzen) an. Schon bei heutiger Technik liegen Menschen und Roboter praktisch gleich auf; in 15 Jahren haben wir keine Chance mehr gegen die elektronischen Kollegen. Allerdings brauchen wir nur noch ein wenig Zeit, um uns auch in unserem Sozialverhalten dieser technischen Entwicklung anzupassen.
finanzen.at: Müssen Roboter überhaupt mit Geld umgehen können? Leben Roboter nicht vom Input, den sie von Wertpapierexperten, Analysten und Bankern erhalten?
Professor Rieck: Es ist doch schon heute andersherum: Die Roboter erhalten nicht den Input, sondern sie geben ihn uns. Wenn wir irgendeine Information suchen, dann sehen wir das, was Google für uns auswählt. Wenn wir ein umfangreiches Portfolio bilden, dann verlassen wir uns auf einen Algorithmus. Je komplizierter diese Algorithmen werden, desto weniger verstehen deren einstige Schöpfer noch, was da passiert.
finanzen.at: Wenn ich an Hochgeschwindigkeitsrechner denke, die Wertpapiere innerhalb von Sekunden kaufen und verkaufen, dann stecken wir bereits mittendrin, in der digitalisierten Finanzwelt, oder?
Professor Rieck: Allerdings. Denn die Finanzbranche ist hochgradig zahlenorientiert, und das lieben Computer viel mehr als wir Menschen. Ich bin mir sicher, dass die meisten Menschen noch gar nicht realisiert haben, wie sehr wir schon von den Robotern unterwandert sind. Wir merken das deshalb nicht, weil sie nicht aussehen wie in Kinderbüchern à la "Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt" (Anm. d. Red.: In dem Kinderbuch aus dem Jahre 1967, das das kollektive Wissen einer ganzen Generation prägte, ist ein Roboter ständiger Begleiter und bester Freund der Hauptfigur Tobbi).
finanzen.at: Welche Chancen sehen Sie für Anleger in dieser beschriebenen Finanzwelt? Hat der Privatinvestor überhaupt Vorteile durch die Digitalisierung?
Professor Rieck: Der Privatanleger hatte in der Vergangenheit immer einen Nachteil gegenüber den Profis, aber deren Vorsprung schwindet immer mehr, je einfacher der Zugang zu intelligenten Algorithmen wird. Für Anleger ist die Digitalisierung daher eine recht gute Nachricht, weil teure handgemachte Zwischenschritte wegfallen, für die man in der Vergangenheit teuer bezahlen musste. Durch Automatisierung der Beratung lohnen sich auf einmal auch im Kleinen Dinge, die früher nur den Großen zur Verfügung standen.
finanzen.at: Welche Gefahren sind mit einer digitalisierten Finanzwelt verbunden?
Professor Rieck: Ich fürchte, diese Antwort könnte ganze Bücher füllen (und tut es ja auch). Aber ich möchte hier zwei Gefahren herausstreichen:
1. Die Finanzmärkte entwickeln ein Eigenleben, das wir Menschen auch in der Gesamtheit nicht mehr verstehen. Dadurch kann ein "Terminator" auf Märkten genauso gefährlich werden wie die blutrünstigen Maschinen aus den Filmen.
2. Ein Großteil aller Arbeitsplätze, wie wir sie kennen, wird durch die Denk-Roboter überflüssig. Das verschiebt die Einkünfte aus Arbeit und Kapital in eine gefährliche Richtung, auf die wir derzeit gesellschaftlich überhaupt nicht vorbereitet sind. Die Politik nimmt diese Entwicklung schlichtweg nicht wahr.
finanzen.at: Welchen Einfluss haben Ihre Erkenntnisse auf die Börsenwelt? Wie können zum Beispiel Banken und Versicherungen von Ihrer Forschung profitieren?
Professor Rieck: Wenn Banken und Versicherungen auf diese Entwicklung nicht reagieren, dann wird es sie nicht mehr lange geben, denn die Digitalisierung zerstört ihr derzeitiges Geschäftsmodell. Deshalb werde ich im Moment auch regelmäßig von Banken und Versicherungen eingeladen, um darüber zu sprechen, wie es weitergehen kann. Es gibt allerdings keine geradlinige Lösung, die für alle gilt, sondern jede einzelne Institution muss etwas tun, und zwar schnell.
finanzen.at: Herr Professor Rieck, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
Christian Rieck ist Professor für Finance und Wirtschaftstheorie an der Frankfurt University of Applied Sciences und durch zahlreiche Veröffentlichungen zu Spieltheorie und Finanzen bekannt. Er war Schüler des Nobelpreisträgers Reinhard Selten; nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftspädagogik war er an der Neuausrichtung des Centers for Financial Studies beteiligt und leitete danach bei IBM Global Services das internationale Competence-Center für Lösungen in der Finanzbranche. Als Redner wie auch als Buchautor hinterfragt Rieck gängige Denkmuster und präsentiert gern ungewöhnliche Fragen und Lösungen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Zukunftsforschung sowie die Simulation und experimentelle Untersuchung von Entscheidungssituationen. Sein neues Buch "Können Roboter mit Geld umgehen?" ist ab 22. Mai 2015 im Buchhandel und im einschlägigen Online-Handel erhältlich.
Das Interview führte Markus Gentner/Redaktion finanzen.at