14.09.2015 22:12:37

Schwäbische Zeitung: "Tabus führen zu Ausgrenzung" - Leitartikel zu den neuen Bildungsplänen

Ravensburg (ots) - Schule ist mehr als ein Gebäude, in dem unsere Kinder Mathe, Deutsch und Englisch lernen. Im besten Fall ist sie ein Ort, an dem junge Menschen lernen, sich in einer Welt zurechtzufinden, die in stetigem Wandel begriffen ist. Digitalisierung in allen Lebensbereichen und Globalisierung befeuern diesen Wandel weiter.

Auch unsere Gesellschaft ist eine andere als die unserer Elterngeneration. Wurden Alleinerziehende vor 20 Jahren beim Elternabend noch mit einer Mischung aus Mitleid und Argwohn beäugt, gehören sie heute zur gesellschaftlichen Normalität. Dem klassischen Familienbild aus dem verheirateten Paar plus Kindern haben sich längst unzählige weitere Formen des Zusammenlebens dazu- gesellt: unverheiratete Paare, Patchwork-Familien, aber auch gleichgeschlechtliche Eltern. All dies ist Realität und darf in einer liberalen Gesellschaft wie unserer nicht tabuisiert werden. Denn Tabus führen zu Unwissenheit, und die kann im schlimmsten Fall zu Ausgrenzung bis hin zu Ächtung führen.

Der Bildungsplan, wie er nun in die Anhörungsphase gestartet ist, fördert einen offenen Umgang mit Vielfalt in jeglicher Hinsicht. Das ist richtig so, denn während der Schulzeit entwickelt jeder junge Mensch seine ganz eigene Persönlichkeit. Neben dem Elternhaus ist die Schule der prägendste Ort, an dem sich grundlegende Werte verankern. Toleranz ist einer der wichtigsten Werte. Deshalb muss hier nicht nur, aber auch Toleranz gegenüber sexueller Orientierung ein Thema sein.

War die Befürchtung einer "Zwangssexualisierung" der Kinder durch das öffentlich gewordene Leitprinzip "Akzeptanz sexueller Vielfalt" viel Lärm um nichts? Nein, denn die Gegner haben mit ihrem Proteststurm erreicht, dass sich Toleranz nun auf jede Form von Anderssein bezieht und auf einer viel breiteren Basis fußt. Ob es sich tatsächlich nur um ein Arbeitspapier gehandelt hat, oder ob das ursprüngliche Leitprinzip mit seiner eingeschränkten Sicht auf Sexualität denn unverändert Niederschlag im Bildungsplan gefunden hätte, ist dabei nebensächlich.

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